Geschrieben von Samstag, 14 Juni 2008 12:25

Sweden Rock 2008 - Der Festivalbericht



Strahlender Sonnenschein, seit Wochen eine Vorfreude wie selten zuvor. Sachen gestapelt, und da kommt auch schon der weiße T4-Bus samt Fahrer Sharky, der mich und eine Kollegin von einem anderen Magazin nach Schweden mitnimmt. Es ist Mittwoch morgen, 8 Uhr, und wir sind mal wieder auf dem Weg nach Schweden, genauer gesagt auf dem Weg zum legendären Sweden Rock Festival bei Norje in Südschweden. Fähre, Öresundbrücke und der Rest der Fahrt verlaufen wie immer locker und entspannt, der Check-in dauert diesmal etwas länger und wir zappeln herum. Den Bus auf das Pressecamp gestellt, jubelnd die bereits Anwesenden begrüsst, das erste eiskalte Bier gezischt, schnell zwei Zelte hingestellt und ab aufs Gelände.

KORPIKLAANI hab ich mir geschenkt, das wäre zu stressig geworden. Aber natürlich freut man sich dann sehr auf AIRBOURNE, die um 19 Uhr auf der Sweden Stage aufmarschieren und ein Feuerwerk ablassen, dass der Hügel vor der Bühne bald zu Staub getanzt wird. Es ist das erste Mal, dass ich die Australier live sehen kann. Ihnen wurde Hype vorgeworfen (wobei eine Band für den sogenannten Hype ja am wenigsten kann), sie seien nur eine AC/DC-Kopie, usw. Ja, es klingt alles stark nach dem gewohnten AC/DC-Sound, aber da ist noch etwas junges und erfrischend Anderes mit dabei. Eventuell mehr Power und mehr Abwechslung in den einzelen Songs. Begeistert tanze und rocke ich in den Abend hinein und hab jedenfalls danach eine begründete Sorge: noch mehr solche Bands und meine Schuhe gehen flöten.
Nebenan spielen um 20 Uhr BONDAFIDE, die guck ich mal eben so beim Birnen-Cidre an, aber ich finde sie nicht sehr spannend. Hardrock der freundlichen Sorte.

SABATON um 21 Uhr wollte ich ja unbedingt gucken. Allein: die Nachbarn laden zum Umtrunk ein, nachdem man sich bibbernd viele warme Klamotten umgewickelt hat. Der Umtrunk zieht sich hin und es ist so nett und flauschig, dass ich mir das SABATON-Erlebnis bis zum Oktober hier in Hamburg aufbewahre. Bei SATYRICON wandere ich aber dann doch mal rüber und setze mich entspannt auf den Hügel. Aber die Düstermucke der Herren überzeugt mich gar nicht. Ich hab es eh nicht so mit Black Metal, und das passt auch alles nicht zur persönlichen Stimmung. Noch bevor die letzten Takte verklungen sind, krabbel ich ins kühlschrankartige Zelt und nasche ein paar Stunden Schlaf.

Da die Sonne um diese Zeit um 3 Uhr morgens schon wieder aufgeht, stehe ich bereits um halb sieben unter der heißen Dusche. Der erste Act für mich heisst heute SEBASTIAN BACH, und ich freu mich tierisch drauf. Nach und nach krabbelt auch der Rest der großartigen Nachbarn aus ihren Bussen und Zelten, man kocht Kaffee, frühstückt ordentlich und die ersten nuckeln schon wieder am Bier. Ich beschränke mich auf einen Bloody Mary, ist ja gesünder...

13 Uhr: ab zur Festival Stage. Und was steht da auf den beiden riesigen Leinwänden? Herr BACH hat seinen Flug verpasst. Und schafft auch keinen anderen. Das kommt davon, wenn man den Hals nicht voll kriegen kann und am Abend vorher um 22 Uhr einen Auftritt in Oslo bucht, ohne zu beachten dass es nur einen Flug von dort nach Schweden gibt. Deppen. Europa ist halt doch etwas größer als das Management dachte. Tief enttäuscht schlurfe ich umher, treffe erneut Bekannte, alles jammert eine Runde gemeinsam und legt dann den BACH beiseite, um sich auf VOLBEAT zu freuen. Ich wundere mich, die sind auf der kleinsten der Bühnen (Zeppelin) gebucht. Wenn das man nicht zu eng wird.

