BurnYourEars war beim Wacken:Open:Air 2011 – warum es das bisher beste W:O:A war, lest ihr in unserem großen Festivalbericht!
Mittwoch, 3. August
[Fabien] Nach Hamburg-Durchfahrt und mehreren Staus zwischen Pinneberg und Itzehoe kommen wir sicher und wohlbehalten in Wacken an. Die Ortsdurchfahrt bleibt uns erspart, da der Check-In für die Presse gleich hinter dem Ortseingang liegt. Leider sind beim Check-In die Schlüsselbändchen ausgegangen – und wie sich herausstellen wird, bleibt das Besorgen derselben auch die weiteren Tage ein Problem. Trotz der wie immer grandios ineinander greifenden Logistik in Wacken scheinen in diesem Jahr ausgerechnet die Schlüsselbändchen Mangelware zu sein.
Da es am Mittwoch traditionell eher ruhig ist, können wir in aller Ruhe Freunde auf dem Campingplatz besuchen und uns mit dem Wackinger Village und der neuen Bühne "Bullhead City" vertraut machen. Diese steht ungefähr dort, wo in den letzten Jahren der Eingang zum Wackinger Village war und ist ein zirkusartiges Zelt, in dem eine Bühne mit Laufsteg und anschließendem Boxring aufgebaut ist. Hier sehen wir auch die erste Runde von "Masters Of Comedy" mit Konrad Stöckel und Mambo Kurt, die sich aber als leidlich lustige Ansammlung von peinlichen Albernheiten heraus stellt. Der beste Moment ist der, in dem Konrad Stöckel einen meterlangen Schlauchluftballon schluckt und anschließend seelenruhig weiter moderiert.
Darüber hinaus ist am Mittwoch nicht mehr viel los. Die ersten Campingplatz-Impressionen sind noch von ruhiger Natur; die Leute sind noch vergleichsweise sauber und nüchtern. Ein guter Grund, die Bierreserven einer ersten Belastungsprobe zu unterziehen!
Donnerstag, 4. August
[Fabien] Morgens um zehn sind alle Warmwasserreserven bei den Duschen längst aufgebraucht. Im Pressebereich herrscht bereits geschäftiges "Guten-Morgen-Hallo"-sagen, während im Metal Market und im Wackinger Village die meisten Gesichter von langen Nächten und wenig Schlaf zeugen.
Da die Hauptbühnen True und Black Stage an diesem Tag erst gegen Nachmittag öffnen, ist der erste Programmpunkt um 14 Uhr JIM BREUER im Bullhead City. Der US-amerikanische Komiker, bekannt aus Saturday Night Life, ist bekennender Heavy-Metal-Fan und wird von einem gut gefüllten Zelt frenetisch begrüßt. Aus gutem Grund, denn seine Darstellungen von James Hetfield, Brian Johnson und Ozzy Osbourne suchen ihresgleichen! In seine brüllkomischen Geschichten von jugendlichen Sauftouren und seinem ersten Metallica-Konzert baut er geschickt Witze über die Metalkultur allgemein und den Gesundheitszustand von Ozzy ein. Als er "Metal Mike" aus dem Publikum auf die Bühne bittet und – bluesig unterstützt von seinem Gitarristen Chris – einen Gesang mit dem Titel "Vier Uhr morgens, ich bin total besoffen" anstimmt, gibt es kein Halten mehr. Der Überwahnsinn.
Direkt im Anschluss spielen KVELERTAK. Trotz des Laufstegs, der den Innenbereich und damit das Publikum in links und rechts teilt, beweist sich die norwegische Abrissbirne als heimlicher Opener des Festivals. Der Boxring stellt für Sänger Erlend jedoch keine Hürde dar – er rennt, springt und klettert an allen Aufbauten herum, verlässt die Bühne und crowdsurft im Publikum herum. Am Ende der 45 Minuten Spielzeit tropft der Schweiß von der Decke.
