Auf dem Spielplan des Metal Fests in Dessau hätten noch EISREGEN stehen müssen – dann wäre die Ironie perfekt gewesen.
Um eins gleich zum Anfang klarzustellen: Schlecht war's nicht! Schlecht war nur das Wetter, das dem Festivalgelände auf dem Dessauer Flugplatz Dauerregen und Temperaturen um eisige sechs Grad verpasste.
Freitag, 14.05.2010
Die Akkreditierung für das Festival kommt knapp zwei Wochen vorher, nachdem der Veranstalter bis dahin absolut nichts von sich hat hören lassen. Dementsprechend kurzfristig ist meine Reise organisiert – Schlafsack und eine Decke ins Auto, Wechselunterhose, hundert Öcken ins Portemonnaie, fertig.
Als ich am Freitagnachmittag in Dessau ankomme, ist das Metal Fest schon zur Hälfte rum. BOLT THROWER am Vortag sollen großartig gewesen sein, sagt man mir. Die Organisation sei scheiße, sagt man mir auch.
Während ich das erste Bier (lokales Bräu für 2,50 pro 0,4 Liter) runterstürze, bespielen VARG die Main Stage. Die Gerüchte sind mir bekannt, weswegen mir die Show der Coburger komplett am Allerwertesten vorbei geht. Als sich Sänger Freki im Namen der ganzen Band jedoch explizit gegen Nazitum ausspricht, spende ich Applaus. Ansonsten interessiert mich diese Band, die mir wie BÖHSE ONKELZ im Folk-Stil vorkommt, weiterhin kein Stück.
Viel mehr freue ich mich auf VADER, die anschließend mit Wumms über Dessau herfallen. Frontmann Peter ist wie immer gut gelaunt und sympathisch. Seinen Kollegen merkt man trotz der gezeigten Spielfreude aber ihren Legionärscharakter an. Ist aber egal, weil geil.
Danach mache ich mich erst mal auf den Weg in die Dessauer Innenstadt, einen weiteren Pullover kaufen. Anders steht man das bekloppte Wetter kaum durch. (Übrigens wird am Sonnabend niemand mehr das Wort „Wetter“ hören wollen.) Außerdem wollen dringend Biervorräte angeschafft werden, um sich zusätzlich von innen zu wärmen. Auf dem Rückweg parke ich mein Auto bei den Atzen von Berlin Metal Legion, mit denen ich das restliche Festival verbringen werde.
Dadurch verpasse ich natürlich CORVUS CORAX komplett, aber das ist mir in dem Moment auch egal. Denn DEICIDE haben es endlich durch die Wirrungen der Amerika-Aus- und Europa-Einreise geschafft und werden gleich auf der Main Stage spielen – wie ein kleines Kind freue ich mich darauf! Dann steht Mr. Satan höchstselbst auf der Bühne und plötzlich ist es doch nicht mehr so toll. Zum Ende des Auftritts versagt auch noch der Drummer (dessen Doublebassanschläge beim letzten Song nur noch ruckelnd und komplett neben der Spur daher kommen) und setzt einem eher lahmen Gig damit die Eselsmütze auf. Schade.
Der anschließende Umbau zieht sich ewig hin, denn FINNTROLL und ELUVEITIE werden unter dem Banner „The Pagan Alliance“ einen gemeinsamen Auftritt hinlegen. Die Bands wechseln sich ca. alle zwei Songs ab, wobei alle Musiker die jeweils andere Band passend unterstützen – z.B. spielen die Violinistin und Drehleierspielerin von ELUVEITIE viele Songs von FINNTROLL mit.
Es ergibt sich eine sehr interessante und abwechslungsreiche Folk-Metal-Show von knapp anderthalb Stunden, die nicht nur Fans der beiden Bands gefallen haben dürfte. Im Folk-Metal-Trend der letzten Jahre sind ja leider auch viele unbegabte Bands an die Oberfläche gespült worden (siehe VARG), was diesem Abend nochmals einen Extraglanz verleiht. FINNTROLL und ELUVEITIE sind ohne Zweifel die Speerspitze der Folk-Metal-Bewegung und belegen dies mit ihrer gemeinsamen Show eindrucksvoll.
Danach ist Party bei der Hangar Stage angesagt – VAN CANTO, die singende Metalschmiede, füllen die Halle als erste Band dieses Festivals zum Bersten und erspielen sich mit ihrer sympathischen A-Cappella-Metalshow donnernden Applaus. In der ersten Reihe grinst Teufel von CORVUS CORAX wie ein Honigkuchenpferd, als VAN CANTO „Master Of Puppets“ anstimmen. Nach dem Gig fangen wir die Sänger ab und gehen mit ihnen gemeinsam zu TESTAMENT.