Ca. zehn Minuten nach Beginn von den wilden Dänen ist es gewiss: diese Bühne war ein Fehlgriff. Später erklärt uns einer der Orga, dass sie mit dieser Beliebtheit von VOLBEAT nicht gerechnet hätten. Die Menschen stauen sich von vor der Bühne den gesamten Hügel hoch bis zum Eingang. Allerdings, wie immer beim SRF, ohne Stress oder Ärger. Dann kuschelt man eben ein wenig und kommt sich beim Abtanzen näher. Wie immer bin ich begeistert von den Jungs um Michael Poulsen. Er und seine Band sind genauso angetan und hören gar nicht mehr auf, sich für die riesige Begeisterungswelle zu bedanken. Alles singt, lacht und tanzt sich durch den superheißen Nachmittag. Nur seine Crowdsurfeinlage fällt diesesmal weg. Dieses ist auf dem SRF verboten, ergo auch für Musiker. Die Song kommen wie gewohnt klar und präzise rüber, die Setlist ist wie immer. Auch hier fällt auf, dass der neue Song „Halleluja“ schon gut ankommt. Nach einer Stunde ist der Spaß vorbei, und ich laufe mit den anderen Fans rüber zu TESTAMENT.

Zwischendurch hört man noch mal kurz bei COHEED & CAMBRIA rein, aber so sehr reißen mich die nicht vom Grasbüschel. Also ab in den Pit, um TESTAMENT zu überprüfen. Werden sie besser sein als vor wenigen Wochen auf dem RockHardFestival?

Ja. Sind sie! Sie sind pünktlich (sieh an!), Skolnick ist anwesend, und sie scheinen verdammt Lust auf eine mächtige Show zu haben. Als wenn dort eine anderen Band steht. All das Gezicke, was man von den Männern schon fast gewöhnt war, ist wie weggewischt, und sie fahren ein fettes Brett ab. Begeistert mosht man ein wenig herum, freut sich mit den auffällig vielen sehr jungen Fans und wandert dann schon weiter zu DISTURBED.

So gut wie TESTAMENT auch waren. Gegen die mächtigen, eiskalten, wundervollen DISTURBED kann man heute nur verlieren. Selbst die Fotografen im Pit stehen mit weit offenem Mund da und sind von der Ausstrahlung von David Draiman nur noch hin und weg. Der Kerl hat die Meute voll im Griff und genießt das auf irgendwie perfide Art und Weise. Irgendwann brüllt alles „We are disturbed!!!“, und er steht da und grinst heimlich in sich hinein, wohl wissend, was die Fans da gerade zugegeben haben. Die stört das nicht, teilweise verstehen sie es wohl auch nicht. Aber diese Psychospielchen zeichnen den Kerl ja aus. Die Musik kommt geschliffen klar und auf den Punkt aus den Boxen. Man gibt sich völlig dem Sound hin und merkt gar nicht, wie die Zeit vergeht. Gegen halb zehn ist es vorbei, ich renne mit klingelnden Ohren zum Zelt, um mich wieder in einen eingepackten Eskimo zu verwandeln. Unglaublich, tagsüber sind es locker 30 Grad in der Sonne, und sobald diese weg ist, wird es unter 10 Grad.

Zurück auf dem Gelände höre ich noch die letzte halbe Stunde vom ELECTRIC LIGHT ORCHESTRA. Was für ein Gegensatz. Zwischen DISTURBED und JUDAS PRIEST klingen die Pop-Hymnen über die schwedischen Wiesen und Hügel. Aber auch so etwas zeichnet das SRF aus: Purer Metal wechselt sich problemlos ab mit Pop oder Folk oder Blues. Sehr angenehm und auch spannender, als jede Stunde nur Geknüppel zu hören. Die Lightshow war schon sehr nett, und die alten Herren hatten offenslichtlich Spaß an den alten Songs wie „Don´t bring me Down“ etc.

