Die atmosphärischen Metalcoreler mit ihrer kritischen Weltanschauung – aber dennoch absolut positiver und mitreißender Liveshow – haben meine Liebe für sie erstmals vor zwei Jahren im kalifornischen Pomona als Support für HASTE THE DAY und PHINEHAS entflammt und dann im selben Jahr bei der CHRISTMAS ROCK NIGHT in Ennepetal völlig entfesselt. Leider spielen die fünf Kalifornier heute als erstes und haben daher lediglich ein halbstündiges Set. Aber natürlich bin ich auch gespannt auf die anderen zwei Acts des heutigen Line-Ups: LANDSCAPES aus Somerset, UK sind mir bislang völlig unbekannt und auch die Headliner HUNDREDTH kenne ich lediglich vom Namen her.
Um kurz vor 20 Uhr legen aber erstmal meine Lieblinge SILENT PLANET mit dem verstörenden „XX (City Grave)“ los. Die Jungs um Sänger Garret Russell haben eine tolle Bühnenpräsenz und fesseln ihr Publikum vom ersten Moment an. Der Sound sitzt und die Tatsache, dass das Logo heute nur zur Hälfte gefüllt ist, ist für die Bands zwar super schade, ich persönlich finde es aber eher positiv, da der Club häufig unerträglich stickig ist, wenn er komplett ausverkauft ist und auch die Sicht lässt dann an einigen Stellen sehr zu wünschen übrig.
Blickfang von SILENT PLANET ist definitiv ihr Frontmann Garret, der mit seiner zierlichen Figur, den lockigen langen Haaren, seinen unspektakulären Schlabberklamotten und nackten Füßen aussieht wie der wiedergeborene Jesus höchstpersönlich. Sein Blick ist anklagend, seine Gestik und Bewegungen sind theatralisch, womit sie die schwere Kost der Lyrics der Band unterstreichen. SILENT PLANET ist definitiv eine christliche Band, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, durch ihre Songtexte auf die Missstände in der Welt hinzuweisen. Der zweite Song ihres Sets „Panic Room“ handelt beispielsweise von einem befreundeten Soldaten, der seit einem Einsatz im Krieg unter einem posttraumatischen Stresssyndrom leidet. „Native Blood“ handelt von der unfairen Behandlung der Ureinwohner Amerikas durch die damaligen Gründerväter, „Understanding Love As Loss“ thematisiert Selbstmord und Depressionen und „Orphan“ zeigt auf, wie gefährlich Vorurteile gegenüber anderen Kulturen sind. Hierzu lässt Garret es sich nicht nehmen, diverse Seitenhiebe gegen Donald Trump zu verteilen. Seine Hauptaussagen hierzu sind: „Don’t let Donald Trump change the way we see each other“ oder “Fear is the greatest illness of all”.
Musikalisch sind SILENT PLANET sehr experimentell und unterstreichen durch Breaks, Breakdowns aber auch die diversen atmosphärischen und melodischen Parts die Aussage ihrer Lyrics. Neben Garret, der fürs Schreien und Growlen verantwortlich ist, übernimmt Bassist Thomas Freckleton immer wieder die melodisches Parts der Refrains. Besonders auf dem aktuellen Album „Everything Was Sound“ werden diese viel häufiger eingesetzt als noch auf dem Debüt „The Night God Slept“. Ich mag diese Entwicklung sehr und bin gespannt, wie es für die sympathischen Kalifornier weitergeht. Live überzeugen sie wie immer auf ganzer Linie – und als nach „Nervosa“ und „Depth II“ viel zu früh der „Vorhang“ fällt, bin ich ein wenig schwermütig, da ich wie gesagt die anderen zwei Bands des Abends gar nicht kenne.
Setlist SILENT PLANET:
XX (City Grave)
Panic Room
Native Blood
Understanding Love As Loss
Orphan
Nervosa
Depth II
Um 20:42 Uhr erklingt ein düsters, mit quietschigen Störgeräuschen durchsetztes Intro und die fünf Jungs von LANDSCAPES aus Somerset, Großbritannien entern die Bühne. Noch kurz vor dem Auftritt der Briten freut sich mein Schatz über die beim Soundcheck eingesetzte Gitarre mit Hall-Effekt, doch sowohl das Intro als auch die Optik von Sänger Shaun Milton lassen eher auf angepisste Hardcore-Töne als auf schöne Gitarrenmelodien schließen.
