Geschrieben von Sonntag, 16 September 2007 12:15

Komplex Open Air 2007 - Der Festivalbericht


komplex

Wir schreiben den 25. August a.d. 2007. Bei strahlendem Sonnenschein steuere ich gegen halb eins meinen fahrbaren Untersatz in Richtung Grafschaft Bentheim, das beschauliche Städtchen Schüttorf ist ein weiteres Mal mein Ziel. Dort findet an diesem Tag zum sechsten Mal seit 2002 das von der Konzertintiative des unabhängigen Jugendzentrums Schüttorf ZIKADUMDA veranstaltete Komplex-Open-Air statt.


Ich komme pünktlich zum Einlass an, lasse meinen Namen von der Gästeliste streichen und begutachte das Gelände, wo sich bereits zu dieser Zeit ein paar Nasen am Rand niedergelassen haben und sich die Sonne auf dem Pelz brennen lassen - und auch nicht im Geringsten daran denken, an der eingenommenen Position etwas zu ändern. So wundert es mich auch nicht, dass Rainer Bluhm, seines Zeichens Chef vom Dienst mit einem offenen Ohr für alle Fragen, im Zuge der Eröffnung des diesjährigen KOA die Gras-Potatoes darum bat, ihre Hinterteile vor die Bühne zu bewegen. Denn sonst würden THE STIFFIES nicht spielen wollen. 

Ein paar Leutchen erheben sich somit von ihren Decken, und um 13:30 Uhr beginnt mit eben diesen THE STIFFIES aus Ochtrup das Komplex-Open-Air 2007. Während man im letzten Jahr noch mit bluesigem Krautrock aus der Lethargie gerissen wurde, bekommt man jetzt sofort mit Punkrock nichts Erfreuliches um die Ohrmuscheln geklatscht. Was THE STIFFIES da am frühen Nachmittag fabrizieren, ist nicht so wirklich huldigunswürdig. Die Jungs sind vielleicht noch nicht so lange in einer Band zusammen, aber bei langweiligem Drei-Akkorde-Geschrammel in Verbindung mit einem absolut grauenhaftem Sound und unartikuliertem Gekreische fällt mir nur eines ein: Bitte etwas mehr üben.

Wesentlich besser wird es glücklicherweise im Anschluss mit CURB. Die fünf Musiker verstehen auf jeden Fall, mit ihren Instrumenten umzugehen. Melodisch, teils romantisch langsam, teils tanzbar flott schallt aus dem Boxen, und mittlerweile hat man auch das Problem mit dem Rauschen in den Griff bekommen. Leider können auch die Rockinterpretationen von CURB die Leute nur sehr bedingt von ihren Decken am Rande des Geländes hoch locken. Vor der Bühne herrscht nach wie vor noch gähnende Leere. Irgendwie ist die Musik der fünf Musiker wohl etwas zu entspannt. Schade eigentlich.

Im Anschluss betritt ein Pilot die Bühne, und eine freundliche Ansage (wohl von der KLM) bittet die Menge, ihre Positionen einzunehmen. Immerhin ist dieses jetzt der letzte Aufruf für die Passagiere des FLIGHT 195. Dieses Mal folgen ein paar Leutchen mehr dieser Aufforderung und versammelt sich am Gate. Wohin der FLIGHT 195 letztendlich nun geht, bleibt wohl ein kleines Geheimnis der Musiker aus den Niederlanden, aber auf den Schwingen melodisch intensiven Indie-Rocks lässt es sich scheinbar gut feiern. Mit einer, für diesen frühen Zeitpunkt sehr energiegeladenen Bühnenshow und einer kraftvollen Stimme, die zwischen watteweich und äußerst kratzbürstig gekonnt variert, schicken Sängerin JC und ihre Mitstreiter das Publikum auf die Reise und setzen nach 40 Minuten gekonnt zum Landeanflug an. Natürlich nicht, ohne auf das Angebot im Duty-Free-Shop hinzuweisen. Wirklich ein guter Gig, der allmählich Schwung in den Nachmittag bringt.
„Was für ein chilliges Festival“. Treffender hätte es Sänger Chris von den 5 BUGS aus Berlin wohl nicht bemerken können, und er kann sich auch beim Anblick der auf dem Rasen festgewachsenen Leute einen gewissen sarkastischen Unterton nicht verkneifen. Recht so. Mittlerweile ist es 16 Uhr und bei weitem nicht mehr so heiß, dass der Kreislauf bei der kleinsten Bewegung die weiße Fahne schwenkt. Wie dem auch sei, die 5 BUGS gehören, laut den Kollegen des Uncle Sally’s, zu den spielstärksten deutschen Newcomerbands der Stunde und setzen nun alles daran, dieses auch zu beweisen.
Ihr Rezept um die Faulpelze von ihren Decken zu bewegen heißt Rock. Melodisch, druckvoll und eingängig. Dazu die gefühlvolle Stimme von Sänger Chris.Und äußerst humorvoll sind die Jungs obendrein. Gitarrist Flo hat an diesem Tag irgendwie die Scheiße am Schuh, beziehungsweise an der Gitarre. Zuerst verselbständigt sich der Gitarrengurt, dann reißt eine Saite. Super-Gau! Aber getreu dem Motto „Shit Happens“ nehmen es die fünf Käfer (ich habe eigentlich eine extreme Abneigung gegen alles, was im Tierreich mehr als vier Beine hat) erstaunlich gelassen, man kaspert mit dem Publikum herum und verhohnepipelt den armen Flo ein wenig, der in Windeseile seine Gitarrensaite wechselt, und präsentiert dann weiterhin Songs vom aktuellen Album „Tomorrow I’ll Play God“. Wenn man von diesem Malheur absieht, verbreiten 5 BUGS eine gute Stimmung und lassen mich erstaunt die Augenbrauen hochziehen, als ich sehe, wie sie die 20 Männekes vor der Bühne auf einmal zu einer Wall of Death anstacheln. Sieht irgendwie amüsant aus. Nach dem Gig verschwindet die Band flugs hinter der Bühne, packt die Sachen und entschwindet zum zweiten Auftritt in Richtung Harz – strammes Programm.

