Geschrieben von Montag, 12 September 2016 12:20

Punk Rock Holiday 2016 - Der Festivalbericht

Die Melodic-Hardcore-Jungs A Wilhelm Scream auf dem Punk Rock Holiday 1.7 Die Melodic-Hardcore-Jungs A Wilhelm Scream auf dem Punk Rock Holiday 1.7 Foto © BurnYourEars Webzine
Wir wissen es ja alle: Festivals sind nicht gesund! Die meisten fragen sich spätestens am zweiten oder dritten Tag, warum man seinem Körper den alljährlichen Alkohol-Fastfood-Schlafentzug-Marathon eigentlich antut. Doch Exzess und Wellness müssen sich nicht zwangsläufig ausschließen. Der beste Beweis dafür ist das Punk-Rock-Holiday-Festival in Slowenien, welches wir vom 8. bis 12. August besucht haben. Zum sechsten Mal luden die Veranstalter Punk-Fans aus aller Welt in das beschauliche 4.000-Einwohner-Städtchen Tolmin ein.

Zugegebenermaßen ist die Anreise – zumindest aus Norddeutschland – mit knapp 1.300 Kilometer Strecke nicht gerade ein Kurztrip. Doch solche Kleinigkeiten sind sofort vergessen, sobald die Füße zum ersten Mal das Festivalgelände betreten. Dieses ist nämlich ohne Übertreibung an Schönheit kaum zu übertreffen. Ein grandioses Alpenpanorama trifft hier auf den smaragdfarbenen Gebirgsfluss Soča, dessen glasklares Kühlschrank-Wasser für viele die perfekte Medizin gegen den morgendlichen Kater ist.

Mit 5.000 Besuchern sowie einer Hauptbühne und der kleinen Beach Stage, auf der sich viele Newcomer austoben dürfen, fällt das Festival zudem angenehm familiär aus. Die Wege sind kurz, vor den Bühnen gibt es nur selten Gedränge und Stress ist während der gesamten Zeit ein Fremdwort. Auch die Barrieren zwischen Bands und Fans halten sich in Grenzen. Frei nach dem Motto „Unsere Bühne ist eure Bühne“ sind bis zu 100 Stagediver gleichzeitig keine Seltenheit. Apropos Bands – mit Acts wie SICK OF IT ALL, DESCENDENTS, BOUNCING SOULS, NO FUN AT ALL oder MILLENCOLIN versammelte sich in diesem Jahr das „Who is Who“ der Punk- und Hardcoreszene in Tolmin.

Die Liste unserer musikalischen Highlights ist lang. Die Organisatoren des Festivals haben sehr darauf geachtet, dass für jeden Geschmack etwas dabei ist. Skaterpunk, Hardcore, Alternative und eher poppige Bands wechseln sich ab. Trotzdem gab es Bands, die mehr im Gedächtnis geblieben sind, als andere.

Der Startschuss fällt für uns mit den Hardcore-Urgesteinen von SICK OF IT ALL. Die New Yorker feiern dieses Jahr ihr 30-jähriges Bestehen und sind nicht nur deshalb aus der Szene kaum noch wegzudenken. Von Altersmüdigkeit kann bei den Jungs allerdings keine Rede sein. Direkt mit dem ersten Ton knallen Lou Koller und Gefolge den zahlreichen Fans ein HC-Feuerwerk um die Ohren, das sich gewaschen hat. Absolut tight, energiegeladen, druckvoll und mit einem top Sound versehen spielt sich die Band quer durch ihre Diskografie. Bereits nach den ersten Songs gibt es für die Meute im Pit folglich auch kein Halten mehr und kurz darauf tummeln sich Dutzende Stagediver auf der Bühne, die gemeinsam mit der Band eine wilde Party feiern. Großes Kino!               

Eine Band, die mir bis dato unbekannt war, aber einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat, ist die Hardcore-Combo A WILHELM SCREAM. Tatsächlich machen die US-Amerikaner schon seit 1996 gemeinsam Musik. Allerdings gelangten sie erst 2006 zu internationaler Aufmerksamkeit, als sie als Vorband von LAGWAGON und ANTI-FLAG durch Europa tourten. 

Musikalisch erinnert die Band an THE OFFSPRING in den 90er-Jahren. Die Melodien gehen ins Ohr, wobei die Stimme von Sänger Nuno Pereira angenehm tief und kratzig ist und einen Whisky-Zigaretten-Charme versprüht. Zudem haben A WILHELM SCREAM eine extrem sympathische Ausstrahlung, gepaart mit großer Spielfreude.

NOFX sorgen schon während der Umbauarbeiten für ein komödiantisches Highlight, als das wohl kleinste Bandbanner der Welt an den Molton gehangen wird. Mehr als eine DIN-A3 Seite war das nicht. Bei ihrem Auftritt geben die Punkrocker von Anfang an richtig Gas und stimmen gleich als erstes „Kill All The White Man“ an. Das Publikum dankt es mit sofortigem Ausrasten und wilden Sprüngen. Sänger Fat Mike ist bestens gelaunt und interagiert in den Pausen zwischen den Songs viel mit den Fans. In der rund einstündigen Show sind alle musikalischen Highlights der Bandgeschichte vertreten. Von „Murder The Goverment“ über „Fuck The Kids“ bis zu „Don’t Call Me White“.