[Vero] Von Hamburg nach Wacken in gigantischen 45 Minuten. Zwischenzeitlich kam im Auto die Frage auf, ob es auch das richtige Wochenende ist, an dem wir uns auf den Weg gemacht haben. Nicht ein Zentimeter Stau auf der kompletten Strecke. Aber in dem Moment, in dem wir auf das Gelände biegen, merken wir sofort: Wir sind nicht allein. Ganz im Gegenteil. Es ist voll. Und zwar überall, denn das größte Metal-Festival der Welt ist zum wiederholten Male restlos ausverkauft.
Nach einem Highspeed-Zeltaufbau, auf den jeder Pfadfinder stolz gewesen wäre, wird erst mal kräftig zelebriert, dass man endlich wieder im Holy Wacken Land ist. Vor lauter Freude der Beteiligten kommt sogar die Sonne aus Versehen raus und schaut sich an, was auf den Ackern los ist.
Der erste musikalische Termin für meinen Tag ist dann die norwegische Punk-Metal-Band KVELERTAK, die die Bullhead City zum Kochen bringt. Keine Ahnung ob es am Alkohol, an der schummerigen Atmosphäre im Zelt, an meinen großartigen Mitcampern oder tatsächlich an der Band liegt, aber die Jungs machen richtig Spaß. Insbesondere Sänger und Hobbyflummi Erlend Hjelvik, der wie ein Wilder über Laufsteg, Wrestlingring und Bühne hopst, sorgt mit seiner voluminösen Stimme für viel Begeisterung. Und obwohl die Songs alle samt auf Norwegisch vorgetragen werden, hat man irgendwie doch das Gefühl, als würde man sie verstehen. Memo an mich selbst: Vielleicht wäre ein Wasser jetzt gut…
[Fabien] Der nächste Programmpunkt ist BLIND GUARDIAN auf der Black Stage. Die Männer spielen ein anderthalbstündiges Set, das hauptsächlich die neuere Hälfte der Diskographie abdeckt. Auf Videoprojektionen wie bei der vergangenen Tour wird verzichtet, was insofern schade ist, als dass das Sextett nicht gerade viel an Stageacting an den Tag legt. Hansi Kürsch bewegt sich kaum vom Mikroständer weg, dennoch ist der Auftritt sympathisch und dürfte viele alte Fans befriedigt und neue hinzugewonnen haben.
[Vero] Memo einige Stunden später: Ja, ein Wasser wäre gut gewesen. Aber die Einsicht kommt zu spät. An unserem Pavillon ist es so gemütlich dass wir zusehends versacken und so ziemlich alles verpassen, was am Donnerstag noch auf den Bühnen spielt. Eigentlich nicht schlimm, denn die richtigen Highlights kommen in den folgenden zwei Tagen. Nur schade, dass der Auftritt von Metal-Opa und Kult-Doku-Vater Ozzy Osbourne an mir vorbei geht. Aber so ein lauschiger Sommerabend unter Freunden ist wahrscheinlich nicht die schlechteste Alternative.
[Fabien] Der eigentliche Höhepunkt des gesamten Festivals ist im Anschluss OZZY OSBOURNE auf der True Metal Stage. Auf den Campingplätzen ging im Vorfeld das Gerücht um, man habe an der Bühne extra Rampen mit Handläufen installiert, damit der Meister keine Treppen zu steigen habe. Zusammen mit unzähligen Witzen um seinen Gesundheitszustand entsteht so eine außergewöhnliche Vorfreude auf den anderthalbstündigen Auftritt – und wer behauptet, Ozzy nicht sehen zu wollen, wird gerechterweise mit Verachtung gestraft.
