Wenn die Pflicht ruft, lässt man sich das als junger Online-Journalist nicht zweimal sagen. Vor allem nicht, wenn es sich bei der "Pflicht“ um die schwedischen Chartstürmer von ARCH ENEMY höchstpersönlich handelt. Keine Frage also, dass die BYE-Südfraktion diesen Leckerbissen nicht unter den Tisch fallen lassen konnte und so stand für den Abend des 13. Januar ein weiterer Besuch in unserem zweiten Wohnzimmer, dem LKA Longhorn, an.
Mitgebracht hatten die Melo-Death-Metaller, die auch mit ihrem neusten Werk "Will To Power“ tolle Wertungen abräumen konnten, gleich drei (!) Vorbands, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten. Über den Sinn eines solch aufgeblähten Line-Ups lässt sich bekanntlich streiten, über den günstigen Eintrittspreis jedoch nicht. Vier Bands und fünf Stunden reinster Heavy Metal für nur 33€ sind absolut unschlagbar. Das dachte sich wohl auch die Stuttgarter Metalgemeinde, welche für ein volles Haus und ein großes "Ausverkauft!“-Schild am Eingang gesorgt hatte.
JINJER
Zu ungewohnt früher Zeit durfte die ukrainische Metalcore-Formation JINJER, welche die Schweden schon auf ihrer Europatour letzten Herbst begleiten durfte, den Reigen eröffnen. Dennoch sah sich das Quartett schon einer ordentlich gefüllten Halle entgegen, welche durchaus bereit war, die Osteuropäer durch heftiges Kopfschütteln zu unterstützen. Zurecht, heizten JINJER mit ihren brutalen Break Downs und melodischen Refrains doch beachtenswert vor und machten genau das, für was sie bestellt worden waren. Wirklich Eindruck schinden konnte die Formation dabei aber nicht. Ja, der Auftritt war gut, aber eben auch nicht nennenswert besser als die Shows vergleichbarer Bands. Als Aperitif konnte sich die Truppe aber schon einmal sehen lassen.
TRIBULATION
Völlig unbeeindruckt vom vorangegangen Core-Feuerwerk betraten nach kurzer Umbaupause TRIBULATION die Bühne und brachen ein bisschen mit der Tradition. Anstatt die Halle weiter auf Betriebstemperatur zu bringen, setzte das Quartett auf deutlich atmosphärischere Klänge. Jedoch wollte der langsame, fast schon besinnliche Death Metal der Schweden nicht jedem in der Halle gefallen. Wer gekommen war, um endlich wieder "volles Pfund aufs Maul“ zu bekommen, wähnte sich spätestens jetzt im falschen Film. Wer sich jedoch auf die düstere, teils rituell anmutende Show einließ, sollte eines der Highlights des Abends erleben und erfuhr eine faszinierende Ruhepause vom sonst doch recht flotten Programm. Gerne wieder!
WINTERSUN
Mit WINTERSUN hielt schließlich auch der an diesem Abend noch fehlende Bombast Einzug. Zwar konnten die Skandinavier mit ihrem neuen Output "The Forest Seasons“ nicht ganz an den Vorgänger "Time I“ anknüpfen, was jedoch nichts an der enormen Live-Qualität des Quintetts änderte. Wer nicht aufpasste, wurde vom gewaltigen Wintersturm, welcher aus den Boxen pfiff, einfach umgehauen.
Die Finnen, welche leider ohne NIGHTWISH-Drummer Kai Hahto auskommen mussten, konnten sich auf eine leidenschaftliche und zahlreich vertretende Fanschar stützen und lieferten epischen Death Metal der allerfeinsten Güte ab. Wer beim epischen "Sons Of Winter And Stars“ oder beim Rausschmeißer "Time“ nicht mitgerissen wurde, war entweder taub oder einfach schlecht drauf.
