"Äh...hallo? Wisst ihr, wo das Glanz & Gloria ist?" – "Hier!". So geschehen am 04. April 2008 in Osnabrück.
So schlicht kann ein Konzertabend mit OCEANSIZE beginnen, also jener Band, die für sich das haushohe Ziel ausgegeben hat, "the biggest music possible" zu erschaffen (keine Ahnung, ob diese Worte von der Band selbst stammen oder ihr von Wem-auch-immer in den Mund gelegt wurden). Und heute, beim ersten Gig der Europatour und nur wenige Tage vor den Shows als Vorband von COHEED AND CAMBRIA, war das gut gefüllte Glanz & Gloria in der Osnabrücker Innenstadt ausersehen, von der Macht des ozeanweiten Sounds überschwemmt zu werden.
Was zunächst etwas pathetisch klingt, nimmt nach dem kleinen Intro mit den ersten Tönen von "Unfamiliar" vom aktuellen "Frames"-Album in grandioser Weise Gestalt an. Ein gaaanz breiter Sound füllt die kleine Örtlichkeit vollständig aus und lässt jeden im Raum mitwippen. Die Fülle der Eindrücke erschlägt: Picking von der einen Gitarre, Riffs von der anderen und verzerrtes Geschrammel von der dritten, untermalt vom wühlenden Bass und einem Schlagzeug, das nur seltenst "normale" Sachen spielt.
Während das Publikum schon in Fahrt kommt und die Hitze Kollege Marco aus den vorderen Reihen vertreibt, wirken die fünf Briten auf der Bühne noch etwas unbeholfen. Fast so, als trauten sie sich kaum, sich zwischen den zahlreichen Effektgeräten zu bewegen. Auch Mike Vennart (Lead Gesang, Gitarre) kommt erst nach einigen Minuten in Fahrt. Es ist beeindruckend mitzuerleben, wie dieser Typ, dem man auf den ersten Blick vielleicht eher Britpop- oder Indie-Gesang der nöligeren Sorte zutrauen würde, von Sekunde zu Sekunde in die großen Melodiebögen reinwächst. Die ganze Band scheint zunächst in den verträumteren Passagen aufzugehen, häufig auch mit geschlossenen Augen vor sich hinlächelnd. Nach und nach wendet sich Mike Vennart häufiger ans Publikum und freut sich über die gute Stimmung im vollen Glanz & Gloria. Doch der unruhige Bass von "One Day All This Could Be Yours" holt einen wieder in die bisweilen düstere Klangwelt des Quintetts aus dem Raum Manchester zurück. Steven Hodson bleibt mit seinem Viersaiter das ganze Konzert in der hintersten rechten Ecke, setzt sich nur manchmal wie auch Gitarrist Stanley 'Gambler' Posselthwaite für Piano- und Orgelsounds ans Keyboard. Mike Vennart wechselt zwischenzeitlich immer wieder zwischen seinen beiden Mikros hin- und her, um mal mit und mal ohne Effekt das gesamte Laut/Leise-Spektrum auszutesten. An den brachialen Stellen gehen alle mächtig ab, wenden sich dabei aber leider fast ausnahmslos der Bühnenmitte zu, wie es mehr zu einer Probe als zu einem Konzert passt. In diesen Momenten wirken sie einfach nur wie musikverrückte Jungs und weniger wie die Erschaffer dreier epischer, komplexer Alben.
Nach dem in seiner zweiten Hälfte heftig Fahrt aufnehmenden "Trail Of Fire" legt "Sleeping Dogs And Dead Lions" bretthart los und fackelt ein Ideenfeuerwerk ab, das für drei Songs gereicht hätte. "Music For A Nurse" entführt wieder in weitläufige Traumwelten, das folgende "Catalyst" stellt den typischen Breitwandsound und sehr trocken gespielte Passagen gegenüber und gipfelt in einer Steigerung, die niemanden kalt lässt. Allein schon das mit herrlich stoischen Mienen vorgetragene Wechselspiel der drei Gitarren zu Beginn ist ein Erlebnis für sich. Dann kommt "A Homage To A Shame", ein auch live sagenhafter Song, der nun wirklich alles enthält, was diese Band einzigartig macht, und bei dem Mike Vennart mal so richtig schreien darf. Mal wieder fällt die tolle Leistung von Mark Heron am Schlagzeug auf. In vertrackte Beats baut er eine intensive Steigerung ein und als dann alle drei Gitarren synchron einsetzen explodiert der Song geradezu. Mike Vennart lässt sich gar kurz dazu verleiten, mit den Zähnen auf den Saiten zu schrammeln. Und höre ich da nicht kurz eine Double Bass-Attacke, die in der Albumversion nicht auftaucht?
Nach einem kleinen "power nap", wie Vennart ein kurzes, aber gemächlich gestaltetes Trinkpäuschen nennt, geht die Reise durch alle drei Alben weiter. "Remember Where You Are" wird grinsend mit den Worten angekündigt: "The next one was a single five years ago. You didn't know that, did you?". Besonders hervorzuheben ist noch "Ornament / The Last Wrongs", einer meiner heiß ersehnten Lieblingssongs. Und was soll ich sagen? Kann es einen besseren Abschluss für dieses Set geben, als den vielleicht hymnischsten Song der letzten Jahre? Absolut grandios!
Nach mächtig viel Applaus kehren die Jungs mit dem Spruch "We're sweating and smelling – that's good vibes!" auf die Bühne zurück und servieren mit dem gut achtminütigen "Women Who Love Men Who Love Drugs" noch einen weiteren echten Brocken als Zugabe. Leider verschwindet die bejubelte Band dann aber endgültig von der Bühne, und auch der hartnäckige Applaus kann sie nicht zu einer weiteren Zugabe bewegen.
Als ich mich nach den gut eineinhalb Stunden zum Ausgang wende, sehe ich viele wegen der Enge des Ladens schweißnasse und sehr glücklich wirkende Gesichter. Bleibt anzumerken, dass ich mir zuerst etwas mehr Interaktion mit dem Publikum gewünscht hatte, aber dann kommt die Erkenntnis, dass dies der äußerst intensiven und irgendwie entrückten Atmosphäre geschadet hätte. Der mit drei Gitarren und einem Keyboard schwer abzumischende Sound war zumindest dort, wo ich stand, durchaus gut. Allerdings hatten diejenigen, die die Songs schon kannten, einen klaren Vorteil. Denn machen wir uns nichts vor: Im Grunde ist der Widescreen-Sound dieser Band einfach zu gewaltig für so einen gemütlichen Schuppen wie das Glanz & Gloria.
Letztlich gehen wir glücklich, OCEANSIZE nicht nur als Vorband gesehen zu haben, und mit der Gewissheit, soeben eine der besten progressiv ausgerichteten Rockbands erlebt zu haben!
Heißer Tipp: Kürzlich haben OCEANSIZE eine Special Edition des aktuellen Albums "Frames" herausgebracht, die auf der zusätzlichen DVD u.a. alle Songs des Albums als Livevideo enthält
Setlist:
Intro Unfamiliar One Day All This Could Be Yours Trail Of Fire Sleeping Dogs And Dead Lions Music For A Nurse Catalyst Homage To A Shame Only Twin Remember Where You Are Ornament / The Last Wrongs
------------------------------------------------------- Women Who Love Men Who Love Drugs
www.oceansize.co.uk
Oceansize - Osnabrück / Glanz & Gloria, 04.04.08
(c) Lars Bayer
Bildergalerie
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