Jetzt folgt ein kleiner Stilbruch. Eine Bontempi-Heimorgel und eine Packung Instant-Eistee (hergestellt für einen namhaften Discounter) stehen auf der Bühne, und auf einmal gesellen sich 4 merkwürdig gekleidete Gestalten dazu und vollziehen einen Stilbruch der oberen Güteklasse. Mit ihrem avantgardistischen Rock, der irgendwo in den Weiten zwischen SEPULTURA und FIPS ASMUSSEN rangiert, regt die KAPELLE PETRA die Zuschauer unter anderem zum Beantwortung der Frage an, warum ein Geflügelzüchter Mitglied im Vegetarierverein ist, huldigen der Gewitter-Oma von radiopannen.de und präsentieren, wie Gazelle für Olympia trainiert. Die Show der Jungs und ihr Humor sind einfach zum Schießen, und etwa nach 30 Minuten hab ich Lachtränen in den Augen und muss mich erst mal setzen. Die Jungs sind übrigens derzeit im Studio und versuchen (!) bis zum Ende des Jahres eine neue Platte auf dem Markt zu haben.
Als nächstes sind WATERDOWN an der Reihe und geben sich sehr wohlerzogen. Ausgegrenz wird bei den Jungs niemand, und alle Hardcore-, Punk- und Metalfans werden zum Feiern vor die Bühne gebeten, bevor sie ihre brettharte Mischung aus eben diesen drei Stilrichtungen auspacken. Dabei stört es die Jungs herzlich wenig, ob beim Stageacting die Choreographie sitzt (ja, es darf auch gerempelt werden), sie wollen auf der Bühne Spaß haben und auch dafür sorgen, dass die Zuschauer Freude empfinden. Und das gelingt, wenn ich das mal so sagen darf, außerordentlich gut. 

Nach PETRA und WALTRAUD (wie sich WATERDOWN spaßeshalber bezeichnen) kommt EL*KE. Im Münsterland und in der Grafschaft längst kein unbeschriebenes Blatt mehr, ziehen EL*KE bei der sich senkenden Sonne schon mehr Massen vor die Bühne als die Bands zuvor. Irgendwo zwischen NDW, Hardrock und Stoner Rock bewegt sich die Musik der Drei und spricht ein breites, und in mancher Hinsicht breiter werdendes Publikum an.

Hatte man sich auf dem Wacken Open Air noch damit zufrieden gegeben, mit einen Luftballon während des Gigs von SACRED REICH Volleyball zu spielen, reicht das beim Komplex Open Air den Zuschauern nicht. Hier dient ein aufblasbarer Sessel mit Fußballdruck als Wurfgeschoss. Ich hab keine Ahnung, wie oft ich dieses, übrigens sehr bequeme, Gummiungetüm an den Kopf gekriegt habe, aber für Stimmung sorgt so eine spontane Aktion beim Gig von CROSSCUT allemal. Es hat zwar heute lange gedauert, aber mittlerweile brodelt die Stimmung auf dem Kuhmplatz. Zu den Metalcore-Sounds der vier versierten Musiker, die neben Stücken vom aktuellen Album auch neue Songs „welturaufführen“, und mit Aufgang der Säufersonne starten die Anwesenden eine Party, lassen den Circle Pit brodeln und sich auch bei der Wall of Death nicht lange bitten. 

