Geschrieben von Samstag, 27 Oktober 2012 14:40

Die Ärzte - Karlsruhe / Europahalle

aerzte presse2012 03 NelaKoenig

26.10.2012 - Karlsruhe, Europahalle: Die „Das Ende ist noch nicht vorbei-Tour" ist gerade im Sommer gelaufen, da hängen die DIE ÄRZTE schon die „Comeback-Tour" dran. Natürlich eine offensichtliche Provokation gegen die ständigen Unkenrufe, dass sich die Band sicherlich bald (schon seit zehn Jahren ungefähr...) auflösen wird. Wir waren für euch in der Europahalle in Karlsruhe dabei, um das Comeback der besten Band der Welt gebührend zu feiern.

Ich war im Sommer auf einem der Konzerte in Frankfurt, obwohl es „die größte Sauna der Welt" besser beschreibt. Verdammt, war das heiß damals in der Festhalle. Ständig schoben sich halbnackte verschwitzte Menschen durch die Menge, um ihren Durst zu stillen oder frische Luft zu schnuppern. Karlsruhe bot den kompletten Gegensatz, eisig kalter Wind (draußen und später teilweise in der Halle) und eine Masse von Menschen gekleidet in dicken Winterjacken und mit Mützen auf dem Kopf.

Die Parkplatzsituation in der Europahalle ist Ansichtssache. Man kriegt zwar kostenlose Parkplätze in der Umgebung, muss aber unter Umständen einen langen Fußweg in Kauf nehmen. Wir waren schon um 17:30 Uhr losgefahren und standen dann letztendlich erst 19:15 Uhr in der Halle. Empfangen vor der Halle wurden wir von einer Gruppe Punks, die aus einem Recorder lautstark Musik von FURT dröhnen ließen. Entweder als Statement für FURT oder weil sie eben nichts Besseres zu tun hatten. Die längste Schlange war die Schlange zu der Jackenabgabe. Die Europahalle müsste circa 9.000 Besucher fassen und verfügt über massig Sitzplätze, die im Falle des DIE ÄRZTE Konzertes kostenlos waren. Ein so extrem gemischtes Publikum wie auf diesem DIE ÄRZTE Konzert habe ich noch nie gesehen. Die Band scheint mittlerweile über jede Sparte hinweg beliebt zu sein, was ich an diesem Abend an Konzertbesuchern gesehen und erlebt habe, war sehr ungewöhnlich. Ein Shirt kostete mindestens 25 Euro, viele hatten aber praktischerweise eines ihrer alten Fanshirts angezogen.

Die DIE ÄRZTE haben es endlich eingesehen, dass sie sich die Vorband eigentlich schenken können und ihren Technikern lieber die Auszeit gönnen sollten. Fans von DIE ÄRZTE sind da gnadenlos, da spielt man schon mal vor einem Publikum, welches mit dem Rücken zu einem steht. Auf der aktuellen Tour wird größtenteils auf Vorbands verzichtet, so dass in Karlsruhe gegen 20 Uhr die drei Halbgötter in Punk die Bühne stürmten. Irgendein komisches Rückwärtsgebrabbel stellte das Intro dar. Hab ich nicht verstanden... Was aber gleich zu sehen war, war dass die DIE ÄRZTE ordentlich an Lightshow nachgerüstet haben: Da wurde geblitzt und bunt durch die Gegend gestrahlt, was die Steckdose hergab. Das war in Frankfurt noch ganz anders, viel minimaler, dafür aber mit Videoleinwänden.

DIE ÄRZTE starteten, bescheiden wie immer, mit „Wir Sind Die Besten" vom Album „Jazz Ist Anders". Selbst von der Tribüne weiter hinten war zu sehen, dass besonders Bela B. ordentlich in die Felle drosch. Da war richtige Action angesagt. Der harte Kern, erste Reihe bis ungefähr dreiviertel des Innenraums, rastete auch ordentlich aus. Tribüne bei den ÄRZTEN, für mich Premiere und nur einer schweren Erkältung geschuldet. Die Stimmung auf den Tribünen war eher bescheiden, viele erhoben sich nicht mal von ihren Plätzen. Als ich dies beim zweiten Song „Blumen" tat, gab es auch gleich einen Rüffel... Also blieb mir nichts weiter übrig, als irgendwann doch in den Innenraum zu wechseln, denn die DIE ÄRZTE im Sitzen von ganz hinten macht irgendwie wenig Sinn.

Die Drei waren sehr gut aufgelegt und das nach so langer Bandgeschichte und den vielen Tourterminen. Rasch folgte auch schon die Bandvorstellung mit dem geilsten Gitarristen der Welt, der eigentlich Schlagzeuger ist, Bela B.. Als nächstes war der begnadetste Bassist dran, der eigentlich Schlagzeuger ist, Applaus für Bela B., gefolgt vom geilsten Schlagzeuger der Welt, schlagt die Hände zusammen für Bela B.. Hä? Egal.

