Die achte Auflage der 70.000 Tons of Metal kann – nach den letzten Jahren wenig überraschend – wieder mit beeindruckenden Zahlen aufwarten. Die 3.000 Festivalbesucher (das letzte Ticket war bereits im September verkauft) verteilen sich auf 75 Nationen, eine mehr als im letzten Jahr. Rechnet man die im Vergleich mit Festivals von ähnlichem Line-Up lächerlich geringe Besucherzahl gegen die jeweils über 1.000 Menschen auf, die entweder für angemessene Beschallung sorgen oder dafür, dass sich das Festival über Wasser hält (auch im Wortsinn), kann man sich als Gast durchaus gut betreut fühlen. Und mit zwei Sets pro Band, eins auf der Hinfahrt, eines auf der Rückfahrt, gibt es zumindest theoretisch auch genug Gelegenheit, die eigenen Lieblingsbands zu erwischen.
Party unter Palmen und Heizpilzen
Ungewöhnlich unkooperativ ist in diesem Jahr das Wetter. Während Nordflorida Anfang Januar mit beeindruckenden 2.5 mm den ersten bedeutenden Schneefall seit der Gründung von DARK TRANQUILITY registrierte, gab sich Miami zwischenzeitlich Mühe, bei den europäischen Besuchern klimatisch kein Heimweh aufkommen zu lassen. Während sich vorfreudige Kreuzfahrer am für seine Sittlichkeit bekannten Ocean Drive zu gemütlicher Musik und – ich weigere mich, es Bier zu nennen – treffen, müssen zeitweise Heizpilze aufgefahren werden, um den sommerlichen Dresscode nicht zu gefährden. Insgesamt kann man sich aber auch in diesem Jahr als frostgeplagter Deutscher häufiger über zu warm als zu kalt beschweren und auch die gelegentlichen Regenschauer halten sich in problemlos ertragbaren Grenzen.
Überraschende aber wenige Verzögerungen
Traditionell wird der Zeitplan der 70.000Tons vom Fehlschlag des dezent ehrgeizigen Projektes, am ersten Tag der Reise die große Festival-Bühne über dem großen Pool des Sonnendecks zu errichten, zerschlagen. Bemerkbar macht sich das allerdings erst am Morgen des ersten vollen Tages auf See, wenn statt der ersten Band fleißige Handwerker auf der Bühne hämmern und schreien. In diesem Jahr standen aber überraschend pünktlich um 10 Uhr morgens MASTERPLAN auf der erstmals in der Geschichte der Independence of the Seas fristgerecht fertiggestellten Pool Stage. Der Dank dafür gebührt den armen Seelen, die in diesem Jahr als Verstärkung angeheuert wurden und zum Dank die sonst leer stehenden Kabinen direkt unter besagter Bühne beziehen durften.
Ohne Verzögerungen geht es dann aber auch in diesem Jahr nicht. Irgendwie ist in der Kommunikation zwischen Kreuzfahrtgesellschaft und Veranstalter untergegangen, dass die Hydraulik unter der Bühne des Studio B defekt ist. Dass die geplanten Shows aber trotzdem stattfinden können, mit weniger als einer Stunde Verspätung und auf einer Frankensteinbühne mit Teilen der eigentlich in diesem Jahr größer geplanten Pool Stage, ist keine kleine Leistung.
Home, sweet home – Der erste Tag
Die Kreuzfahrt startet wie immer an einem Donnerstag und irgendwie geht es beim Boarding dieses Jahr schneller. Kein langes Sitzen in der Wartehalle, das Schiff ist sofort offen. Auch familiär wie immer bleibt es. Man trifft nicht nur alte Bekannte in der Warteschlange, auch SABATON schaffen es in der Besucherschlange bis fast ganz vorne, bevor sie die Künstlerschlange entdecken. Und auch in diesem Jahr ist das Schiff wieder falsch geparkt. Letztes Jahr war alles andersrum, behauptet zumindest mein Bauch ...
Nach dem ersten Sturm aufs Buffett im Windjammer Café, auf die wie immer großzügig verteilten Bars und die langsam bezugsfertig werdenden Kabinen heißt es dann Warten. Während die amerikanische Death Truppe EXHUMED in der kleinen Pyramid Lounge relativ pünktlich eröffnen kann, werden im Studio B noch die kurzfristig improvisierten Bretter verlegt, auf denen eigentlich schon PRIMAL FEAR stehen sollten. Die deutschen Power Metaller sind zwar spät dran und im Hintergrund musste viel improvisiert werden, der Stimmung tut das allerdings keinen Abbruch. Und obwohl die Technik noch mit den Gegebenheiten kämpft, wird eine gehörige Portion Euphorie durch die Lautsprecher ins Publikum gepresst.