Aber dann flugs zur Festival-Stage und sich angestellt bei den ca. 100 Fotografen. Dem Ganzen ging ein fürchterliches Chaos voraus. Man musste sich anmelden ob man auch würdig sei, von JUDAS PRIEST Bilder machen zu dürfen. Hatte man das erledigt, musste man um 22 Uhr zur Pressekonferenz, um danach zu erfahren dass man um 23 Uhr nochmal wiederkommen sollte um dann zu erfahren, wie es weitergeht. Mein Name stand als erstes auf der Liste, neben Prints wie Aftonbladet etc. Ich war also dabei, aber wie nun? Um 23 Uhr steht da dann ein etwas peinlich berührtes Mädel von der Orga und erzählt den Fotografen, dass das Management sich umentschieden hat: jeder darf nun in den Fotograben. Unglaublich. Die SRF-Orga kann für sowas ja nichts, aber wie albern kann sich ein Management benehmen... Ca. 3 Kilometer umsonst abgerissen, aber es hat sich dann fototechnisch gelohnt.
Die Show von JUDAS PRIEST beginnt pünktlich um halb Zwölf, es herrscht ein irres Gedrängel und man macht hochgereckt Blindschüsse auf die Bühne, weil das Podest gesperrt ist. Der erste Song „Prophecy“ ist vom neuen Album „Nostradamus“ und überzeugt mich nicht. Nach und nach schleicht Rob Halford dann auch mal nach vorne, er betritt sogar den Catwalk und ist in recht guter Verfassung. Bis auf seine Stimme. Ich finde es musikalisch sehr gut, aber gesanglich geht es wirklich nicht so toll. Nach der Hälfte der Show wandere ich mit anderen leicht Enttäuschten zurück ins Camp. Viele andere finden die Show sehr gut. Auf dem Rückweg ertönt dann plötzlich „Angels“, und ich bin wieder versöhnt. Dass sie den Song spielen, freut mich sehr. Aber ich habe sie schon besser gesehen.

Freitag morgen, 8 Uhr. Allmählich merkt man die Kilometer, die in den Beinen stecken, die Sonne knallt erbarmungslos vom Himmel und die Security verbietet mittlerweile sogar Windlichter nachts, aus Angst vor Feuer. Der Staub sitzt in allen Poren, also wieder eine heiße Dusche. Frühstück, Bloody Mary, ab zu TESLA.

Und hier erlebe ich mein persönliches Highlight. TESLA waren mir live bisher immer verwehrt geblieben, und ich bin hin und weg. Was für eine Band, wie akkurat und präzise kann man noch spielen? Die Setlist lässt keine Wünsche übrig, bei „Love Song“ hilft Kumpel Uli mir netterweise mit einem Tempo aus. Schluchz. Sie werden fanatisch abgefeiert, und TESLA selber scheinen hoch zufrieden mit sich und den Fans zu sein. Ein wunderbares Erlebnis, und diese Band nach so langer aktiver Zeit immer noch so topfit zu sehen, lässt einen Hitze und Staub vergessen.

Bis halb fünf nehme ich mir danach halbwegs frei. Kurz mal bei SATRIANI reingeschaut, mal eben bei FASTWAY gehorcht. Aber ich sammel meine Kräfte für ACE FREHLEY. Als uralter KISS-Fan fiebere ich diesem Auftritt natürlich besonders entgegen. Und im Fotograben stolper ich auch gleich über den netten Kerl der uns vor zwei Tagen die Pässe gegeben hatte. Er signalisiert starkes Herzbubbern und strahlt wie ein Honigkuchenpferd. Ebenso wie die Leute in den ersten Reihen. Dreht man sich um, wird man förmlich zu Boden gejubelt, die Erwartungen kochen bald über.

Und als Mr. Frehley samt Band dann recht pünktlich auf die Bühne schwankt, ist es eh zu spät. Er legt mit einer Power los, die ich dem 57-jährigen gar nicht mehr zugetraut hatte. So sollten KISS sich heute anhören: laut, dreckig und Rock´n Roll. Ich war schon immer der Meinung, dass Ace als einziger der vier Ur-Mitglieder wirklich ein Rocker ist, und das wird heute bestätigt. Allerdings auch mit viel Hilfe seiner großartigen Band. Die Herren sind durchweg voll bei der Sache, haben einen Höllenspaß, und besonders der Drummer fällt durch sehr guten Gesang auf. Ace „ackt“ sich so durch das Set, macht ab und an seine Witze, über die er wie immer am meisten selber kichert, und sieht mit knatschblauen Fingernägeln und Lederchaps einfach nur cool aus. Nüchtern scheint er auch zu sein , wie fein. Das übliche Solo finde ich wie immer ganz grauenvoll, das tut schon so ein bisschen in den Ohren weh. Ich bin froh, als die Gitarre endlich brennt. Nach 3 Zugaben verlassen die vier die Hauptbühne und wir rennen zum Klo. Man mag ja nicht vorher gehen, wenn da so eine Legende steht...