Auch die DONOTS schaffen es als einer der Headliner, am Folgetag vollends zu überzeugen. Ein wahrer Regen von Stagedivern geht auf das Publikum hernieder, während Ingo Knollmann und seine Mannen sich die Seele aus dem Leib spielen. Dass fast die Hälfte des Sets aus deutschsprachigen Liedern besteht, stört hier niemanden. Tatsächlich kommt auch ein Großteil des Publikums aus Deutschland und ist durchaus textsicher. Die Alternativrocker können uns so sehr begeistern, dass auch ich mich mit einer Freundin beim RAMONES-Cover „Pet Sematary“ zu einem ersten Sprung von der Bühne ins Publikum aufmache. Wobei die Beschreibung: „Wir ließen uns langsam und sehr ungelenk in fremde Arme plumpsen“ hier wahrscheinlich treffender wäre.

Auch die schwedischen Skatepunker NO FUN AT ALL machen entgegen ihrem Namen jede Menge Spaß. Offiziell hat sich die Band zwar 2012 aufgelöst, trotzdem geben sie zur Freude der Fans seit 2013 wieder gelegentlich Konzerte. Und auch beim PRH werden Ingemar Jansson und seine Kollegen standesgemäß gefeiert. Mitten im Set springt ein weiblicher Fan im Ganzkörper-Tigerkostüm auf die Bühne, krabbelt auf allen Vieren zum Bühnenrand und beginnt im Sitzen zu rudern. Nach und nach tun es ihm circa 30 Leute gleich und bilden ein imaginäres Ruderboot. Witzig. Generell ist es spannend zu sehen, wie sehr sich die Art zu feiern bei verschiedenen Musikgenres unterscheidet.

Als letzte Band des Festivals treten MILLENCOLIN an. Leider stellt sich der Auftritt nach wenigen Minuten als eines der Lowlights heraus. Der Sound ist dermaßen schlecht und kraftlos, dass vor der Bühne überhaupt keine Stimmung aufkommt. Argwöhnisch betrachten die Fans, was da passiert und hoffen auf Besserung. Nur wenige lassen sich zum Tanzen animieren und feiern ungestört weiter. Ein Großteil aber steht nur da und nach kurzer Zeit verlassen wir gemeinsam mit vielen anderen enttäuschten Fans das Gelände Richtung Zeltplatz.

Bei allem Lob gibt es jedoch auch ein paar Kritikpunkte. So haben sich die Organisatoren ein bargeldloses Bezahlsystem ausgedacht, das bei der Ausgabe leider völlig unerklärt bleibt. So wundert man sich über den unkommentierten Abzug einer 15 Euro hohen Gebühr und erfährt erst am letzten Tag bei der Rückgabe, dass man alle Gläser wieder hätte abgeben müssen. Fehlt eines, bekommt man auch nicht den kompletten, noch offenen Betrag ausgezahlt. Die grundsätzliche Idee dahinter, Müll zu vermeiden ist zwar gut, doch hakt das System, sobald jemand mal eine Runde holen geht und mehr Becher abgibt, als er auf seiner Karte offen hat.

Und auch das auf der Website versprochene Bier-Eldorado, in dem die kühle Erfrischung nur einen Euro kostet, ist so nicht vorhanden. Auf den Campingplätzen kann man sich zwar im Breakfast Tent Dosenbier für einen Euro besorgen, dies aber nur zwischen 9:00 und 19:00 Uhr und auch nur, solange der Vorrat reicht, was er meistens nicht tat. Auf dem Festivalgelände selbst musste man dann schmerzhafte vier Euro beim Barpersonal berappen. Nicht sehr punkrockig.

Trotzdem haben wir unseren Ausflug nach Slowenien sehr genossen und kommen gerne wieder. Denn auch, wenn es ein paar Ärgernisse gab: Die Schönheit des Geländes und der Umgebung, die Gelassenheit und gute Laune der Besucher sowie die Nähe zu den ganz Großen der Szene entschädigen für alles. Kein Wunder also, dass das Punk Rock Holiday 1.7. bereits nach wenigen Tagen komplett ausverkauft war.

Damit auch Ihr für das kommende Jahr gut gerüstet seid, hier eine Liste von Dingen, die nicht in Eurem Koffer fehlen sollten:

  • Eine Luftmatratze für den Bach – je abgefahrener, desto besser. Highlights 2016: Flamingos, Gummi-Einhörner, schwimmende Pizzastücke und ein aufblasbares Schiff, mit Platz für zehn Personen und Anker.
  • Neoprenschuhe für den Bach. Gerade bei empfindlichen Füßen ein guter Schutz gegen den steinigen Boden.
  • Wasserfeste Handytasche
  • Sonnencreme in Massen
  • Sonnenschutz für den Kopf
  • Bauchtasche oder Ähnliches für die Paycard

Danke an Co-Autor André Kummer
Vero

Gastautorin mit Wacken-Expertise

Artikel dazu