Geschrieben von Sonntag, 20 Januar 2013 09:48

Jan Plewka singt Rio Reiser im Capitol Mannheim

JAN PLEWKA und die Schwarz-Rote Heilsarmee bewiesen im Capitol Mannheim, dass es durchaus möglich ist, ein musikalisches Erbe sorgfältig und respektvoll zu verwalten. Der SELIG Frontman tourt schon seit über sechs Jahren mit seiner musikalischen Hommage an RIO REISER (verstorben 1996) sehr erfolgreich durch die Lande. BurnYourEars war in Mannheim dabei.

19.01.2013- Mannheim, Capitol: Ich war gespannt, welche Leute sich so ein Konzert anschauen. Das Publikum war eher ab 30 Jahre aufwärts und in jedem der teils angegrauten Besucher sah ich natürlich einen potentiellen Demobesucher oder ehemaligen Hausbesetzer. Und sicherlich werden auch einige Anwesende ausschließlich SELIG Fans oder JAN PLEWKA Fans gewesen sein. Viele schienen sich kurzfristig, sicherlich auch wegen der unsicheren Wetterlage, für einen Besuch entschieden zu haben, denn wir standen geschlagene zwanzig Minuten am Kassenschalter an.

Meine Motivation war eindeutig RIO REISERS Liedgut, welches mir schon im Alter von 12 Jahren zugetragen wurde und sofort gefallen hat. Seine autodidaktischen Fähigkeiten an Gitarre, Cello und Klavier, gepaart mit seiner lauten und kratzigen Stimme und seiner ehrlichen, schonungslosen Sprache, hatten schon damals eine enorme Anziehungskraft auf mich. Später interpretierte dann die deutsche Teenieband ECHT den Song „Junimond" , JAN DELAY nahm sich auf seinem Erfolgsalbum „Mercedes Dance" den Song „Für Immer Und Dich" vor, MAX HERRE coverte „Halt Dich An Deiner Liebe Fest", die BEATSTEAKS veröffentlichten vor kurzem ihre Interpretation von „S.N.A.F.T" und „König Von Deutschland" dürfte einer der erfolgreichsten Partyhits überhaupt sein. Die Liste ist fast endlos, aber keiner macht so konsequent wie JAN PLEWKA einen ganzen Abend daraus.

Die Diskografie von RIO REISER umfasst zum einen sein Wirken als Frontmann der Polit-Rock Band TON, STEINE, SCHERBEN und seine umfangreiche Solokarriere, die weniger rebellisch und gefühlsbetonter war.

Das Capitol in Mannheim war bestuhlt und der untere Teil praktisch ausverkauft. Wie es oben auf der Empore aussah, kann ich schwer beurteilen. Es drang auf jeden Fall gute Stimmung von oben nach unten. Die Sitzreihen boten eine angenehme Beinfreiheit – nicht unerheblich, wenn sich jemand durchgequetscht und man längere Zeit dort sitzen soll. Das Licht im Saal ging kurz nach 20 Uhr komplett aus und die Stimme von JAN PLEWKA ertönte in der Dunkelheit. „Stiller Raum" war passenderweise das erste Stück und tatsächlich hatte ich umgehend das Gefühl, RIO REISER sei direkt im Saal. Schlagartig war klar, dass der Abend gut werden wird und JAN PLEWKA tatsächlich in der Lage ist, den Geist der Musik von RIO REISER glaubwürdig wiederzugeben.

Man konnte fast eine Stecknadel fallen hören für die Dauer des Songs, der nahtlos in „Halt Dich An Deiner Liebe fest" überging. JAN PLEWKA betrat den noch abgedunkelten Raum und ging von hinten durch die Zuschauerreihen nach vorne zur Bühne, lediglich ausgerüstet mit seiner Stimme und einer (etwas schief gestimmten) Akustikgitarre. Die Zerbrechlichkeit des Originalstückes war deutlich zu spüren und nachdem JAN die Bühne erreicht hatte, komplettierte der Rest der Band den Song auch instrumental. Die Musik strömte geradezu in den Raum, ich war sehr beeindruckt. Es herrschte eine ganz andere Konzertatmosphäre, so einen Abend habe ich tatsächlich noch nicht besucht. Die Show war durchinszeniert aber trotzdem kein Theaterstück und auch kein Rockkonzert. JAN PLEWKA ist nicht ausschließlich Sänger, sondern auch ein erfolgreicher Schauspieler, was wiederum dem Abend zu Gute kam und für tosenden Applaus zwischen den einzelnen Stücken sorgte.

Besonders bei „Mein Name Ist Mensch", "Keine Macht Für Niemand" und "Lass Uns'n Wunder sein" überzeugte mich JAN PLEWKA komplett. Wenn man kurz die Augen schloss, war die Illusion perfekt. Er sang so laut und eindringlich, dass ein Mikrofon schon fast überflüssig war. Noch dazu hat JAN eine enorme Bühnenpräsenz und somit kann man ruhig und gerne hinschauen.

Das Publikum hatte häufig die Gelegenheit dazu, sich einzubringen, was es mal mehr, mal weniger tat. Beim „Rauch Haus Song" setzen sich JAN und Kollegen auf den Boden und gaben das Stück in bester akustischer Hausbesetzermanier wieder. Hier glühte der alte Rebellismus mancher Anwesenden auf und für ihre Verhältnisse sehr engagiert übernahm das Publikum den Refrain „... das ist unser Haus, schmeisst doch endlich Schmidt und Press und Mrosch aus Kreuzberg raus!". Der „Rauch Haus Song" war, nach „Ich Will Nicht Werden, Was Mein Alter Ist" einer der ersten Songs von TON STEINE SCHERBEN, die mich als Jugendliche begeistert haben. Die Begabung, vom Leben zu singen, mit den Worten, die man im Leben auch tatsächlich benutzt und dabei dann noch so ins Schwarze zu treffen, das können leider nur wenige deutsche Künstler und viele verlieren sich in Pseudolyric.