Nachdem mit Metalcore die jüngeren Zuschauer befriedigt wurden, sprechen GODS OF BLITZ mit ihrem arschcoolen, dreckigen und erdigen Biker-Rock vorwiegend die Besucher fortgeschrittenen Alters an. Oder irre ich mich vielleicht. Als die Vier aus Berlin-Kreuzberg die Bühne betreten, ist die Menge vor der Bühne altersmäßig äußerst gut gemischt. Erdig ist auch die Bühnenshow und macht so richtig Spaß. Das empfinden auch die Fans aller Altersgruppen vor der Bühne und machen ein Fass nach dem anderen auf. Mit diesem Gig empfehlen sich die GODS OF BLITZ auf jeden Fall für weitere Events in der Region.

Oh mein Gott. CLAWFINGER. Die Mannen aus Schweden waren einst die Helden meiner Jugend, wirbelten sie doch mit ihrem furiosen Album „Deaf, Dumb, Blind“ damals die Szene gehörig auf. Ich bin ehrlich, bevor die Band die Bühne betrat und mit „Rosegrove“ sofort die Kuh fliegen ließ, war ich mir alles andere als sicher, ob sie die Energie der früheren Zeiten noch an den Tag legen würden. Aber ich täuschte mich zum Glück. Im Sinne der drei wichtigsten Dinge im Leben, „Titties, Beer and Money“, lassen CLAWFINGER mit Songs wie „Nigger“, „The Truth“ oder „Do What I Say“ die alten Zeiten wieder aufleben und versetzen das Publikum mit einer energiegeladenen Bühnenshow, harten Sounds und knisternder Elektronik in Extase. Ich frage mich noch immer, wie viel Kaffee Bassist André Skaug vor dem Gig intravenös injeziert bekam, um solche Wirbel auf der Bühne zu erzeugen. Shouter Zak Tell lässt sich ebenfalls nicht lumpen, er klettert artistisch über das Bühnengitter und geht auf Tuchfühlung mit den zahlreichen Fans, die dieses sehr schätzen und ihren Held des Abends gar nicht mehr gehen lassen wollen. Und ich bin noch mal ehrlich – die neuen Songs, die die Schweden zum Besten geben, haben bei weitem nicht die Power, die man aus der Mitte der 1990er gewohnt ist. Das Publikum stört das allerdings herzlich wenig, CLAWFINGER werden wie in alten Zeiten abgefeiert und sie bedanken sich, skandinavisch wohlerzogen, für diesen Zuspruch.

Eigentlich sollen jetzt BOOZED den Vorhang für das diesjährige KOA fallen lassen, aber leider mussten sie diesen Gig, sowie den auf dem gleichzeitig stattfindenden Area 4 Festival wegen gesundheitlicher Probleme des Bandmitlgliedes Marvin absagen. In diesem Sinne wünscht BurnYourEars.de gute Besserung.
Aber die Veranstalter sind flexibel. Kurzerhand wurden, einen Tag vor dem Event, die Lokalmatadoren von UGLY STIFF rekrutiert. Und eben diese Gesellen schicken sich jetzt an, den wenigen Verbliebenen einen letzten Arschtritt zu verpassen, denn viele Leute haben nach dem Auftriff von CLAWFINGER den Kuhmplatz verlassen. Die sehr munteren Gesellen bringen Garage-Rock / Acid Blues angelehnt an den Stil der EAGLES OF DEATH METAL zum besten, und das nicht nur vom musikalischen, sondern auch vom visuellen Standpunkt aus. Der gute Mensch am Gesang hampelt dermaßen grenzdebil am Mikro rum und betatscht seine Bandkollegen, dass ich erst mal bei einem Kenner der Band nachfragen muss. Die Antwort „der ist immer so“ beruhigt mich und lässt mich die folgenden Minuten sehr genießen. Allen Problemen zum Trotz gibt sich Sänger Markus von BOOZED auch noch die Ehre und legt einen schwungvollen Gastauftritt bei UGLY STIFF hin. 
Kurz vor Ende des Gigs nehme ich allerdings meine Füße in die Hand. Mir macht die Hitze des Tages und die Kälte der Nacht (es ist mittlerweile nach 2 Uhr) zu schaffen. Somit wandere ich in Richtung meines Autos und kann diesem schönen Event zum zweiten Mal einfach nur DANKE sagen! Ob es nächstes Jahr wieder ein Komplex Open Air geben wird, steht noch in den Sternen, ich hoffe es jedenfalls sehr. 

Fazit: Das Publikum hätte ruhig zahlreicher und etwas enthusiastischer sein können. An der geringen Besucherzahl war wohl das zeitgleich stattfindende Area4-Festival schuld, aber für die am Nachmittag schnarchige Stimmung waren die Gäste selber verantwortlich. Dafür können die Veranstalter nix. In punkto Organisation gibt es hingegen nichts zu meckern, der kurzzeitige Ausfall von BOOZED wurde kurzfristig und adäquat ausgebügelt und die Soundprobleme am frühen Nachmittag wurden auch so schnell wie möglich behoben. Wie gesagt, ich sage Danke - und liebe Veranstalter, wenn Ihr nächstes Jahr wieder am Kuhmplatz die Kuh fliegen lasst, bin ich wieder dabei!