Mit etwas weniger Verspätung dürfen dann LEAVES' EYES mit ihrem Symphonic Metal im Alhambra Theater die größte Bühne des Tages eröffnen und sich dabei auch über ordentlich Besuch freuen. Leider ist der Sound ebenso wenig da, wo er sein sollte, wie im Studio B. Der Urlaubs- und Feierstimmung schadet das zum Glück wenig.
Im Studio B geht es dann mit DESTRUCTION etwas härter zu. Die badischen Thrasher pusten im gut gefüllten Ice Rink, wie die Venue auch genannt wird, einmal alle Leitungen durch, so dass man am Ende fast von gut gemischtem Ton sprechen kann. So macht Thrash Spaß.
Bevor es zur RHAPSODY REUNION geht, gibt es mit PSYCHOSTICK noch amerikanischen Spaßmetal in der gut gefüllten Pyramide. Die winzige Bühne ist auch in diesem Jahr wieder das Problemkind der Kreuzfahrt. Wenn man nicht in der ersten Reihe steht, gibt es von der Show nichts zu sehen außer Hinterköpfe – und der Sound ist nicht ansatzweise in der Lage, dafür zu entschädigen. PSYCHOSTICK machen im lärmenden Gedränge trotzdem Spaß.
Mit der RHAPSODY REUNION gibt es dann im Alhambra heldenhaften Powermetal und seit Jahren endlich wieder die Gelegenheit, Luca Turilli und Fabio Lione gemeinsam auf der Bühne zu sehen. Schade, dass mit dem Zusatz "Abschiedstour" die Gelegenheiten, RHAPSODY in dieser Form zu sehen, abgezählt sind. So viele musikalisch extrem begabte Energizer-Häschen bekommt man sonst nicht auf einem Haufen zu sehen. Und wie zur Feier der Gelegenheit kann man während des Intros deutlich hören, wie die Tontechnik aus ihrem Tiefschlaf erwacht und das Gesicht aus den Knöpfen nimmt: Ab dem zweiten Titel klingt es, wie es soll.
Mit KREATOR darf dann das zweite deutsche Thrash Urgestein die Alhambra Bühne übernehmen. Guckt man auf die Spielzeit, so gehören die Essener mit 75 Minuten zu den drei "Headlinern" der Cruise, dabei ist gegen Mitternacht gerade die Hälfte der Sets des Tages abgearbeitet. Der Sound bei RHAPSODY war offensichtlich kein Unfall – auch KREATOR klingen, wie man es sich wünschen würde. Und dem Publikum gefällt's, Ruhrpott Thrash ist trotz Abgas-Skandal weiterhin Exportschlager.
Langsam machen sich Jetlag und Pre-Parties bemerkbar und so geht es noch im Halbschlaf bei IN EXTREMO, BELPHEGOR, AMBERIAN DAWN und GOATWHORE vorbei, mit dem guten Vorsatz, das nächste Mal etwas mehr wahrzunehmen, als die eigene Müdigkeit.
Die Poolstage ist schon fertig? – Der zweite Tag
Statt übermüdeter Bühnentechniker gut gelaunte MASTERPLAN auf der Poolstage zu finden, sorgt dann für ein verspätetes Frühstück. Nachdem sich die Verwirrtheit der Kreuzfahrtveteranen, pünktlich um 10 Uhr eine Band auf der Openair Bühne zu sehen, gelegt hat, starten die Hamburger vor einem durchaus begeisterungsfähigen Publikum in den ersten vollen Tag auf See.
Mit WOLFCHANT gibt es dann gemütlichen Pagan Metal im Studio B. Noch nicht ganz Headliner Qualität, aber durchaus solide genug, dass man es auf keinen Fall bereut, dafür sein Festival Camp oder die Kabine mverlassen zu haben. Leider zeigt der Ton im Studio B leichte Schwächen, aber noch kann man das auf einen zu niedrigen Koffein-Spiegel am Morgen schieben, das ist zumindest meine Ausrede für alles um diese Uhrzeit.