Außerdem spielen nur fünf Minuten später HANOI ROCKS, und die muss ich ja auch sehen. Wir schaffen aber nur die ersten 5 Songs und brauchen danach erstmal was zum Essen und etwas Schatten. Michael Monroe und Kollegen sind superb drauf und rocken die Massen, welche die Herren dementsprechend abfeiern. Die HANOIS können in Schweden nicht viel falsch machen und sind super beliebt.

Punkt 20 Uhr entern dann wieder WHITESNAKE die Hauptbühne, und nach den ersten Songs macht sich in unserer Gruppe leichte Irritation breit. Ich mag mich irren, aber seit wann kann Coverdale wieder so dermaßen gut singen? Und wieso geht das auch, wenn das Mikrofon gar nicht vor dem Mund ist....Sollte er playback singen? Der Verdacht bestätigt sich immer mehr. Dazu habe ich die Band zu oft gehört in den letzten Jahren und war von der Gesangsleistung gar nicht angetan. Heute klingt es auf den Ton perfekt, und David C. hat ausgezeichnete, entspannte Laune. Entweder hat der Kerl neue Stimmbänder und wir alle falsch geguckt, oder es war wirklich playback. Wirklich erfahren wird man es nie, aber es hinterlässt einen faden Nachgeschmack. Was der Stimmung überhaupt keinen Abbruch tut. Die Herren werden gefeiert wie immer und die Songauswahl lässt auch keine Wünsche offen. Von daher ein durchaus gelungener Auftritt. Wenn er nur immer schön ins Mic gesungen hätte....

Hm, SAXON und MINISTRY spielen zeitgleich. Da SAXON hier auf jedem Misthaufen spielen, guck ich mal bei MINISTRY vorbei. Man wundert sich schon, dass die Birken auf dem Hügel stehenbleiben, so wummert der Sound über die Gegend. Sie haben die Bühnengitter wieder dabei, und Al Jourgensen scheint einen großen Spaß an dem Gig zu haben. Ganz bis zum Schluß kann ich aber nicht bleiben, mich zieht es wieder zur Festival Stage, um endlich nach vielen Jahren mal wieder DEF LEPPARD zu sehen. Kollegin Mella verschwindet im Pit, ich hatte sie gebeten für mich die Pics zu machen, ich möchte tanzen.

Was ich dann zusammen mit meinen Leuten auch ausgiebigst mache. Was für eine Setlist. Es bleiben kaum Wünsche übrig. „Foolin´“, „Love Bites“, „Rock of Ages“, „Pour Some Sugar On Me“...das hört gar nicht wieder auf. Bei den hohen Parts von einzelnen Songs wie „Rock Of Ages“ kreischt Joe Elliot aber schon arg verkrampft, diese Höhen schafft er auch nicht mehr. Dafür singen die 30.000 Leute mit. Komischerweise stört es mich nur recht wenig, dafür macht die Band insgesamt einfach einen zu guten Eindruck voller Spielfreude und Begeisterung, wieder auf dem SRF zu sein. Gut gelaunt bringen sie die Massen zum Schwoofen, Mitsingen und Jubeln. Perfekter Headliner eines wunderbaren vorletzten Tages.