Als der Prince Of Darkness pünktlich um 22:30 Uhr die Bühne betritt, dürfte sich so mancher Zweifel in Luft aufgelöst haben. Ozzy ist agiler und beweglicher, als die meisten es erwartet hätten. Er springt und läuft auf der Bühne hin und her, motiviert das Publikum und fordert es mit tausendmaligem "I can't fucking hear you!" heraus. Obwohl einige Textzeilen etwas unsicher herüber kommen und viele Melodien im Sumpf seiner alkoholgeschädigten Stimme verschwinden, liefert der Meister einen erstaunlich spaßigen Auftritt ab! Bis auf "Dreamer" (den eh kaum einer hören wollte) bringt er alle Songs, die man von Ozzy liebt und hören möchte, inklusive "Mama I'm Coming Home" und den Sabbath-Klassikern "War Pigs" und "Paranoid". Über die Band braucht man natürlich kein Wort zu verlieren, Gus G und seine Mannen liefern einen exzellenten Job ab. Alles in allem wird der "Hauptsache, mal Ozzy live gesehen"-Faktor von einem begeisterten "Alter, so gut hätte ich das nie erwartet" übertönt. Das Schaum-Schlauch-Spritzen ins Publikum übersieht man augenzwinkernd, und dass Ozzy sogar in Partylaune seine Hose runterlässt und 80.000 Menschen seinen blanken Hintern präsentiert, bleibt bestimmt nur positiv im Gedächtnis. Fazit: Ozzy rockt! Wer hätte das gedacht?
Freitag, 5. August
[Vero] Holla, die Waldfee. Habe mich in meinem Leben schon deutlich fitter gefühlt und auch so ausgesehen. Aber hey, es ist Wacken und das muss eben gefeiert werden. Erstaunlicherweise schaffe ich es sogar, gegen 12 Uhr bereits auf dem Gelände zu sein, um bei ENSIFERUM und PRIMAL FEAR reinzuhören. Ehrlich gesagt beides nicht unbedingt meine Lieblingsbands, aber die Stimmung am Mittag bei den Bühnen ist eine ganz Besondere. Es ist noch relativ leer und man kann sich frei bewegen. Genau der richtige Moment also, um zur Power-Metal-Hymne „Metal Is Forever“ eine kleine Shoppingtour einzulegen. Denn nicht nur musikalisch bietet das Wacken Open Air alles, was das Metallerherz begehrt. Kleidung, Accessoires, Schuhe mit meterhohen Plateauabsätzen, Wanderstöcke mit Totenköpfen, Vampirzähne, Poster, Voodoopuppen, Holzvibratoren, Hockeymasken, Badges und Nietenunterwäsche. Es gibt wirklich nichts, was es nicht gibt an den zahlreichen Ständen. Ich lasse mich vom Gewirr der Farben und Formen durch den Markt tragen und genieße die Sonne.
Gekauft habe ich dann aber trotzdem nichts, immerhin bin ich ja in erster Linie wegen der Bands hier, und SUICIDAL TENDENCIES stehen bereits auf der Party Stage in den Startlöchern. Auf den ersten Blick hat die Band nichts mit Metal zu tun. Der optische Einfluss erinnert eher an eine Hip-Hop Skater Kombo. Eigentlich nicht verwunderlich, denn gerade in der Skaterszene sind die Herren aus Venice Beach immer noch wahre Helden. Der – meiner Meinung nach – ziemlich monotone Sound, der aber trotzdem ins Ohr geht, wird durch ziemlich lustige Tanzeinlagen von Sänger Mike Muir aufgelockert. Solltet ihr irgendwo ein Video vom Auftritt finden, schaut es euch an. Unfreiwillig komisch.
[Fabien] Erster Tagesordnungspunkt am Freitag sind ENSIFERUM auf der Black Stage – wobei sich 12 Uhr mittags wie kurz nach dem Aufstehen anfühlt und viele der Anwesenden statt Bier Kaffee in der Hand halten. Die "Victory Songs" der fünf Schwertschwinger werden aber schon zu so früher Stunde frenetisch vom Publikum abgefeiert und bilden somit einen guten Auftakt.
Nach verspätetem Dosenfrühstück auf dem Campingplatz stehen MORBID ANGEL auf dem Plan. Die Freude, wenigstens einmal im Leben die Death-Metal-Legenden zu sehen, weicht schnell der Ernüchterung. Bewegung auf der Bühne oder Interaktion mit dem Publikum sucht man vergeblich, die wenigen Ansagen David Vincents bestehen hauptsächlich aus Kraftausdrücken. Der Sound ist wie von den Alben bekannt: das Schlagzeug und Mr. Vincents Stimme im Vordergrund, Gitarren kaum hörbar. Nach den Klassikern "Fall From Grace" und "Maze Of Torment" werden gleich mehrere Stücke des unsäglichen neuen Albums gespielt, wobei sich herausstellt, dass die schöneren Gitarrensoli nicht von Trey Azagthoth, sondern von Destructhor stammen! Die Selbstdemontage einer Legende ist hiermit abgeschlossen.