Die erste wirkliche Menschenmenge des Tages versammelt sich dann zu ALESTORM auf dem Pooldeck. Und eigentlich ist es gegen Mittag fast zu früh für Polonaise, Poolcirclepits, crowdsurfende Gummienten und Piratenkostüme, aber man ist ja nicht zum Spaß da, sondern zum Feiern. Und Chris Bowes' Piratentruppe wirkt an Deck eines großen Bootes eben wie zu Hause.
Nach dem Mittagessen gibt es mit KORPIKLAANI die nächste Band für Partylaune auf dem Pooldeck. Die Finnen ziehen nicht ganz so viele Leute an wie die Metalpiraten, der Enthusiasmus ist allerdings der gleiche. Und ob jetzt mit Tequila oder Vodka – der allgemeine Pegel ist langsam auf einem Niveau, auf dem er maximal gehalten werden kann. Dass KORPIKLANI wie immer eine großartige Show liefern, muss nicht extra erwähnt werden, weshalb jetzt der ideale Zeitpunkt ist, um auf SWALLOW THE SUN einzugehen, deren Set auch am Vortag schon unter den Tisch gefallen ist.
Nun wird sich der aufmerksame Leser denken, "Moment, spielt nicht jede Band zwei Sets, eins auf der Hinfahrt, eins auf der Rückfahrt?", aber SWALLOW THE SUN haben ein drittes Set zugestanden bekommen, denn die Finnen führen ihr Dreifachalbum "Songs From The North" in voller Länge auf. Ausreichend Zuspruch, um die Entscheidung zu rechtfertigen, finden sie damit definitiv und so gibt es vor KORPIKLAANI zum zweiten Mal in 24 Stunden SWALLOW THE SUN auf die Ohren, mit garantiert frischer Setlist.
Nach KORPILAANI geht es dann mit Finnland, Vodka und SONATA ARCTICA im Alhambra weiter. Genau wie KORPIKLAANI liefern auch diese Finnen eigentlich immer eine gute Show ab und entsprechend ist das Publikumsaufgebot im Theater.
Mit SEPULTURA geht es dann im Anschluss im Theater etwas härter zu. Die brasilianischen Legenden haben stellenweise zwar etwas durchwachsenen Sound, liefern aber eine großartige Show, auch wenn ich persönlich MAX & IGORs Version von "Roots" etwas besser fand, und bringen dabei das Alhambra nicht nur an seine Kapazitätsgrenzen, sondern auch zum Kochen.
Mit SABATON darf der erste Headliner die Poolstage übernehmen. Ob die schwedischen Powermetaller, die im Dezember noch mit ihrer eigenen Kreuzfahrt unterwegs waren, dabei eine sinnvolle Investition des Bandbudgets sind, ist eine schwer zu beantwortende Frage. Gegen die Qualität der Show lässt sich allerdings schwer argumentieren, und auch wenn sie nicht auf der Bühne stehen, kann man der Band nicht vorwerfen, nicht für die doch recht zahlreichen Fans da zu sein.
Mit MESHUGGAH gibt es dann im Alhambra den nächsten Headliner aus Schweden. Musikalisch etwas anspruchsvoller als SABATON und mit Per Nielson von SCAR SYMMETRY an der kopflosen Gitarre musikalisch nochmal hochwertig verstärkt. Nach einem Tag voll leichtem Partymetal dauert es einen Moment, bis man sich eingefunden hat, aber nachdem die Ohren aus ihrem Tanzmusik induzierten Halbschlaf erwacht sind, kann man MESHUGGAH durchaus genießen.
Weiter geht es dann auch mit DARK TRANQUILITY, die von dem frisch geweckten, musikalischen Gehör durchaus profitieren können. Und nachdem man Sänger Mikael Stanne schon seit zwei Tagen mit breitem Grinsen über das Schiff hat hüpfen sehen, ist es fast beeindruckend zu sehen, dass er auf der Bühne aus dieser Grundeuphorie noch weiter aufgehen kann. Nicht nur die Musik ist bei der Show anstrengend.
Mit VOIVOD geht es dann spontan dem Special von Kollege Helge nach und auch, wenn wir uns geschmacklich selten einig sind, kann man die Kanadier durchaus auf die gemeinsame Liste schreiben. Die Bühnenpräsenz von Sänger Snake, der wirkt wie ein betrunkener Serienmörder, ist zwar nichts, was ich direkt vor dem Einschlafen empfehlen würde, musikalisch sind VOIVOD aber definitiv eine Empfehlung wert.