Samstag morgen. Ohhh...trotz einer guten Nacht und gutem Frühstück mag der Körper anfangs nur zögerlich laufen. Knirschend setzen sich die Gelenke um 12 Uhr in Richtung Sweden Stage in Bewegung, unsere Lokalpatrioten STORMWARRIOR spielen auf und haben wieder ihren Mentor und Freund Kai Hansen im Gepäck. LIZZY BORDEN macht nebenan seine Maskenshow, aber ich muss zu den Hamburgern, das gehört sich so. Außerdem spielt LIZZY auch in Balingen, das hole ich da dann nach.
Als die Jungs um Lars Ramcke anfangen, ist der Sound erstmal unterirdisch schlecht. Nach den Fotos wandere ich hoch zum Sound-Turm und siehe da, der Mischer ist wach geworden. Bereits nach wenigen Minuten wird es eindeutig besser. Die Jungs rattern sich ganz schön mächtig durch ihr Set, bestehend aus teils alten, teils neuen Stücken vom Album „Heading North“. Nach ca. 30 Minuten hüpft dann wie ein Jack-In-The-Box der Altmeister Kai Hansen auf die Bühne und...die Meute rastet komplett aus. Mit „Ride The Sky“ legt Hansen los und vom Geschrei her zu urteilen haben viele damit nicht gerechnet. Man sieht die Gänsehaut der Fans förmlich kribbeln. Hansen wirkt ohne Gitarre ein wenig „wohin mit meinen Händen“ und verschränkt einfach die Arme. Sieht ein wenig seltsam aus, aber tut der Stimmung keinen Abbruch. Ein Klassiker jagt den nächsten, und Freund Carsten neben mir bearbeitet seine Bierflasche wie eine Flying V. Nach dem Auftritt verlassen alle die Bühne, es wäre aber noch Zeit für mindestens zwei Songs. Und dann erlebt man wieder die unglaubliche Geduld der schwedischen Fans. Kein Mensch in Deutschland hätte solange und so geduldig nach Zugaben gerufen. Sehr sehr lange lassen die Hamburger sich bitten, bis sie ohne Hansen noch ein Stück vom neuen Album spielen. Das hätte auch leicht ins Auge gehen können, denn wären sie nicht zurückgekommen, hätten sie sich sämtliche Sympathien wieder vergrault. Und so schön und fulminant wie der Gig mit Hansen auch war, so gerne ich STORMWARRIOR zusammen sehe: passt auf, dass ihr nicht als die Band größer werdet, die es nur mit Kai Hansen schaffen kann. Aber ich glaube, das wissen sie selber...

Heute ist es noch heißer als an den Tagen zuvor weil der Wind ausbleibt, also hören wir GOTTHARD vom Camp her zu, genießen die Ruhe und bereiten uns mental schon mal auf die Höhepunkte des Abends vor. Um 15 Uhr wandere ich mal kurz zu APOCALYPTICA, die zwar visuell eine höllisch gute Show abliefern, musikalisch aber schnell langweilig werden. Ist ja ganz fein, was sie da auf ihren Celli veranstalten, aber filigran ist was anderes. Wie von einem riesigen Hummelschwarm verfolgt, flüchten wir ins backstage in den Schatten. Nebenan humppaen ELÄKELÄISET, ich guck mal kurz rüber, habe aber langsam Probleme mit der staubigen Luft. Birnencidre hilft auch nicht mehr, also suche ich die ruhige Show von BLUE ÖYSTER CULT auf. Das ist mir dann wieder zu ruhig. Gewiss sind die Altherren musikalisch sehr gut und genießen einen Kultstatus, aber mir ist das einfach zu altmodisch. Bevor wir alle schnarchend auf den Rasen purzeln, wird gemeinsam beschlossen, alle weiteren Bands bis auf AVANTASIA und POISON zu knicken. Der Körper fordert seinen Tribut, und ich will superfit sein für die Headliner.

RATT spielen auf, während wir die letzten Würstchen grillen, und als ich die enttäuschten Gesichter der Freunde sehe, als sie zurückkommen, bin ich froh, sie nicht gesehen zu haben. Der Auftritt war saft- und kraftlos. Auf TRIUMPH haben sich sehr viele gefreut, aber da ich nie soviel mit der Band anfangen konnte und wir schon anfangen, das Camp abzubauen, vermisse ich auch nichts. Dann werden zum letzten Mal Wollpulli, Hoodie und warme Hosen angezogen, und wir wandern zur Rock Stage, um die Metal-Oper AVANTASIA von Tobias Sammet zum ersten mal live zu erleben.

Was soll ich sagen. Tobi und sämtliche Gastmusiker haben sich selber übertroffen. Bei den ersten Songs merkt man dem Hessen die Nervosität an, er ist noch quecksilbriger als eh schon. Aber als alles wunderbar funktioniert und die Fans begeistert die Oper abfeiern, kommt auch die gewohnte Sicherheit zurück, später gefolgt von den üblichen flapsigen Sprüchen. Den drei Schweden neben mir muss ich erstmal erklären, was denn ein „Pimmelface“ sei, während sich alle gegenseitig die Gänsehaut schubbern. Ab und an sind einige Soundprobleme zu hören, was aber nicht groß stört. Die Produktion ist halt um einiges gewaltiger als die üblichen vier bis fünf Mucker auf der Bühne. Als zum Ende hin Kai Hansen auftritt, dann gefolgt von Andre Matos, Bob Catley und Jorn Lande, gehe ich förmlich in die Knie. Mit Tränchen im Auge und heiser geschrieen kann ich Sammet nur meinen allergrößten Respekt zollen. Der Kerl hat mit diesem Auftritt für eine Sensation gesorgt. Die Setlist verrate ich hier mal nicht, diejenigen von Euch, die nach Wacken fahren: freut euch einfach auf diesen Auftritt!