Gut möglich, dass der ganze Pomp dem ein oder anderem eine Spur zu kitschig war, denn eine gewisse Affinität zum Power Metal lässt sich vor allem live kaum leugnen. Dennoch ist WINTERSUN die musikalische Qualität kaum abzusprechen. Wer überlange Songs so kurzweilig gestalten kann, verdient sich den Erfolg absolut. Gebt den Jungs endlich Bildschirme und Pyrotechnik, dann füllen die "Sons Of Winter And Stars“ auch deutlich größere Hallen!
ARCH ENEMY
Nach über drei Stunden Vorprogramm bemühte sich um halb zehn schließlich auch der schwedische Headliner auf die Bühne. Von Müdigkeit war jedoch weder bei den angereisten Fans noch bei den eigentlich immer tourenden ARCH ENEMY etwas zu sehen, sodass vom Opener „The World Is Yours“ weg Crowdsurfer Richtung Bühne segelten. Die Death Metaller um Blauschopf Alissa White-Gluz zeigten sich wie gewohnt in Topverfassung, was durch den ausgezeichneten Sound nur noch dicker unterstrichen wurde.
Auch im schwäbischen Publikum erntete das Treiben viel Zuspruch, sodass nicht nur Fanlieblinge wie "Ravenous“ oder "My Apocalypse“, sondern auch Neu-Hymnen wie das auf Platte eher durchschnittlich klingende "The Eagle Flies Alone“ ordentlich gefeiert wurden. Beim Autor hat der Song jedenfalls ordentlich Bonuspunkte sammeln können. Ebenso die völlig unterschätzten Instrumentalstücke, von denen es mit "Snow Bound“, "Fields Of Desolation“ und "Intermezzo Liberte“ gleich drei Kompositionen in die Setlist geschafft hatten. Was Michael Amott aus seiner Gitarre herausholt, wird ohnehin viel zu selten gewürdigt.
Einziger Wermutstropfen war das Fehlen der einzig wahren Ballade im Bandrepertoire, "Reason To Believe“. Der Song, welcher am Vorabend in München seine Live-Premiere gefeiert hatte, wurde von "Dead Bury Their Dead“ ersetzt. Einer der ARCH-ENEMY-Songs, die man sich ehrlich gesagt auch einfach schenken könnte. Schade, hätte der Song doch ein bisschen mehr Varianz in die Setlist gebracht.
Ein fast perfekter Abend
Doch soll das nicht darüber hinwegtäuschen, dass ARCH ENEMY momentan vielleicht zu den stärksten Metal-Acts überhaupt zählen und live mehr als genug unterhalten. Die Schweden sind eine gut geölte Dampfwalze, welche genau das liefert, was der zahlende Fan erwartet. Vielleicht sogar fast schon zu viel, denn drei Vorbands sind definitiv eine zu viel, auch wenn das Line-Up sowohl in seiner Varianz als auch durch die hohe Qualität begeistern konnte. Das Preis-Leistungs-Verhältnis mag fantastisch sein, die Stimmung am Ende des Konzerts dafür nicht mehr ganz so arg. Die lange Konzertdauer forderte irgendwann einfach Tribut.
Unterm Strich überwiegen allerdings glasklar die positive Seiten. Wer die Schweden noch nicht gesehen hat, sollte das auf jeden Fall nachholen und … Ach komm, schaut euch doch auch gleich noch TRIBULATION und WINTERSUN an, wenn sich die Chance bieten sollte. Ein besseres Live-Paket werden Liebhaber des Melo-Deaths momentan wohl kaum finden können!
Setlist
- Set Flame To The Night
- The World Is Yours
- Ravenous
- Stolen Life
- The Race
- War Eternal
- My Apocalypse
- Blood In The Water
- No More Regrets
- You Will Know My Name
- Bloodstained Cross
- The Eagle Flies Alone
- As The Pages Burn
- Intermezzo Liberte
- Dead Bury Their Dead
- We Will Rise
- Avalanche
- Snow Bound
- Nemesis
- Fields Of Desolation