Nach dieser Enttäuschung geht es zurück in den Pressebereich, um im Gibson-Bus ein Interview mit EDGUY zu filmen.
[Vero] Die morbiden Engel (MORBID ANGEL), die im Anschluss auf der Black Stage auftreten, gefallen mir ziemlich gut. Auch wenn die Frage: “Are you feeling morbid?“, der Kunstnebel und der düstere, operale Gesang nicht so ganz zum strahlenden Sonnenschein und den gefühlten 30 Grad passen wollen.
[Fabien] Die anschließenden zwei Stunden werden im Pressezelt genutzt, um Akkus aufzuladen, Material zu sichten und Interviews vorzubereiten. Denn danach steht auch schon das Treffen mit meinen Lieblingen von SKELETONWITCH auf dem Plan – das sich dann leider doch etwas nach hinten verschiebt, da scheinbar alle Handyakkus leer sind und Promoter Niels die Band erst im Backstage zusammen suchen muss. Macht aber nichts, denn kurz darauf ist eh ein weiterer Interviewtermin mit AIRBOURNE anberaumt – doch auch dieser muss ausfallen, weil Roadrunner Records den Termin versaubeutelt hat. In diesem Moment wird jedem von uns endgültig klar, welche reinigende Wirkung für die Seele das W:O:A immer wieder hat. Scheiß auf den verpassten Termin! Zurück zum Zelt, Bier aufgemacht und angestoßen! Wir sind in Wacken, was kann es Schöneres geben?
[Vero] Nach SODOM und MORGOTH folgt dann eines der Line-Up-Highlights: JUDAS PRIEST, eine der legendären Bands der frühen Metalzeiten, entern die Bühne. Hier möchte ich mich mit meiner Meinung ein wenig zurückhalten. Nur so viel sei gesagt: Alleine die Aussagen unseres Camps reichten von: „Dass die sich überhaupt noch auf die Bühne trauen! Halford kann doch keinen Ton mehr halten und klingt wie ne alte Frau. Und überhaupt! Dieses Gitarrensolo: Lächerlich!“ bis zu: „Ich bin total geflasht. Priest haben mich absolut überzeugt. Geilster Auftritt des Tages.“ Wieder der perfekte Beweis dafür, dass Musik absolut subjektiv ist.
Den musikalischen Abschluss meines persönlichen Festivaltages bestreiten dann KYUSS LIVES. Die sympathischen Stone Rocker aus Los Angeles. Die so dermaßen gut abliefern, dass eine Stunde Auftrittszeit einfach zu kurz ist. Auf jeden Fall empfehlenswert.
Da an diesem Abend niemand mehr auf der Bühne steht, der mich interessiert oder den ich nicht schon gesehen hätte, mache ich mich auf zu einem nächtlichen Ausflug zum Wackinger Village, um einen Met zu trinken und den Feuertänzern zuzusehen. Mir entgegen kommen Wikinger und Barbaren mit Fellen und Schwertern, leicht bekleidete Mägde und Knechte und… gar nicht bekleidete Knechte. Nein Jungs, ich muss euch enttäuschen: die Mägde waren wirklich alle angezogen. Unweigerlich stelle ich mir die Frage, weshalb es immer die Menschen sein müssen, die niemand nackt sehen will, die sich auf dem Wacken ausziehen. Und was treibt sie dazu, freischwingend durch die regnerische Nacht zu laufen und „Free hugs!“ zu schreien? Einmal im Jahr ist wohl alles erlaubt und alles passiert auf diesem Gelände. Manchmal so viel gleichzeitig, dass man gar nicht weiß, wo man hinsehen oder -hören soll. Ich will heute auf jeden Fall nichts mehr sehen und hören und krieche in mein Zelt. Morgen kommen THE HAUNTED. Yeah!