Mich persönlich enttäuschen TESTAMENT, da sie in der letzten halben Stunde ausschließlich Midtempo-Songs spielen, eher hüftsteif auf der Bühne agieren und Chuck Billy stimmlich angeschlagen ist. Schade, da hätte ich mehr erwartet.
Nach TESTAMENT begeben wir uns noch für eine nette Plauder- und Trinkrunde zu Ross Thompson (VAN CANTO) ins Hotel. Als wir zwischen drei und vier wieder zurück kommen, gibt’s auf dem Campingplatz noch ein Bier am Partystand.
Sonnabend, 15.05.2010
Mit zwei Erkenntnissen wache ich am Sonnabend auf: 1) Bei fünf Grad Außentemperatur im Auto zu pennen ist nicht schön. 2) Für Bauchschläfer ist der Beifahrersitz nicht sonderlich gut geeignet.
Trotzdem habe ich es irgendwie geschafft, in nur sechs Stunden meinen Rausch auszuschlafen... wohl der einzige Vorteil der kalten Luft.
Ein Besuch beim nahegelegenen Penny-Markt bringt Frühstück und Biernachschub. Danach ist erst mal im Auto sitzen, Fotos auf den Laptop überspielen, entspannen und alte Nuclear-Blast-Kataloge durchblättern angesagt. Die Stimmung ist mittlerweile auf dem gleichen Level wie das Wetter: verregnet und knapp über dem Gefrierpunkt.
Als erste Band des Tages führen wir uns um 16 Uhr DECAPITATED (in der Running Order mit „Return Of“ betitelt) zu Gemüte. Nicht nur die Songs punkten, auch die routinierte und professionelle Show der Polen überzeugt auf ganzer Linie.
Noch besser wird’s anschließend bei DEATH ANGEL. Die Thrash-Urgesteine aus der Bay Area wirken ab der ersten Minute jünger, spritziger und vitaler als all ihre Genrekollegen aus San Francisco zusammen. Bewegungen, Zusammenspiel, Publikumswirkung – alles perfekt! Zudem wirkt Bassist Damien Sissom wie eine Reinkarnation von Cliff Burton. Grandioser Auftritt, an dem es absolut nichts zu meckern gibt (außer vielleicht, dass er zu schnell vorüber ist).
ALESTORM schenken wir uns zugunsten einer weiteren Aufwärmrunde im Auto. Mittlerweile hat zwar der Wind nachgelassen – jedoch regnet es nach wie vor Strippen, während die Lufttemperatur weiterhin munter ins Bodenlose fällt.
Bei SEPULTURA sind wir wieder vor der Bühne. Als alter SOULFLY-Sympathisant gehe ich vollkommen erwartungslos an diesen Auftritt heran – und werde glatt umgehauen. Alter Schwede! Was man so alles verpasst... Erkenntnisse dieser Show: Andreas Kisser ist ein gnadenlos unterschätzter Gitarrist, Derrick Green ein sehr guter Frontmann und Jean Dolabella ein fantastischer Drummer. Und alle zusammen knallen ordentlich. Sehr geil.
Bei SIX FEET UNDER fotographiere ich nur. Ich stehe zwar auf groovenden Death Metal, kann mich jedoch nicht so recht mit Chris Barnes anfreunden. So sympathisch das Krümelmonster auch sein mag – sein Gequieke ist unerträglich und seine Taktsicherheit quasi nicht vorhanden. Ergo halte ich mich am anderen Ende des Festivalgeländes auf.
Den krönenden Abschluss schließlich bilden BEHEMOTH. Eine derart professionelle Darbietung sieht man selten bis nie; die von vorn bis hinten durchchoreographierte Show lässt keine Wünsche offen. Die Instrumentalleistung ist perfekt, das Licht ist perfekt, der Sound ist perfekt... man könnte höchstens bekritteln, dass die Professionalität die Show etwas mechanisch wirken lässt. Aber nur ein klitzekleines bisschen.
Da die Heizung meines Autos am besten bei voller Fahrt arbeitet, fahre ich noch in der Nacht zurück nach Berlin. Die anderthalb Tage kommen mir vor wie eine ganze Woche Festivalfieber und die klamme Kälte sitzt auch am Sonntag noch in den Knochen. Dank FINNTROLL, ELUVEITIE, VAN CANTO, DEATH ANGEL und BEHEMOTH war's aber trotzdem geil.
Fazit
Für schlechtes Wetter kann man die Organisatoren nicht verantwortlich machen, daher gibt’s ein „Danke, war nett“ für's Metal Fest. Ein paar von den gesehenen Bands waren großartig, der Rest gut. Die Sicherheitskräfte und Aufpasser waren zwar alles andere als ambitioniert, aber freundlich. Zudem habe ich im Backstage ein Foto mit Glen Benton machen können. Ich kann also zufrieden sein. Ob ich im nächsten Jahr wiederkehre, werde ich von der Wettervorhersage abhängig machen.
Fotos (c) BurnYourEars / Fabien Blackwater
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