Geschrieben von Donnerstag, 12 März 2015 20:47

Hell Over Hammaburg 2015 - Hamburg / Markthalle

Das dritte HELL OVER HAMMABURG-Festival beginnt mit einer guten Idee und endet mit einer unschönen Überraschung – die Headliner MIDNIGHT wollten ihrem Chaoten-Image wohl unbedingt gerecht werden. Trotzdem: Mit Sicherheit ist jeder einzelne Gast beseelt nach Hause gegangen. Der Tag war rundum gelungen und schon jetzt haben die Veranstalter angekündigt, dass es 2016 eine Erweiterung geben wird.

Letztes Jahr begann das gemütliche Ein-Tages-Festival etwas holprig. Zwei Bands starteten den Tag parallel. Diesmal bleibt das Marx, der kleine Saal der Hamburger Markthalle, erstmal zu, sodass sich alle auf AMBUSH konzentrieren können. Gute Idee. Die Jungs geben fröhlich Gas – und der biedere, aber kraftvolle Heavy Metal passt hervorragend, um die Köpfe warm zu schwingen. AMBUSH reißen die Flying V’s, das Publikum reißt die Arme und das erste Astra hoch. Zum stampfenden, traditionellen 80er-Metal haben die Schweden sogar eine Art Choreografie am Start und federn synchron in den Knien. Das macht die Chose noch authentischer. Guter Auftakt!

Da ich diesmal allein auf dem HELL OVER HAMMABURG bin, muss ich mich zwischendurch etwas sputen und schaffe es nicht, mir alle Bands anzusehen – schade, denn das Line-Up ist erneut exquisit und wie ich höre, habe ich durchaus geile Sachen verpasst. Aber ich kann nicht an zwei Orten zugleich sein, und was zu essen muss ja auch mal drin sein. Nach AMBUSH bleibe ich im großen Saal und erlebe ROBERT PEHRSSON’S HUMBUCKER.

Wahrlich ein Erlebnis: Während Pehrsson sofort seinen weißbestiefelten Fuß für’s Solo auf das Wah-Wah stampft, bastelt ihm seine Mannschaft eine geniale Begleitung mit verschwitzter, ehrlicher Rock 'n Roll-Performance. Der Funke springt über und die Mischung aus wundervollen Thin-Lizzy-Doppelleads und Rotzrock knallt. Robert Pehrsson hat schon viel erlebt und den schwedischen Death Metal genauso mitgeprägt wie den schwedischen Rock 'n Roll. Entsprechend lässig kommt er rüber, die Bühnenpräsenz des Mannes ist bemerkenswert – seine Stimme, Gitarrenskills und Songs ebenfalls. Großartig, aber ich will rüber zu THE TOWER.

Tommie Eriksson war 2013 schon dabei: mit SATURNALIA TEMPLE. Bei THE TOWER gibt er Gitarre und Gesang ab und spielt richtig gut Schlagzeug. Ein echter Multifunktionskünstler, der Mann. THE TOWER spielen sperrigen, blues-orientierten, psychedelischen Rock, der live krachiger kommt als aus der Konserve.

Es drängt sich mir die Frage auf, ob bei den Jungs drogenmäßig alles in Ordnung ist. Der Bassist wirkt von Anfang an entrückt und bald, mit schweißüberströmtem Gesicht und derangiertem Lidschatten, auch ziemlich fertig. Der Sänger tanzt hippiesk im Rüschenhemd, und spätestens als er zum abschließenden Hammersong „The Tower“ rezitierend niederkniet, stehen THE DOORS übergroß im Raum. Woodstock hätten THE TOWER mit diesem finsteren 60s-Sound zerstört, aber auch Hamburg ist angetan und verabschiedet die Band nach diesem Rausch mit warmem Applaus.

Mir bleibt nur ein kurzer Moment, um einen Blick auf CARONTE zu werfen. Doomiger Sludge aus Italien mit einem stimmlich und körperlich bärigen Sänger, der die tätowierten Fäuste zu großen Gesten hebt. Klingt gut, aber ich will HIGH SPIRITS nicht verpassen – und werde nicht enttäuscht.

„My name is Chris, and these are my friends, better known to you as … HIGH SPRIRITS!“ Unfassbar, wie Chris Black sein Publikum von der ersten Sekunde an im Sack hat. Er arbeitet aber auch hart dafür: Bühnenpräsenz ist eine Sache, aber der Sänger und Chef der Band wittert jede Müdigkeitserscheinung im Voraus und feuert die Markthalle immer wieder an. Der Saal ist voll und tobt, und es ist eindeutig, dass HIGH SPIRITS für viele hier das Highlight des Tages sind.