[Fabien] Pünktlich um 20 Uhr treffe ich mich mit SKELETONWITCH am "Metal Hammer"-Bus. Die Wiedersehensfreude ist groß und noch größer ist meine Vorfreude auf das neue Album, zu dem ich Scott und Nate ausführlich befrage.
Im Anschluss findet der zweite Höhepunkt des Festivals statt: JUDAS PRIEST spielen eine über zweistündige Show und ziehen alle Register ihres Könnens. Dass statt K. K. Downing ein Jungspund namens Richie Faulkner auf der Bühne steht, ist aufgrund des famosen Zusammenspiels Faulkners mit Glenn Tipton kaum zu merken. Sehr positiv fällt außerdem auf, wie gut Rob Halford stimmlich aufgelegt ist – verglichen mit dem letzten Live-Album "A Touch Of Evil" (2009) klingt der "Metal God" wie neugeboren. Angenehm sind auch seine Ansagen: sachlich und auf den historischen Kontext bezogen. Die Songauswahl beinhaltet alle Klassiker und die wichtigsten Songs der jüngeren Diskographie – an diesem Auftritt gibt es wirklich nichts auszusetzen. Ganz groß!
Zugunsten eines großen Leute-Kennenlern-Spaziergangs über die Campingplätze und das Wackinger Village schenken wir uns die weiteren Bands des Abends. TRYPTIKON sollen gut gewesen sein, lassen wir uns berichten, und dass AIRBOURNE niemals enttäuschen, ist genau so vorhersehbar wie es außergewöhnlich ist. Nach vielen Gesprächen mit Standbetreibern, tausendmaligem Anstoßen und Zuprosten mit holden Mägden und dem gefühlt zwanzigsten Bier geht es dann auch bald zurück ins Zelt.
Samstag 06.08.2011
[Fabien] Um halb zwölf erwartet mich der "Vater von Gott" Alf Ator, Chef von Deutschlands meister Band der Welt KNORKATOR, zum Interview. Trotz der frühen Stunde ist der Meister gut aufgelegt und plaudert frei von der Leber weg über das kommende Album, Bühnenpannen und seine Vorbilder als Songschreiber:
Mittags sind wir mit Bastian von VAN CANTO und IN LEGEND auf dem Campingplatz R verabredet, wo gemeinsam mit dem In-Legend-Fanclub spontan ein Musikvideo gedreht werden soll. Da Bastian ein sehr umgänglicher Mensch ist und von allen geliebt wird, sind statt der geplanten zwei sogar vier Kameras und drei Fotografen vor Ort. Was in dem Video zu sehen sein wird, wird hier noch nicht verraten – nur so viel: Es hat höllisch viel Spaß gemacht!
Nach dem Videodreh ist Zeit, um der Shopping Area mal einen Besuch abzustatten und sich mit Lederarmbändern, CDs und Aufnähern einzudecken. Im Nuclear-Blast-Zelt gibt's drei CDs für zehn Euro?! Nichts wie hin!
[Vero] Der Tag beginnt mit etwas Abschiedsschmerz. Nur noch heute, dann ist alles wieder vorbei und es dauert ein komplettes Jahr, bis der Acker in meiner Nachbarschaft wieder zum Irrenhaus wird. Doch die trüben Gedanken sind schnell abgeschüttelt, denn bereits um 14:00 Uhr stehen THE HAUNTED auf der Party Stage. Und obwohl Peter Dolving, Sänger der Thrash-Metaller, ein bisschen so ausschaut, als wäre er gerade irgendwo auf einem der Acker erwacht und hätte zu allem Überfluss auch noch passende Kleidung und seine Bürste vergessen, rocken die Schweden vom Feinsten los und sorgen für jede Menge Headbanging im – leider recht überschaubaren – Publikum.
