Für die Presse gibt es an diesem Dienstagabend keine Gästeliste, dafür immerhin verbilligten Eintritt – zehn statt 18 Euro. Für diese Band hätte ich auch den vollen Preis bezahlt.
Dass sich nur ca. 60 Leute im White Trash einfinden, legt die Vermutung nahe, die Vorverkaufszahlen seien für die Zehn-Euro-Liste am Einlass verantwortlich. Zusammen mit den überzogenen T-Shirt-Preisen von GHOST (20 Mäuse für ein Shirt) bekommt man leicht den Eindruck, ein durch die Tour drohender Verlust müsste mit allen Mitteln abgefedert werden. Eigentlich unverständlich, denn erst vor ein paar Wochen platzte das White Trash beim Auftritt von THE DEVIL'S BLOOD aus allen Nähten – GHOST und BLOOD CEREMONY bedienen das gleiche Publikum.
Mit der im Club üblichen Stunde Verspätung betreten BLOOD CEREMONY um 22 Uhr die Bühne. Die Kanadier um Frontfrau Alia O'Brien haben im Frühjahr ihr zweites Album veröffentlicht und sich dem entsprechend eine gut sechzigminütige Setlist zusammengestellt. Selbige bietet eine sehr gute Mischung der beiden Alben (vom Debüt sind u.a. „Hop Toad“ und „Return To Forever“ dabei), jedoch sind die großen Songs von „Living With The Ancients“ unzweifelhaft die Fixpunkte im Programm. „Oliver Haddo“ und der famose Schlusssong „Daughter Of The Sun“ werden kräftig abgefeiert.
O'Brien im flotten Glitzerminikleid ist der unumstrittene Mittelpunkt der Band. Mit Jon-Lord-esquer Konzentration beackert sie die Tasten ihrer Orgel, stets im Wechsel mit teuflischer Trance. Bei den wenigen Gesangsstellen reißt sie die Augen weit auf und breitet beschwörerisch die Arme über dem dichtgedrängten Publikum aus. Unmöglich, den Blick von ihr zu lassen! Die Kollegen Sean Kennedy (Gitarre) und Lucas Gadke (Bass) sind trotz exzellenter spielerischer Leistung – der Vibe der 70-ies durchflutet die Diamond Lounge mit sirupartiger Intensität – eher Nebendarsteller; Drummer Andrew Haust ist an seinem Platz weit hinten auf der schmalen, aber tiefen Bühne kaum wahrnehmbar.
Doch selbst wenn Haust mit seinem Drumset ganz vorn oder mitten im Publikum sitzen würde, wären alle Blicke auf Alia O'Brien gerichtet. Was für eine Frau! Was für eine Ausstrahlung! Obwohl sie kein einziges Mal lächelt und nur zwei kurze Ansagen gibt, möchte ich wetten, dass mindestens die Hälfte der anwesenden Kerle sich sofort in sie verliebt haben.
Lächeln darf man von GHOST gar nicht erst erwarten, treten die anonymen Musiker doch stets bis zur Unkenntlichkeit verkleidet auf. Nach langer Umbaupause erklingt ein ruhiges, kirchenorgelartiges Intro. Kleine technische Schwierigkeiten zwingen zum wiederholten Beginn, was ein paar Störenfriede zum Anlass nehmen, nach BLOOD CEREMONY zu schreien.
Als das Intro jedoch endlich ohne Knackser und Aussetzer läuft, betritt der Todespapst (so nenne ich den Sänger einfach mal) mit bedächtigem Schritt die Bühne. Er trägt eine seidene Robe mit roten Säumen und silbernen Verzierungen; zahlreiche umgedrehte Kreuze schmücken den Stoff. Das Gesicht mit der Horrormaske eines alten Mannes verdeckt, welche schwarz und weiß zu einer Todesfratze verfremdet wurde. Die hervorstechenden Augen tragen weiße Kontaktlinsen; die Papstmütze, schwarze Lederhandschuhe und ein hoher Kragen verdecken auch noch das letzte Merkmal der Person hinter der Verkleidung. Die restlichen Musiker sind in schwarze Sensenmann-Roben gehüllt und tragen schwarze Pestmasken vor den Gesichtern. Einzig deren Hände, die Ringe und das Equipment geben Hinweise darauf, wer sich hinter GHOST versteckt. Nahezu unlösbare Hinweise, wohlgemerkt.
Weihrauch schwenkend schreitet der Todespapst während des Intros von „Con Clavi, Con Dio“ zum Mikrofon. Der angenehme Geruch erfüllt schnell den gesamten Raum und verbreitet eine sakrale Atmosphäre. Mit gebieterischen Gesten breitet er die blasphemischen Texte ins gebannte Publikum aus. Ansagen gibt es selbstverständlich keine (man erinnere sich an THE DEVIL'S BLOOD).
Die Setlist besteht aus dem kompletten Debütalbum „Opus Eponymous“, jedoch in veränderter Reihenfolge. Mehr Songs gibt es nicht, weshalb manche instrumentalen Stellen ausgewalzt und die Übergänge mit mystischen Sounds verlängert werden. Der sehr jungen Bandgeschichte zum Trotz spielen die Musiker mit traumwandlerischer Sicherheit und blindem Verständnis untereinander, alle Songs werden fehlerfrei und mit Verve wiedergegeben.
Die sterblichen Seelen im Publikum liegen derweil dem Todespapst zu Füßen. Die Arme wie nach einem Heilsbringer ausgestreckt, wölbt sich die gesamte Zuschauermasse in Richtung des behandschuhten Zeremonienmeisters. Wer vorn steht, spürt den Atem des Todes von der Bühne und den Druck eines begeistert-besessenen Publikums von hinten. Interessanterweise halten sich die Anwesenden mit dem Hochstrecken der Teufelshörner zurück.
Zum Schluss, beim famosen „Ritual“, werden noch Hostien und roter Wein ausgeschenkt, bevor sich die Musiker andächtig wie bei einer Prozession in den Backstage zurückziehen. Wenn das der (echte) Papst wüsste...
Fotos © BurnYourEars / Fabien Blackwater