Brexit, wir kommen – Der dritte Tag
Am Morgen des dritten Tages wacht man auf der 70000Tons of Metal auf einem festgezurrten Boot auf. In diesem Jahr ist das allerdings schon der zweite Hafen, den die Independence of the Seas auf ihrer Reise ansteuert, denn in der ersten Nacht gab es, für die meisten unbemerkt, einen ungeplanten Zwischenhalt in Nassau auf den Bahamas. Der Grund dafür waren nicht wie im ersten Jahr der Kreuzfahrt zu knappe Biervorräte, sondern ein medizinischer Notfall, der sich nach letztem Stand positiv aufgelöst hat.
Der offizielle, geplante Zwischenstopp findet in diesem Jahr auf Grand Turk statt. Die Insel ist Teil des britischen Überseegebietes Turks and Caicos und gehört damit zu Großbritannien, aber nicht zur EU. Trotz dieses Hipstertums wird die einfallende schwarze Horde freundlich begrüßt und fühlt sich sofort heimisch. Die Gelegenheit, eine Pause auf festem Boden einzulegen, wird wie immer gerne angenommen. Und während an Land von der Strandbar bis zu Kanutour alles angeboten wird, lockt auch das Spa an Bord wieder mit Sonderangeboten.
Zum Auslauf des Boots aus dem Hafen dürfen DIE APOKALYPTISCHEN REITER vom Pooldeck die passende Beschallung liefern. Nicht nur bei den deutschsprachigen Besuchern, die mit Deutschland auf Platz 2 und der Schweiz auf Platz 4 der meistvertretenen Nationen doch vergleichsweise zahlreich sind, kommen die Reiter gut an. Insgesamt kein schlechter Weckruf nach einem entspannten Tag am Strand.
Mit BATTLE BEAST geht es im Alhambra energiereich weiter, und dass die Finnen sich beim ersten Set mit dem Slot um fünf Uhr morgens begnügen mussten, sorgt nochmal für erhöhtes Fanaufgebot, denn die letzten Slots bleiben, wie fast jedes Jahr, für die meisten lediglich ein halb ernst gemeinter Plan.
SEPULTURA und MESHUGGAH haben dann die Primetime-Schicht am Pooldeck von 20:15 bis Mitternacht. Den Auftakt machen die Brasilianer, die auch nach 25 Jahren noch mit ungebrochenem Enthusiasmus ihrem Handwerk nachgehen. Gefühlt ist der Sound auf dem Pooldeck etwas besser als im Alhambra, was tendenziell ungewöhnlich ist. MESHUGGAH als Headliner scheppern dann wieder etwas mehr als nötig, ein Problem, das in diesem Jahr etwas häufiger auftritt, als üblich.
Bei SONATA ARCTICA und ihrem Poolset fängt sich der Ton dann wieder und so kann der letzte Tag an Bord angemessen eingeleitet werden.
Fast schon wieder vorbei – Der vierte Tag
Mit EXCITER und DESTRUCTION stehen am letzten Morgen zwei Bands auf der Poolbühne, die vor dem alljährlichen Belly Flop Contest für die richtige Stimmung sorgen.
Beim Wettbewerb der Bauchplatscher treten wie in jedem Jahr zur Wasserverdrängung vorteilhaft ausgestattete Individuen unter den Augen der musikalischen Jury gegeneinander an, um Publikum und Jury unter möglichst offensichtlichen Schmerzen möglichst nass zu machen. Der Vorjahres- und Doppelsieger ist allerdings in diesem Jahr chancenlos. Dafür darf man ihm mit rund 100 verlorenen kg im letzten Jahr zu einem ganz persönlichen Sieg gratulieren. Auch in diesem Jahr gewinnt die richtige Kombination aus Masse, Fläche und Technik.
Im Anschluss geht es zum traditionell von Jeff Waters (ANNIHILATOR) organisierten All Star Jam, bei dem "Fans beobachten dürfen, wie ihre Idole die einfachsten Songs verkacken". Außer, dass Mille Petrozza (KREATOR) den Text zu METALLICAs "Whiplash" von seinem Handy ablesen muss, geht das ganze aber ohne gröbere Probleme über die Bühne.