[Fabien] Nebenbei erhaschen wir einige Blicke auf DIR EN GREY, die vom Publikum zwar leider mit verhaltener Verachtung gestraft werden, musikalisch aber einen guten Eindruck bei mir hinterlassen können. KATAKLYSM legen wie immer einen soliden Auftritt hin, und MAYHEM sind – wie immer in den letzten Jahren – mehr belang- als tadellos. KNORKATOR versammeln derweil vor der Party Stage eine gewaltige Menge Fans und spielen einen herrlich chaotischen, KNORKATOR-typischen Auftritt. Bis auf den neuen Song "Refräng" fehlt aber ein bisschen das Unerwartete.
[Vero] Nach DIR EN GREY, die mit ihrem japanischen Alternative-Metal sowohl für Begeisterung, als auch Unverständnis bei den Zuhörern sorgen, und MAYHEM, die mich zur Flucht nach zwei Liedern veranlassen (sorry, ich kann verstehen dass sie viele Anhänger haben, aber es ist einfach nicht meins), folgt erst mal wieder Happy Grilling auf dem Campingplatz. Der Tisch ist mittlerweile nicht mehr als solcher zu erkennen und ich habe aufgegeben, ihn mehrmals am Tag freizubuddeln. Also füge ich mich in mein Schicksal, lehne mich zurück und warte auf die Gaumenfreuden unseres Grillmeisters. Es geht doch nichts über ein leckeres Stück Grillgut.
[Fabien] Beim Interview mit DORO sehen wir zum ersten Mal den Band-Backstage – ein unglaublich schick eingerichtetes Tal mit englischem Rasen, Containergarderobe für jede Band und zahlreichen Hostessen, die den Künstlern jeden Wunsch von den Augen ablesen. Eben noch auf matschigen Wegen zwischen Maisfeldern und Dixi-Klos unterwegs, fühlt man sich hier auf einmal wie in einer römischen Therme.
Doro selbst ist so ziemlich der netteste, herzlichste Promi, der mir je begegnet ist (von Bastian abgesehen). Sie nimmt sich für jeden noch so unwichtigen Menschen Zeit und verabschiedet ausnahmslos jeden mit Umarmung. Daran erinnert man sich doch gern.
[Vero] Frisch gestärkt und ausgeruht geht es zu SEPULTURA. Einer der Auftritte, auf die ich mich am meisten gefreut habe, und glücklicherweise werde ich nicht enttäuscht. Spätestens bei „Roots“ hält mich nichts mehr auf den Beinen und ich entscheide mich spontan, dass meinem Leben noch die Erfahrung des Crowdsurfens fehlt. Und was bin ich froh, diese Entscheidung getroffen zu haben. Über unzählige Hände geht es Richtung Bühne. Kurzzeitige Nervosität kommt auf, als ich bemerke, dass ich direkt auf einen Circle Pit zusteuere. Ich überlege schon, wie ich mich am besten fallen lasse, damit ich mir nicht das Genick breche, als mich einige Hände der Kreisläufer auffangen und mich in Laufgeschwindigkeit ein paar Meter im Pit mitreißen. Ein bisschen wie Achterbahn fahren. Als ich vor der Bühne ankomme, bin ich komplett euphorisiert und will am liebsten sofort wieder nach hinten laufen, um die Erfahrung zu wiederholen. Leider sind die Brasilianer gerade dabei, ihr letztes Lied zu spielen und die Angst, dass sich das Publikum auflöst, bevor ich auf Händen getragen vorne ankomme, überwiegt.
Aber bei KREATOR und bei den Wiederholungstätern MOTÖRHEAD nehme ich noch mal Anlauf. Ein Wahnsinnsgefühl. Von heute an möchte ich mich bitte nur noch so fortbewegen. Zum Einkaufen, zur Arbeit, zum Sport und vom Wohnzimmer ins Bett.
[Fabien] Nachdem ich meine Begleiter in den vorangegangen Tagen quasi pausenlos mit meiner Vorfreude auf SKELETONWITCH genervt habe, gibt es für mich beim Auftritt der Highspeed-Thrasher in der W.E.T.-Stage kein Halten mehr – und pünktlich mit dem Schlusston des letzten Songs muss ich von den Sanitätern wegen Hyperventilation abgeführt werden. Ich seh es positiv: So lernt man auch mal die freundlichen Helfer im Hintergrund kennen und erfährt Nützliches darüber, was Hyperventilation eigentlich ist und wie man sie beheben kann. Und man hat eine lustige Anekdote zu erzählen!