23:15 Licht aus Rock Stage. Rüberflitzen zur Festival Stage, ab in den Graben und... warten. POISON, für viele der absolute Headliner des diesjährigen Festivals, lassen ganz schön auf sich warten. Um viertel vor Mitternacht (man tanzte sich währenddessen im Fotograben etwas warm, während die Fans vor dem Gitter immer noch allerbeste Laune haben) wird es endlich dunkel und POISON entern die riesige Bühne. Wenn ich alles richtig mitbekommen habe (das Gedrängel ist gewaltig und man kämpft nur für die besten Bilder, ohne auf Songs achten zu können) ist die Setlist wirklich fein gewesen. Bereits früh morgens konnte man über die Campruhe hinweg „Unskinny Bop“ im Soundcheck hören, und natürlich wird es gespielt. Wackelnde Popos und lachende Gesichter überall. „Talk Dirty To Me“, „I Want Action“, „Every Rose Has Its Thorne“, es macht soviel Spaß! Bret Michaels ist extrem gut drauf, ebenso wie CC DeVille, der ausschaut, als wenn er sich vorher irgendwas eingepfiffen hat mit seinem Dauergrinsen. Tut der Show aber keinen Abbruch, er liefert sich mit Kollege Bobby Dall ein Duell nach dem anderen, während Michaels sich auszieht, wieder anzieht und dann doch wieder auszieht. Mit sehr hohen Feuersäulen erlebt man sogar sowas wie eine Pyroshow, die aufgrund der extreme Trockenheit vorher nirgends gezeigt wurde. Gesanglich ist Michaels auf den Punkt topfit. Man muss aber eingestehen, dass die POISON-Songs doch leichter zu singen sind als die schwierigen Passagen der anderen beiden Headliner. Als sie zum Abschluss „Nothin' But A Good Time“ spielen, kreieren sie gleichzeitig das Motto für das diesjährige Sweden Rock Festival. Mit glücklichen Gesichtern und einem unglaublichen Dauergrinsen gehen wir zusammen auf einen allerletzten Drink in die Backstage-Bar, lassen die vier Tage noch einmal Revue passieren und werden mit der aufgehenden Sonne ins Camp geleitet.


Fazit: Ja, wo fang ich an? Bei den negativen Punkten? Mir fällt aber keiner ein. Nicht ein einziger. Dabei mecker ich doch so gerne...

Also weiter zu dem positiven: Neue Toilettenanlagen, die aussehen wie die der Künstler-Klos auf Wacken. Umsonst natürlich, dauergeputzt, blitzsauber. Knallheiße Duschen für ca. 2,50 Euro. Abwechslungsreiches, sogar gesundes, heißes, leckeres Essen auf jedem Gelände, durchaus bezahlbar. Von Krebsfleisch-Wraps über den legendären Wokäd Elg (Elch aus dem Wok in Pita-Brot), Monster-600-g-Burger (vor den Augen frisch gegrillt), Langozs (ungarisches FastFood) bis zu Pasta al dente: hier verhungert man nicht. Eine große Vielfalt, die man sonst nirgends sieht. Kaltes Wasser an jeder Bühne, von den fleißigen Securities jederzeit bereitwillig verteilt ober auch mal über den kochenden Schädel gegossen: eine Selbstverständlichkeit. Hilfsbereite Arbeiter an jeder Ecke. Müll-Crews, die nach jedem Auftritt den Grund vor der jeweiligen Bühne säubern, von mittags bis nachts. Freundlichkeit, Liebe zum Detail, Herzblut und unglaublich viel Spaß bei allen Mitwirkenden.

Sogar jetzt beim Schreiben habe ich wieder das Gefühl: wir waren im Himmel. Im schwedischen Rockhimmel, Region Blekinge, Ort Norje, direkt am Meer. Noch 50 Wochen warten...

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Kat