Bemerkenswert, wie oft man seine eigenen Texte immer noch lustig und spontan umtexten kann. Typischer Spruch vom wortgewandten Farin: "Was wollt ihr hören? Maurer hat 'nen Schäferhund? Das ist aber nicht die korrekte Pluralbezeichnung, es muss heißen Maurer haben 'nen Schäferhund". In der kompletten Halle war der Sound top. Das kann ich beurteilen, da ich mehrmals verschiedene Plätze in der Halle einnahm. Mir fiel auch auf, dass Farin sehr aktiv und kontaktfreudig war. Er kommt mir sonst immer eher steif und auf seine Seite fixiert vor. In Karlsruhe war das anders, häufig nahm er Kontakt zum Publikum auf. Natürlich schmierten uns die DIE ÄRZTE auch ordentlich Honig ums Maul. Karlsruhe seien die Geilsten, ließen sie uns wissen und außerdem wären wir sowieso das beste Publikum seit langem. Hätten wir auch so gewusst.

Die Setlist war seltsam, beim Motto „Comeback-Tour" hatte ich auf eine Ansammlung von Klassikern gehofft. DIE ÄRZTE könnten problemlos eine Setlist zusammenstellen, die drei Stunden lang nur aus Krachern besteht. Natürlich kann man nicht drei Stunden lang durchdrehen, es gibt ja schließlich auch langsamere Kracher. Songfolgen wie „2000 Mädchen", „Angeber" und „Deine Schuld" brachten die Halle zum Kochen. Da wurde von überall her mitgeschrien, Hände in die Luft gestreckt und ordentlich getanzt. „Motherfucker 666" bestand nur aus zwei statt drei Strophen, da Farin eine verbummelt hatte. Machte aber nichts, dafür gab es einen schönen Tanz dazu, der das Publikum bei Laune hielt. Ich gehöre nicht zu den Fans, die die neue Platte verteufeln, sie gefällt mir gut. Allerdings war deutlich zu beobachten, dass bei „Sohn Der Leere" ganz viele plötzlich Hunger und Durst bekamen...

Toll war es, alte Schinken wie „Sweet Sweet Gwendoline" mal wieder zu hören. Da fiel schon auf, dass sich die Band über die Jahre immer mal geändert hat und eigentlich niemals immer den gleichen Schuh gefahren ist. Ähnliche Highlights waren „Dein Vampir" und „Außerirdische". Grandiose Songs, die über die Jahre nicht die Spur von ihrem Charme eingebüßt haben. Schön, dass die DIE ÄRZTE diese Songs noch spielen, andere Bands lassen gerne mal Bandphasen unter den Tisch fallen.

Anstelle eines Backdrops gab es eine große Leinwand, die während des Konzerts verschiedene Filmchen zu den Songs zeigte. Beim schnellen Teil von „Motherfucker 666" wurde ein Zebra gezeigt, welches beim Skapart easy durch das Bild trabte und beim Refrain in den Galopp überging. Bei „Fiasko" wurde eine Geschwindigkeitsanzeige gezeigt, die bei den hohen Gitarrentönen in den roten Bereich ausschlug. Farin hatte vorher auch entsprechende Gesangsanweisungen gegeben, so dass bei „Sie schaut mich an!" jeder Fan seinen Einsatz kannte. Am meisten Sinn machte die Leinwand aber bei „Waldspaziergang Mit Folgen". Farin forderte die Fans auf, ein Kleidungsstück auszuziehen und während des Refrains über dem Kopf zu schwenken. In der Strophe sollte dann wiederum eine plappernde Entenhand gemacht werden. Die Fans wurden dabei auf der Leinwand in einem TV Gerät übertragen. Das sorgte für Stimmung, denn wenn es darum geht, seine Fresse in eine Kamera zu halten, sind die meisten dabei.

Bei „Bettmagnet" verlangte mein geschundener Körper allerdings wieder nach einem Sitzplatz, so dass ich mir das Treiben wieder von der Tribüne aus ansah. Richtige Circle Pits sah ich übrigens außer bei "Junge" keine, kann aber auch sein, dass die weiter vorne stattfanden. Einige Stagediver waren beim Song „Fiasko" zu erkennen. Die Leute um mich herum waren zu achtzig Prozent aber echt abtörnend. Alle stellen sich die Frage „Ist das noch Punk Rock?". Ganz ehrlich, die DIE ÄRZTE haben sich ordentlich den Arsch aufgerissen für das Publikum. Und eines sind die DIE ÄRZTE ganz sicher nicht: Kirmes oder Volksfest. Es gab Leute, die sich keinen Meter bewegt haben, SMS schrieben, sich unterhalten oder einfach nur rumsaßen und Bockwurstbrötchen gefressen haben. Aber keine Studenten, die daheim nicht kochen. Keine Alkis, die sich runtergefressen haben... keine Leute, die mal kurz eine Pause brauchten. Nein, das waren Leute, die das Konzert als Volksfest wahrnahmen. Natürlich kann jeder, der möchte, das Konzert besuchen. Aber wenn man bedenkt, dass junge agile Menschen dann über Ebay erhöhte Ticketpreise bezahlen müssen, nur damit sich ein paar alte, biedere Faltenrockträgerinnen (immerhin was mit Rock...) mit Strickjäckchen gemütlich was zwischen die Backen drücken und gelangweilt ihren Arsch plattsitzen können... Diagnose: Unrockbar!