Inzwischen greift in unserem Team die Lust auf Unsinn um sich, und erst, nachdem die verbleibenden Bierreserven erheblich geschmälert und zahlreiche Männerbeine mit Gaffatape epiliert wurden, macht man sich wieder auf den Weg zum Festivalgelände, um DANKO JONES, KREATOR und anschließend MOTÖRHEAD zu sehen. Wobei allen drei Bands die Eigenschaft "man weiß, was man bekommt" gemein ist: immer gut, immer überzeugend, aber auch immer das gleiche.
Der letzte (geplante) Höhepunkt sollen CHILDREN OF BODOM sein, jedoch rattern die Finnen ihr Set derart routiniert und lustlos runter, dass es eine einzige Enttäuschung ist. Der geile Bühnenaufbau mit zahlreichen Rampen und Podesten sowie zwei separaten Keyboards für Janne Warmen impliziert zwar viel Action auf der Bühne – jedoch ist davon nicht viel zu sehen. Die Songauswahl befriedigt langjährige und neue Fans zugleich - trotzdem will partout keine Stimmung aufkommen.
Zwischendurch wird das "Holy Wacken Land" von gewaltigen Huschen heimgesucht, die die Zuschauer innerhalb weniger Minuten bis auf die Knochen durchnässen. Danach flaut es ab und der verbleibende Nieselregen schickt bis 2 Uhr fast alle Festivalbesucher in die Zelte. Als wir um diese Zeit im Wackinger Village angetrunken nach potenziellen Gesprächspartnern Ausschau halten, ist schon kaum mehr jemand da.
[Vero] Pünktlich zum Ende des W:O:A sagt auch das gute Wetter „Tschüss“, und in der Nacht von Samstag auf Sonntag brechen alle Dämme. Diverse Zelte überstehen das Unwetter nicht und entlassen ihre Schlafgäste pitschepatschenass. Aber trotz einiger Regenschauer und relativ kalter Nächte, in denen man sich wunderbar Halsschmerzen einfangen konnte, verlässt ein Großteil die heiligen Acker zwar müde, aber glücklich.
Fazit: Wacken ist immer wieder ein Erlebnis. Und das Angebot wird von Jahr zu Jahr größer. So gibt es neben den musikalischen Größen mittlerweile auch Wrestling, Comedy, Oil Catchen, einen Mittelaltermarkt, Miss-Wet-T-Shirt-Wahlen, Bullriding, Pfahlsitzen (ja tatsächlich) und sicherlich noch viel mehr, was ich nicht gesehen habe. Das alles macht das W:O:A größer und bunter als vergleichbare Festivals und sorgt für eine ganz besondere Stimmung und haufenweise Abwechslung. Allerdings bleibt zu hoffen, dass auch weiterhin das Hauptaugenmerk auf der Musik liegt und die Veranstalter nicht vergessen, dass die Metalheads aus aller Welt in erster Linie anreisen, um ihre Stars zu sehen.
Sonntag, 7. August
[Fabien] Um den Stau auf dem direkten Weg vom Dorf Wacken zur Autobahn so weit wie möglich zu begrenzen, werden die VIP-Camper auf einem alternativen Weg über Holstenniendorf zur Autobahn geleitet. Was auf der Hinfahrt ein Weg von fünf Minuten war, wird so zum zweistündigen Stop-and-Go. Auf der Autobahn geht es trotz mehrerer Baustellen recht flott voran und erst kurz vor Hamburg, gerade als die A23 dreispurig wird, geht nichts mehr. Kurz vorm Kollaps nehmen wir die Ausfahrt nach Pinneberg, fahren zum Frühstücken zum Hamburger Hauptbahnhof und machen uns dann auf den Weg zurück nach Berlin. Jetzt ist Wacken wirklich vorbei.
Tschüss, Wacken. Ich liebe dich. Bis nächstes Jahr.
Fotos mit freundlicher Genehmigung © by K.M. Photography
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