Aber weit gefehlt, denn LANDSCAPES sind zwar insgesamt eher schwermütig und trübsinnig, haben aber auch wunderschöne Melodien mit viel Tiefe. Sänger Shaun ist auch hier wieder absoluter Eyecatcher, denn er kommt in Kapuzenpulli, Lederjacke und Sonnenbrille auf die Bühne. Die Kapuze seines Hoodies zieht sich der Sänger mit der heiseren, rauen und sehr kräftigen Stimme immer wieder tief ins Gesicht und wirkt anfangs dadurch extrem unnahbar. Dies passt zum lyrischen Inhalt des aktuellen Albums „Modern Earth“, welches von Einsamkeit und Weltschmerz handelt.
Das mittlerweile besser gefüllte Logo und die damit entstandene Hitze tragen dann ein paar Songs später dazu bei, dass Shaun sich seiner Jacke, Sonnenbrille und seines Hoodies entledigt und nur noch im Shirt performt und uns seine diversen Tattoos präsentiert. Auch Drummer Jordan ist es zu warm geworden und er trommelt oberkörperfrei weiter. Der kleine, zierliche Drummer hat sichtlich Spaß bei der Arbeit und verausgabt sich völlig. Die angepisste Attitude der Briten bleibt aber auch weiterhin bestehen: So gibt sich Frontmann Shaun eher prollig und rüpelhaft und entledigt sich im Laufe des kurzen Sets häufiger seines Speichels. Leider sind seine kurzen Ansagen vor den Songs so nuschelig, dass ich wenig davon mitbekomme.
Dennoch bin ich total geflasht von LANDSCAPES. Ihre Musik besitzt eine ordentliche Portion Härte, viel Dramatik aber auch tolle Melodien und die Bühnenshow ist absolut energiegeladen. Der heisere Gesang von Shaun Milton mag nicht jedermanns Geschmack sein, aber Fans von Bands wie DEFEATER sollten hier definitiv mal reinhören. Am schönsten ist der Abschluss des 35minütigen Sets – die Ballade „Remorser“. Ein ruhiger Akustiksong, der sich in ein ergreifendes, geschrienes Ende hineinsteigert. Auch das Publikum am heutigen Abend ist eindeutig wegen der Jungs aus Somerset gekommen, denn vor dem Gig des heutigen Headliners HUNDREDTH lichtet sich der Zuschauerbereich deutlich.
HUNDREDTH aus Myrtle Beach, South Carolina sind der heutige Headliner und zählen wie auch ihre zwei Anheizer zum Genre Melodic Hardcore. Dennoch passen sie am wenigsten in das heutige Line-Up und ihre Musik ist weniger schwermütig und midtempo, sondern vor allem punkig. Dies beeindruckt besonders die Jungspunde in den vorderen Reihen, die tanzend und textsicher ihre Lieblinge unterstützen. Trotz der energiegeladenen Show flashen mich HUNDREDTH so gar nicht. Fast jeder dargebotene Song klingt ähnlich und auch die von vielen Kritikern angepriesenen hymnenartigen Refrains kann ich nicht wirklich ausmachen.
Einziger Lichtblick im superkurzen Set der Amis ist das JOHNNY CASH Cover „Hurt“, bei dem Sänger Chadwick Johnson endlich mal nicht so eindimensional klingt. HUNDREDTH sind einfach nicht so mein Ding, aber ihre Fans schreien nach den knapp 40 Minuten nach einer Zugabe – die es nicht gibt, da die Band laut eigener Aussage keine Songs mehr vorbereitet hat. Wirklich traurig, bei drei Studioalben und zwei EPs ...
Setlist HUNDREDTH:
1. Free Mind / Open Spirit
2. Victim
3. Unravel
4. Live Today
5. Remain & Sustain
6. Reach
7. Hurt
8. Inside Out
9. Weathered Town
10. Break Free
Für mich persönlich hat sich dieser Abend aber dennoch mehr als gelohnt. SILENT PLANET sind immer noch absolut mitreißend, herzlich und so dankbar zu allen Anwesenden, dass ich mich bereits jetzt auf ihre nächsten Gigs im November freue, die Garret nach der Show noch ankündigt. Auch LANDSCAPES finde ich großartig – ein wenig erinnern sie mich an WHILE SHE SLEEPS, wobei LANDSCAPES wesentlich schwermütiger klingen, aber dafür so tief ergreifend emotional, dass es einen fast traurig macht. Ihr Album „Modern Earth“ und eine Mütze von SILENT PLANET müssen es am Merchandise-Stand dann auf jeden Fall noch sein. Danke für diesen tollen Abend!