Als anschließender Titel passte „Der Turm Stürzt Ein" natürlich wunderbar und JAN ging gemeinsam mit der Band durch die Reihen und sammelte Geld für einen guten Zweck. Lustig zu sehen, dass einige Ex-Revoluzzer zögerten ("Für was sammeln die überhaupt?") und andere bedingungslos spendeten ("Für einen guten Zweck ist immer gut"). JAN führte den Kommunengedanken zu Ende, indem er einem der Anwesenden erlaubte, zur Abwechslung auch was rausholen zu dürfen.

Gerade die Tatsache, dass auf der einen Seite alles einem roten Faden folgte und einen Rahmen hatte, dann aber doch stellenweise liebevoll schmal durchgeführt würde, entspricht zum einen dem Künstler RIO REISER und gab dem Abend das gewisse Etwas. JANs Interpretation von „Unten Am Hafen" war herrlich minimal und seine Einführung in die Welt des Schifferklaviers lockerte die Stimmung auf. Es war spürbar, dass RIO REISER JAN PLEWKA sein ganzen Leben lang musikalisch begleitet hat und JAN somit in der Lage ist, zu jedem Song eine Geschichte und ein Gefühl zu transportieren.

Abgesehen davon, dass JAN PLEWKA jedes Stück tatsächlich so sang, als ob er es selbst geschrieben hätte, war die Band auch sehr hörenswert. Man merkt, dass die Musiker schon einige Zeit in dieser Zusammensetzung spielen und der Spaß auf der Bühne war ansteckend. Der Schlagzeuger warf Reis auf die Trommeln, was für einen kleinen aber feinen Effekt sorgte. Nach ungefähr der Hälfte war bei mir sowieso der Punkt erreicht, an dem ich mich gerne entweder komplett hingefläzt hätte oder aufstehen und mittanzen wollte. Leicht verunsichert blieb ich, wie alle anderen, sitzen. In der ersten Reihe rastet eine Besucherin schier auf ihrem Sitz aus, als JAN „Der Traum Ist Aus" anstimmte. Ich könnte mir das Konzept sehr gut Open Air vorstellen und bin mir sicher, dass einige der Anwesenden sich auch gerne bewegungstechnisch ausgelebt hätten. Dazu gab es allerdings auch noch reichlich Gelegenheit.

Nach über einer Stunde war der „offizielle Teil" vorbei und JAN PLEWKA forderte die Masse auf, aufzustehen und sich zu bewegen. Es war an der Zeit für "Junimond" und es gab unter anderem auch noch die flotte Version von „Der Turm Stürzt Ein" und „Alles Lüge". Bei letztem klärte sich dann auch das Phänomen von „Für Immer Und Dich" auf. Während dieses Songs fixierte JAN nämlich vorher eine Dame aus dem Publikum und ging sogar soweit, sie auf die Bühne zu holen und dort knutschend flachzulegen. Die Freundin der Glücklichen stürmte sofort nach vorne, um (dem Zeitgeist entsprechend) alles per Handykamera festzuhalten.

Bei „Alles Lüge" kam die Geknutschte dann auf die Bühne und von daher war klar, dass auch diese Szene inszeniert war. Ich hatte mich noch gewundert, dass es doch ein großes Risiko ist, sich einfach irgendeine Person rauszupicken, wenn man sich nicht sicher sein kann, wie groß die Fanliebe tatsächlich ist.

Ich war mit dem Umschalten auf „bitte jetzt stehen und tanzen" überfordert und wusste nicht so recht wohin mit mir, meinem Leergut, meinem Schal und meiner Winterjacke. Aber eine schöne Idee war es auf jeden Fall und rückblickend war es auch wichtig, während des Konzertes zu sitzen, da es ja letztendlich eine Inszenierung war und kein typisches Rockkonzert. Als häufige Konzertbesucherin, die sich größtenteils auf Metal- und Rockkonzerten rumtreibt, finde ich es immer wieder lustig zu sehen, wie unverschämt unsensibel sich manche Pseudo-Intellektuellen verhalten. Ständig wurde aufgestanden und rausgelaufen, um Nachschub von irgendwelchen Getränken zu holen, viele Besucher kamen zu spät und störten somit die Aufführung. Besonders fremdgeschämt habe ich mich, als JAN PLEWKA wirklich äußerst minimal beleuchtet vor dem Klavier saß und einen sehr traurigen Song spielte. Da einige den „intimen Moment" unbedingt rücksichtslos festhalten wollten, machten sie ihn für die anderen Zuschauer kaputt, da Blitzlicht und Knipsgeräusche den Vortrag störten.

JAN PLEWKA singt RIO REISER ist eine empfehlenswerte Veranstaltung, die allerdings voraussetzt, dass man RIO REISERs Kunst kennt und mag. Dann kann man verstehen, wie behutsam JAN PLEWKA sie interpretiert und hat die Gelegenheit, eine kleine Zeitreise zu machen.

Danke an Christoph von Hauptmann Entertainment und ganz besondern Dank an Tom Stromberg vom Schauspielhaus Hamburg, für seine Beharrlichkeit und den richtigen Riecher, das Erbe von RIO REISER in die Obhut von JAN PLEWKA zu geben.