Geschrieben von Sonntag, 17 Oktober 2010 00:00

Annihilator - Berlin, C-Club


annihilator_berlin-gig

Eine Band wie ANNIHILATOR muss man mindestens einmal im Leben gesehen haben. Da kommt es gelegen, dass die Mannen einen Stopp im Berliner C-Club einlegen – in der Stadt, in der laut Gitarrengott Jeff Waters vor 20 Jahren der erste ANNIHILATOR-Gig in Europa stattfand.


Erstaunlich, wie klein die Weltstadt Berlin manchmal ist. Nicht nur, dass hier das erste ANNIHILATOR-Konzert auf europäischem Boden stattfand – vor allem, weil ich vor dem C-Club mehrere Freunde und alte Bekannte aus dem Berliner Metal-Untergrundjournalismus treffe. Gut so, gemeinsam macht so ein Konzert doch gleich viel mehr Spaß.

Von der ersten Band ADIMIRON aus Italien sehen wir ungefähr drei Songs. Genau kann man das nicht sagen, da die überlangen, vertrackten und stark GOJIRA-ähnlichen Songs kaum voneinander zu unterscheiden sind. Zudem will der Funke zwischen der Band und den erst knapp 60 Leuten partout nicht überspringen. Die Band spielt gut, nur leider fehlt dem Sänger das Frontsau-Gen. Bei seinen Ansagen stiefelt er lustlos auf der Bühne hin und her; trotz seiner ständigen Dankesbekundungen an das wenige Publikum wendet er seinen Blick so gut wie nie von seinen Schuhspitzen ab. Das ist – und hier muss man wirklich ganz laut „leider“ sagen – ungefähr so sympathisch wie ein Raver als Einlasser bei einem Punkkonzert.

Immerhin motiviert der Auftritt von ADIMIRON uns, den Club zu verlassen und irgendwo in der Nähe Bier kaufen zu gehen. Da der zum Club gehörende Biergarten heute geschlossen bleibt, dürfen die gestempelten Konzertbesucher zum Rauchen und Trinken vor die Tür. Ergo hindert uns auch nichts daran, noch schnell ein billiges Bier zu besorgen – und über der folgenden bierseligen Metal-Philosophierunde komplett die zweite Band SWORN AMONGST zu verpassen.

Zugegeben: Das war absehbar. Kaum Leute im Club, Bierdurst, sich festquatschen... sowas passiert ständig und ist wenig überraschend. Umso verblüffter waren wir, als wir in der Umbaupause vor ANNIHILATOR den Club wieder betreten und mit 250 Leuten gut gefüllt vorfinden. Wo kommen die auf einmal her?

Nach kurzem Intro stürmen die vier Kanadier auf die Bühne – und werden von der ersten Sekunde an abgefeiert. Diese Begeisterungsexplosionen, die man ja bei fast jedem Konzert erleben kann, wenn die lästigen Vorbands endlich fertig sind und der ersehnte Headliner kommt, lassen mich immer wieder erschaudern. Geil und gespenstisch zugleich, wie die Stimmung vom einen auf den anderen Moment überkippen kann.
Die Band indes zockt routiniert „Ambush“ vom aktuellen Album „Annihilator“ als Opener. Während Sänger und Gitarrist Dave Padden noch etwas kühl agiert, ist Jeff Waters ab der ersten Sekunde nur noch für das Publikum da. Der Mann lebt für die Bühne, das merkt man mit verbundenen Augen.

Ohne viel Aufhebens gehen die ersten Songs ineinander über; schon an dritter Stelle folgt „King Of The Kill“, der standesgemäß umjubelt aufgenommen wird. Erst danach gibt es die erste Ansage durch Jeff – und bescheiden wie der Gute ist, handelt es sich dabei gleich um eine Entschuldigung! In Luxemburg sei der verdammte Tourbus kaputt gegangen, es ziehe die ganze Zeit, wodurch die halbe Band erkältet sei. Die Deutschlanddaten müsse man noch durchstehen, dann würde der Bus getauscht. – Gute Besserung, Jeff. Nötig war die Entschuldigung trotzdem nicht, denn auch mit Erkältung ist Waters ein Vorbild an Bühnenpräsenz, Spielfreude und Nähe zum Publikum.
Ob er herumrennt, sich in Posen wirft, mit seinem Bassisten Al Campuzano Synchron-Headbanging übt, Grimassen zieht oder mit motivierenden Gesten das Publikum anfeuert – Waters ist einfach ständig präsent und zu jedem Zeitpunkt der eindeutige Fixpunkt auf der Bühne.

Bei einigen Songs aus den Neunzigern übernimmt Waters auch den Leadgesang von Padden, so z.B. bei der wunderbaren (Halb-)Ballade „Hell Is A War“. Von solchen Ausnahmen abgesehen, ist aber Dave Padden der unumstrittene Leadsänger von ANNIHILATOR – zum einen, weil er immerhin schon acht Jahre in der Band ist, wie der selbsternannte schlechte Arithmetiker Waters staunend feststellt. Zum anderen, weil wohl auch das Publikum jedes Mal staunend feststellt, was für ein großartiger Sänger Padden ist. Ohne spezielle Monitoringtechnik meistert er jeden Ton und changiert locker zwischen Thrash-Brüllen und melodischem Bariton. Glanztat in „Fun Palace“!
Wahrscheinlich ist Paddens Sangestalent neben vielen Fananfragen der Hauptgrund dafür, dass die Band im letzten Drittel des Konzerts ein zwei Songs dauerndes „Akustikset“ einlegt. Während Schlagzeuger Carlos Pause macht, placieren sich Waters, Padden (jetzt ohne Gitarre) und Campuzano auf Barhockern und geben „Phoenix Rising“ und „Sounds Good To Me“ zum Besten. Paddens Gesang dabei nicht weniger als gänsehautfördernd und auch Campuzano beweist sich als veritabler Backgroundsänger.

Nach über 100 Minuten Spielzeit und dem standesgemäßen Abschluss durch „Alison Hell“ ist Schicht im Schacht. Wenn ich an einem Donnerstagabend nicht darauf angewiesen wäre, die letzte S-Bahn Richtung Heimat noch zu erwischen, hätte das Konzert von mir aus auch noch eine Stunde länger dauern können. ANNIHILATOR haben einfach alles geboten, was man sich bei einem Metalkonzert wünscht.

Fotos © BurnYourEars / Fabien Blackwater