Mit METSATÖLL gibt es dann im Studio B meine persönliche Festivalentdeckung (ohne ist es einfach kein Festival). Wer noch nie einen langhaarigen, seelig betrunkenen Esten Maultrommel hat spielen sehen, sollte sich das dringend angucken. Und die Musik ist auch großartig. Dem Andrang nach muss das erste Set in der Pyramid Lounge ähnlich stark gewesen sein, denn sonst lässt sich der Andrang im Eisring nur damit erklären, dass ich METSATÖLL schon vor einer Weile für mich hätte entdecken müssen.
Der letzte Tag kann dann mit dem zweiten großartigen RHAPSODY Set, DARK TRAQUILLITY, VOIVOD, METAL CHURCH, einer großen Poolparty bei KREATOR, einem zweiten SABATON Set mit komplett anderer Setlist und dem Mord an ALESTORM's Bühnendekoente Duckie durch eine überenthusiastische Freibeutermeute beim letzten Set der Kreuzfahrt aufwarten. Am Ende kann man sich nur eine Pause wünschen und dann das gleiche nochmal.
Ein zweiter Blick auf die 70000Tons Of Metal
... von Sonja:
Man könnte anhand des Berichts meinen, dass Mattes sich den 70k-Spaß ganz alleine gegönnt hat, dem ist aber nicht so. In diesem Jahr ebenfalls erstmals mit Kamera bewaffnet, entfliehe auch ich der heimischen Kälte und schippere mit der Independence of the Seas durch internationale Gewässer in Richtung Karibik.
Am ersten Tag noch weitestgehend gemeinsam unterwegs, gehen Mattes und ich ab Tag 2 doch öfters getrennter Wege. Zum einen, weil es aufgrund der ohnehin schon engen Fotogräben und vielen Fotografen reicht, wenn einer von beiden sich um die Bilddokumentation kümmert. Zum anderen, weil das Venn-Diagramm unserer Musikvorlieben trotz einer beachtlichen Schnittmenge eben doch kein astreiner Kreis ist.
So zieht es mich am zweiten Tag, nachdem ich die Pooldeck-Parties bei ALESTORM und KORPIKLAANI mitgenommen habe, erstmal in die Pyramide zu FREEDOM CALL. Die Erlanger Happy Metal-Fraktion wird während der 70000Tons vom MASTERPLAN-Drummer unterstützt und ersetzt den Ständer für die Akustikgitarre, der nicht mehr in den Koffer gepasst hat, kurzerhand durch "Human Stand" Daniel, der bei beiden Gigs angemessen durch Sprechchöre gefeiert wird.
SABATON erstmalig ohne Panzer-Drumset und Pyrotechnik – also quasi unplugged – auf dem Pooldeck lasse ich mir natürlich auch nicht entgehen, bevor es danach zur DARK TRANQUILITY erstmalig in den Pool-Fotograben geht.
Ähnlich Jetlag- und Preparty-geplagt wie Mattes, wäre ich an dieser Stelle mit Tag 2 eigentlich auch durch, wären da nicht noch OBSCURA – die aktuelle Bandobsession, die eigentlich so gar nicht in mein sonstiges Portfolio passt. Die spielen nämlich nachts um 1 Uhr im Studio B und gehören zu den nicht mal so wenigen "muss ich unbedingt mitnehmen"-Bands im diesjährigen Billing. Nach einem Tag voller Party und Power Metal will ich an diesem Punkt eigentlich einfach ins Bett oder zumindest nur noch Bands hören, bei denen ich problemlos auf 1 und 3 mitklatschen und dabei – wie sich das gehört – stetig schneller werden kann. Aber egal, auf zu OBSCURA. Vom Security-Mann mit Koffeinshots und Proteinriegeln aufgepäppelt, genieße ich eine genauso unterhaltsame wie anspruchsvolle Show und fasse für Tag 3 bereits an dieser Stelle den Entschluss, SONATA ARCTICA eben SONATA ARCTICA sein zu lassen und stattdessen lieber auch das zweite Konzert der Landshuter Tech Deathmetaller mitzunehmen.
Vorher geht es am dritten Tag der Cruise aber erstmal an Land nach Grand Turk. Nach einer kurzen Erkundungsrunde entschließe ich mich dazu, den ungewohnt festen Boden unter den Füßen durch den einen oder anderen Cocktail im Margaritaville wieder zum Schwanken zu bringen, bevor es mich zurück aufs Schiff zieht.
