Geschrieben von Mittwoch, 01 Juni 2011 00:00

Rush - Frankfurt, Festhalle

Rush_2011_Titel

29.05.2011 - Nach knapp vier Jahren Wartezeit war es endlich wieder so weit: Die kanadische Prog-Legende RUSH kehrte in die alte Welt zurück und beehrte Deutschland mit immerhin einem Zwischenstopp auf ihrer Time Machine Tour.

Die zwischenzeitlich schon als ausverkauft gemeldete Festhalle in Frankfurt, bei der erst auf den letzten Drücker noch Kontingente auf dem zweiten Rang zum Verkauf freigegeben wurden, ist nahezu ausverkauft. Im Innenraum ist kein freier Platz mehr zu ergattern und man fühlt sich wie in einem Schnellkochtopf. Kein Wunder: Nachdem die R30 Tour 2004 immerhin noch vier deutsche Städte im Programm hatte und die Konzertreise zum nach wie vor aktuellen „Snakes And Arrows“ Album hierzulande wenigstens noch zwei Mal Station machte, bleibt den „Russians“, wie sie US Komiker Stephen Colbert einst scherzhaft nannte, dieses Mal nur die Reise in die hessische Metropole.

Das erste Set beginnt, wie man es von RUSH gewohnt ist, mit einem Video-Intro. Darin werden dieses Mal die Anfänge der Band als Polka-Trio in einem Imbiss mit jüdischen Wurstspezialitäten beleuchtetet, das nur durch die Erfindung eines verrückten Wissenschaftlers zur heute bekannten Prog-Großmacht werden konnte. Der Geschichtsunterricht setzt sich auch in den ersten Songs fort. Im Gegensatz zu vielen Kollegen, die ihr Publikum gleich am Anfang eines Konzerts mit neuem Material traktieren, liefert das Trio zunächst vier Klassiker, bevor es den ersten Track aus dem immer noch aktuellen Album zu hören gibt.

Zum ersten Mal seit der Rückkehr nach Europa haben RUSH ein einheitliches Bühnenbild, das sich – dem „Time Machine“ Motto entsprechend – ansatzweise an dem gleichnamigen Roman von H.G. Wells orientiert. So sind die Gitarrenverstärker von Kulissen versteckt, und auch hinter Geddy Lee, der seine Verstärker in der Vergangenheit schon mal gegen Waschmaschinen, Snackautomaten oder gleich eine Hähnchenbraterei ausgetauscht hat, steht ein Teil der Maschine. Selbst das Schlagzeug ist passend zum Thema beklebt. Ebenfalls im an das Motto angelehnten Design wurde ein nahezu kompletter Satz Hintergrundvideos produziert, die während der Songs mitlaufen. Nur das Video zu „Leave That Thing Alone“ war bereits bekannt.

Auch wenn der ursprünglich angepeilte Veröffentlichungstermin für das kommende Album „Clockwork Angels“ nicht eingehalten wurde, haben RUSH zumindest zwei neue Songs im Gepäck. „Brought Up To Believe“ ist einer davon, der live extrem heavy rüberkommt. Mit „Free Will“ und „Subdivision“ kommen danach noch zwei meiner absoluten Lieblingssongs der Kanadier, sowie „Marathon“ vom „Power Windows“ Album, bevor Geddy dem Publikum erklärt, dass die Band aufgrund ihres enormen Alters jetzt doch dringend eine Pause bräuchte.

Den Löwenanteil des zweiten Sets macht das komplett gespielte „Moving Pictures“ Album aus. Auch wenn ich grundsätzlich kein großer Fan solcher Aktionen bin (es gibt in der Regel gute Gründe, dass bestimmte Songs eher selten den Weg in die Setlist finden), muss man in diesem Fall zugeben, dass große Teile der Platte ohnehin bei keinem Konzert des Trios fehlen sollten. Leider scheint man am Mischpult in der zweiten Hälfte keine passende Einstellung mehr zu finden. Die Instrumente klingen teilweise sehr matschig und undifferenziert, und auf dem Gesang liegt in einigen Passagen so viel Hall, dass es schwer ist, den Text zu verstehen.

Vom genialen Video, in dem die Band als Kinder, Babies und Schimpansen zu sehen ist (auch wenn ich das „Tom Sawyer“ Southpark Intro von der letzten Tour etwas vermisse) zum Einstieg in das zweite Set, bis „Vital Signs“ spielt die Band ihr Album mit der größten Hit-Dichte, um danach mit „Caravan“ den zweiten Song vom kommenden Album folgen zu lassen.
Bei seinem Solo zeigt Neal Peart ein weiteres Mal, warum er Vielen als der beste Drummer überhaupt gilt, auch wenn zumindest der Teil mit den getriggerten Drums dieses Mal etwas wirr und uninspiriert wirkt. Ähnlich wie die ganze Band im zweiten Set scheint auch der Schlagzeug-Gott einige Male rhythmisch hörbar neben der Spur zu liegen.

Auf „Closer To The Heart“ hatte ich mich besonders gefreut. Und wenn der Song zehn mal eine kommerzielle Standardnummer ist, ich mag ihn und hatte ihn bei den letzten beiden Touren vermisst. Mit der neuen, ab der zweiten Strophe deutlich langsameren Version kann ich mich allerdings überhaupt nicht anfreunden. Mit den beiden ersten Stücken des genialen „2112“ Albums (die A Seite würde ich gerne mal komplett live hören) und „Far Cry“ vom letzten Album folgt danach auch schon der Endspurt des regulären Sets.

Nach kurzer Pause kommen RUSH zurück auf die Bühne und entlassen ihr Publikum mit zwei Zugaben und einem weiteren genialen Video in den Feierabend, wobei mich auch die Reggae-Interpretation von „Working Man“ nicht begeistern kann. Das Stück verliert einfach viel von seiner Wirkung.

RUSH sind und bleiben auf der Bühne eine Bank, und die „Time Machine“ Tour dürfte zu dem Besten gehören, was man dieses Jahr in deutschen Hallen zu sehen bekommt. Besonders das zweite Set hatte aber seine Längen und Schnitzer, die man so von dieser Band nicht gewohnt ist. Doch das ist sicher Jammern auf höchstem Niveau.
Es bleibt spannend, ob es zum kommenden Album, von dem man laut Geddy hofft, dass es Ende dieses Jahres fertig wird, einen weiteren Abstecher nach Europa geben wird. Man munkelt bereits jetzt über eine Verpflichtung für ein englisches Festival im nächsten Jahr. So bleibt Hoffnung, dass das nicht der letzte Abstecher in unsere Ecke der Welt gewesen ist.


Setlist:

Spirit Of Radio
Time Stand Still
Presto
Stick It Out
Working Them Angels
Leave That Thing Alone
Faithless
Brought Up To Believe
Free Will
Marathon
Subdivisions

Tom Sawyer
Red Barchetta
XYZ
Limelight
The Camera Eye
Witch Hunt
Vital Signs
Caravan
Drum Solo
Closer To The Heart
2112: Overture
2112: The Temple Of Syrinx
Far Cry

La Villa Strangiato
Working Man

Fotos © BurnYourEars / Thorsten Beermann