Die Truppe aus Chicago spielt ihren energetischen, fröhlichen Früh-Achtziger Sound zwar routiniert, aber voller Freude runter – man glaubt der Band, dass sie sich unbändig freut über die begeisterten Reaktionen. „Another Night In The City“ singen wirklich alle mit – und HIGH SPIRITS  legen sogar noch eine Zugabe oben drauf. Grandioser Auftritt, nur das Bühnenoutfit raff ich nicht. Aus dem Motto „schwarzes Shirt, weiße Jeans“ hätte man was machen können – das klappt aber nicht, wenn man die Bollerhosen vom Takko-Wühltisch kauft.

Danach gehe ich kurz zu NIGHT – und bleibe bei der Band, von der ich vorher noch nie gehört habe, prompt hingerissen kleben. Vier junge Schweden, bei zweien bin ich mir nicht mal sicher, ob Mutti weiß, dass sie so spät noch auf sind, und der Sänger gewinnt souverän den Popelbremsen-Wettbewerb. NIGHT spielen Metal, maidenmäßig – und JUDAS PRIEST schimmern nicht nur als Tattoo auf dem Unterarm des Gitarristen durch. Jugendliche Spielfreude, geile Doppelleads, schräger Kopfstimmen-Gesang – das Publikum ist allerdings im Vergleich zu anderen Bands eher gechillt als aufgewühlt. Einige verabschieden sich vorzeitig, so auch ich. Ein paar Minuten NECROS CHRISTOS müssen noch sein.

Kontrastprogramm: Im großen Saal wogt die Menge im Rhythmus des düsteren, wummernden Death Metal. NECROS CHRISTOS machen nicht viele Worte, trotzdem merkt man, dass sie sich freuen. Und viele, die nach dem Auftritt Richtung Foyer gehen, sehen verschwitzt und zufrieden aus. Den Gesprächen am Tresen nach gehörte die Berliner Death Metal-Band für viele zu den Highlights des HELL OVER HAMMABURG. Ich konnte mich nach dem Erlebnis mit NIGHT ehrlich gesagt nicht so recht darauf einstellen. Außerdem frage ich mich nicht zum ersten Mal, ob diese Art von Musik auf größeren Bühnen überhaupt ihre volle Wirkung entfalten kann.

Zum Schluss muss jeder eine Entscheidung treffen: MIDNIGHT oder CHAPEL OF DISEASE? Assiger Black Metal-Rock'n Roll oder Oldschool-Death Metal? Dass diese beiden Bands parallel als Headliner spielen, wurde im Vorfeld nicht gut aufgenommen, viele hatten bei Facebook ihren Unmut darüber geäußert. Ich entscheide mich für CHAPEL OF DISEASE und richtig. Denn MIDNIGHT verkürzen ihren für 70 Minuten geplanten Auftritt spontan um etwa die Hälfte. Dementsprechend angekotzt sind viele, die extra für die Band gekommen sind.

CHAPEL OF DISEASE hingegen nutzen jede einzelne ihrer 60 Minuten für eine höchst intensive Show. Wenig Worte, wenig Show – nur heftiger, straighter Death Metal alter Schule, gepaart mit Doom-Elementen. Wahnsinnig intensiv, und dass die Band, statt Ansagen zu machen, Samples zwischen den Songs abspielt, macht die Sache noch runder. Vor der Bühne gibt’s neben fliegenden Haaren sogar ein wenig Gerangel. Das sieht man heutzutage selten. Ich bin froh, dass die Veranstalter nicht auf die Forderungen eingegangen sind, CHAPEL OF DISEASE auf die Hauptbühne zu packen – das kleine Marx hat genau die richtige Größe, um den rohen Sound perfekt zur Geltung zu bringen.

Apropos Sound: Der war bei jeder einzelnen Band zumindest gut, meistens aber spitze. Daher Hut ab vor den Leuten hinter dem Festival, die es nicht dabei belassen, lediglich ein exklusives Line-Up aus Underground-Kuriositäten und selten gesehenen Bands zusammenzustellen. Nur die Nummer mit MIDNIGHT war lahm, und das lahme Statement dazu auf der Facebook-Seite des Festivals macht es nicht besser: Herzlichen Glückwunsch an den Gitarristen, der Vater geworden ist und kurzfristig ersetzt werden musste. Aber "viel längere Shows sind generell nicht ihre Sache"? Naja.

Doch auch das hat wohl niemandem endgültig die Laune verhagelt, das HELL OVER HAMMABURG bleibt ein großartiges Festival und ist schon nach der dritten Runde eine Institution. Nächstes Jahr, das weiß man schon jetzt, wird der Samstag erweitert und die Warm-Up-Night vom Rock Café Sankt Pauli in die Markthalle verlegt. Das HELL OVER HAMMABURG wird somit zum zweitätigen Event.

Das komplette Line-Up:

Markthalle:

AMBUSH
ROBERT PEHRSSON’S HUMBUCKER
CULT OF FIRE
HIGH SPIRITS
SOLSTICE
NECROS CHRISTOS
MIDNIGHT

Marx:

TRIUMPHANT
THE TOWER
CARONTE
DROWNED
NIGHT
CHAPEL OF DISEASE