Geilster Dialog zu diesem Thema an diesem Abend: Ein kleiner Junge, der wohl schon sein zweites DIE ÄRZTE Konzert erlebt hat, meinte zu seinem Vater, der sich vorher ganz stolz einen Liter Bier geholt hatte und mit der Menge in Kombination mit der Konzertsituation anscheinend etwas überfordert war (ist halt doch was anderes, als daheim entspannt auf der Couch). „Was ist denn nun mit Pogo, Papi?". Der Vater dann so leicht genervt: „Ne lass mal, erst wenn ein gutes Lied kommt ..."

Bei „Wie Es Geht" gingen dann, für ungefähr zehn Sekunden, Jubelschreie durch die Ränge. Der Song scheint wohl gewünscht worden zu sein. Wir hatten schon wieder genug von der Tribüne und so verzogen wir uns wieder in den Innenraum. Grandios war auch das folgende „Hurra", das Stück hätte meiner Meinung nach viel früher kommen müssen.
 
Natürlich ist bei DIE ÄRZTE klar, dass immer einige Zugaben folgen. Selbst als die Band sich danach verabschiedete. Trotzdem hatte ich da schon das Gefühl, dass mir an diesem Abend viele Songs fehlen werden. Die Band wird ihre Gründe für die Setlist gehabt haben, aber das gemischte Publikum resultiert eben genau daraus, dass es einige Songs gibt, die alle Geschmäcker auf einen Nenner bringen. „Zu Spät" ist einer davon... Und selbst, wenn in den folgenden Zugaben mit „Junge", „Unrockbar" und „Madonnas Dickdarm" noch einige tolle Songs kamen... Ein DIE ÄRZTE Konzert ohne „Zu Spät" und ohne „Elke"? Das ist schade. „Elke" wird ja schon seit einiger Zeit nicht mehr regelmäßig gespielt. Aber „Zu Spät"?

Aber bei den ÄRZTEN kann man es eh nie allen recht machen. Hätte die Band die üblichen Songs gespielt, wäre irgendwann auch Unmut aufgekommen. Die spielen ja immer die gleichen Stücke! DIE ÄRZTE sind noch immer eine Topband, die sich live überraschend oft verspielt aber einiges durch Charme, Witz und Selbstbewusstsein wieder gut macht. Man darf nicht vergessen, dass die Band tatsächlich nicht wirklich viel in den Hauptmedien stattfindet und ganz besonders nicht die Tatsache, dass die DIE ÄRZTE noch immer freiwillig drei Stunden spielen. Das geht nicht nur auf den Körper, sondern das bedeutet auch, dass sie bei einem durchschnittlichen Eintrittspreis von 40 Euro auch im Gegensatz zu anderen Bands das Doppelte an „Ware" bieten. Wahrscheinlich kriegt derjenige von den Dreien, der das mit den drei Stunden Spielzeit vorgeschlagen hat, von den anderen täglich aufs Maul dafür und ist verflucht zur Sklaverei für immer.
 
Wer noch nie ein Konzert von DIE ÄRZTE besucht hat und deren Musik wirklich mag (!), der sollte sich unbedingt mal ein Konzert der Band anschauen. Wer schon öfter mal da war, der sollte zwischendrin etwas Zeit verstreichen lassen, um sich wieder neu begeistern lassen zu können und nicht abzustumpfen.

Setlist:

Wir sind die Besten
Blumen
Tamagotchi
2000 Mädchen
Angeber
Deine Schuld
Gib mir Zeit
Geld
Heulerei
(zuvor "Die Instrumente des Orchesters" angespielt)
Motherfucker 666
Sohn der Leere
1/2 Lovesong
("Das finde ich gut" angespielt)
Miststück
Sweet Sweet Gwendoline
Super Drei
Waldspaziergang mit Folgen
Dein Vampir
Für immer
Für uns
Angekumpelt
Die ewige Maitresse
Schunder-Song
Außerirdische
Bettmagnet
Fiasko
Vokuhila Superstar
Wie es geht
Hurra
Encore:
ZeiDverschwÄndung
TCR
Quark
Kamelralley
Encore 2:
Junge
Unrockbar
Manchmal haben Frauen ...
Encore 3:
Madonnas Dickdarm
Ist das noch Punkrock?
Lied vom Scheitern

Danke an Madlen von Hot Action Records!