Den Konzerttag beginne ich mit dem Auftritt von EVERTALE, die den dritten Konzerttag im Studio B einläuten und mit energiegeladenem Power Metal das Publikum wieder in die entsprechende Festivalstimmung bringen. Nach einem kurzen Wiedersehen mit Mattes bei BATTLE BEAST wandere ich weiter zu den Finnen von WOLFHEART. Die machen, wie schon auf den letzten Auftritten, eigentlich alles richtig, aber ich fürchte, zwischen uns wird es leider einfach nicht mehr funken. EVERGREY und KORPIKLAANI gönne ich mir im Alhambra Theater gemütlich sitzend und spare mir meine Energie lieber für OBSCURA Gig Nummer 2, dieses Mal in der von Mattes so verhassten Pyramid Lounge.
Aufgrund eines Fotograbens, der mit 50 cm Breite den Namen nicht verdient, entschließe ich mich dazu, mich mit der Kamera in der ersten Reihe zu positionieren – eine gute Entscheidung, zumindest bis zu Frontmann Steffen Kummerers Aussage, "Wir sind übrigens eine durchaus crowdsurf-freundliche Band". Das Publikum lässt sich das nicht zwei Mal sagen, ich fürchte abwechselnd um meine Kamera und mein Leben, doch am Ende sind genau das die Konzerte, an die man sich besonders erinnert: Definitiv einer meiner Top-3-Momente auf dieser Cruise.
Diese Runde sind FREEDOM CALL (natürlich wieder unterstützt durch "Human Stand" Daniel) direkt nach OBSCURA an der Reihe und glücklicherweise funktioniert der Genretausch auch in diese Richtung, bevor ich den Abend dann entspannt bei INSOMNIUM, die auf der Poolstage ihr aktuelles "Winter's Gate" Album in voller Länger zum Besten geben, ausklingen lasse.
Während Mattes sich einen guten Platz für den Belly Flop Contest sichert, geht es für mich ins Alhambra Theater zu SEVEN KINGDOMS – wie der Bandname vermuten lässt, gibt es hier Power Metal mit unter anderem "Game of Thrones"-Thematik, viel Augenzwinkern und sehr gemütlich aussehenden Cheeseburger-Pantoffeln bei Frontfrau Sabrina. Nach gut 90 Minuten Dauershooting beim All Star Jam wage ich mich nur noch zu IN EXTREMOs Poolset und zu meinen Jugendhelden von RHAPSODY in den Fotograben und lasse danach meine dritte Runde der 70.000 Tons of Metal gemütlich bei KREATOR und ALESTORM (RIP Ducky) ausklingen.
Zurück in die stille Kälte des Winters
Auch wenn ich WOLFHEART auf dem Schiff erfolgreich ignoriert habe, lässt sich die Rückkehr in den heimischen Winter schwer vermeiden. Auch nach diesem Jahr lässt sich festhalten, dass die Kreuzfahrt eine klare Empfehlung ist, die man einmal im Leben mitnehmen sollte. Dass das schwerer wird, ist auch den Veranstaltern aufgefallen: Der Balanceakt, Veteranen zu belohnen und trotzdem Neulinge nicht auszusperren, wird in jedem Jahr schwerer. Und so lassen mehr oder weniger kryptische Andeutungen über ein größeres Schiff zum Jubiläum 2020 oder ein Spin-Off durchaus Großes für die Zukunft erwarten.
Bleiben die philosophischen Punkte, über die man zwar diskutieren kann, die sich aber höchstens in kleinen Schritten ändern werden: Da ist immer noch die Frage, ob 60 Bands nicht zu viel sind. Viele Überschneidungen und unmenschliche Uhrzeiten machen es nicht nur den Fans schwer, alles zu sehen, was auf der persönlichen Liste steht, sondern kann auch für die Musiker nicht angenehm sein, die sich um fünf Uhr morgens vor einem übermüdeten Publikum quälen.
Und dann ist da immer noch der Stress mit dem Merch. Zwar wird das System in jedem Jahr besser, aber wer nicht am zweiten Tag um 7:00 in der Schlange steht, hat trotzdem schlechte Karten. Bei dem schieren Größenwahn der Kreuzfahrt sind das aber bei genauer Betrachtung vergleichbar winzige Kritikpunkte. Bleibt abzuwarten, was für Nummer 10 in 2020 aus dem Hut gezaubert wird.