Ansonsten hat sich nicht viel geändert. Wieder gibt es ein umfassendes Getränkeangebot von Mineralwasser über Bier bis hin zu Jack Daniels in allen Variationen und diverse Cocktails, kulinarisch kommen die Besucher am Grillstand beim veganen Foodtruck voll auf ihre Kosten und auch das Merch gibt es wie bereits im vergangenen Jahr wieder in erfreulich vielen verschiedenen Schnitten und zu angenehm günstigen Preisen. Neu sind die aufgrund der Temperaturen eingerichteten Gratis-Trinkwasser-Stellen auf dem Gelände und die Rucksackgarderobe im LKW direkt vor dem Infield – zwei Verbesserungen, die hoffentlich auch in den kommenden Jahren beibehalten werden.
Ein punklastiger Festival-Freitag
Am Freitag öffnet das Nord Open Air pünktlich um 13:00 seine Tore. Es steht Punk in allen Variationen von Irish Folk bis Hardcore, gespickt mit dem einen oder anderen Metalcore-Act, auf der Tagesordnung.
THE NARRATOR – Lokalmatadoren zum Auftakt
Los geht es mit THE NARRATOR aus Essen. Die persönliche Vorab-Recherche ergab Hardrock als Genre, und wie schon vor zwei Wochen bei EXISTENCE FAILED auf dem Fest Evil dringt stattdessen Metalcore aus den Boxen – und nochmal falle ich nicht darauf hinein. Es klingt alles durchaus nett, aber ein bisschen belanglos. Noch fehlt der jungen Band ein wenig das musikalische Alleinstellungsmerkmal, das für den notwendigen Wiedererkennungswert sorgt. Kompensiert wird dies allerdings durch eine sehr agile und motivierte Bühnenshow, die die bereits zur frühen Mittagsstunde anwesenden Zuschauer trotz Hitze vor die Bühne lockt.
THE MAHONES – Irish Folk Punk direkt aus Kanada
Deutlich traditioneller unterwegs sind die MAHONES – die Kanadier hatten eine der weitesten Anreisen, lassen sich Jetlag und Hitze auf der Bühne aber nicht anmerken. Mit traditioneller Tin Whistle und Akkordeon untermalter Irish Folk Punk geht einfach bei jedem Wetter. Teilweise unterstützt durch eine Gastsängerin, spielen THE MAHONES ein Best-Of aus fast 30 Jahren Bandgeschichte und nehmen die Festivalbesucher zumindest akustisch mit auf eine Reise in klimatisch angenehmere Regionen.
"Wir sind A TRAITOR LIKE JUDAS – und wir haben technische Probleme"
Nach dem kurzen Ausflug in folkige Gefilde geht es mit A TRAITOR LIKE JUDAS zurück zum Kern der Sache. Im Gegensatz zu ihren Genrekollegen, die das Festival eröffnen durften, ist bei A TRAITOR LIKE JUDAS schon deutlich mehr Profil vorhanden – die Band scheut sich weder, fast schon obligatorisch, den "Präsidenten, der nicht Präsident sein sollte" Trump zu kritisieren, noch eine "Refugees welcome" Flagge zu schwenken und sich damit politisch eindeutig zu positionieren.
Auch musikalisch passt alles. Songs wie "Systematic Reclusion" lassen das Publikum die glühende Hitze vergessen – es wird gemosht, gesprungen und im Circle Pit um die Wette gerannt. Schade, dass A TRAITOR LIKE JUDAS zum Jahresende aufhören.
V8 WANKERS – "Spricht hier jemand Deutsch?"
Weiter geht es mit den V8 WANKERS aus Offenbach am Main. Der Viehofer Platz ist mittlerweile in jeder Hinsicht gut gefüllt und der Punk'n'Roll aus Hessen macht, egal ob auf Deutsch oder Englisch, richtig Spaß. Eingebettet werden die Songs wie "Rocking Horse" und "Eier aus Stahl" in humorvoll-selbstironische Ansagen und auch der Spinal-Tap-artige Schlagzeugerverschleiß der Band wird augenzwinkernd mit "18 Jahre V8 Wankers – 18 Schlagzeuger, direkt von der Schulbank" kommentiert. Der Auftritt ist ein voller Erfolg und die Wankers sind bis zu diesem Punkt der Stimmungssieger des Tages.
RYKER'S und DRI – Hardcore-Doppelpack in den frühen Abendstunden
Die zweite Hälfte des Festivaltages wird mit einer doppelten Ladung Hardcore von RYKER'S und DRI eingeläutet. Insbesondere RYKER'S Sänger Dennis zeigt sich von der Größe der Bühne unbeeindruckt und springt nicht nur von Box zu Box und in den Graben hinein, sondern klettert auch kurzerhand über die Absperrung hinweg und verlegt den Auftritt mitten ins Publikum. Abgerundet wird das energiegeladene Hardcore-Set durch ein leider nicht komplett ausgespieltes Cover von SLAYERS "Raining Blood" und alle Hasskommentare in Kauf nehmend muss ich sagen, das hab ich im Original auch schon schlechter gehört.
DRI machen genau dort weiter, wo die RYKER'S aufgehört haben. Die mittlerweile leicht gesunkene Außentemperatur wird durch Reibungshitze kompensiert – der Platz ist brechend voll.
Terrorgruppe – Welchen Vorteil haben Punks gegenüber Metallern?
Die TERRORGRUPPE aus Berlin ist nicht zum ersten Mal zum Besuch auf dem Viehofer Platz, haben sie doch laut eigener Aussage schon vor über 20 Jahren an genau diesem Ort ... Dinge … erworben. Auch die TERRORGRUPPE überzeugt durch einen Mix aus eingängigem Deutschpunk mit mal ernsten und mal augenzwinkernden Texten, sympathisch-grenzwertigen Ansagen und das Publikum bedankt sich durch Crowdsurfer am laufenden Band und legt bei Songs wie "Sabine", "Nazis im Haus", "Schmetterling" und dem "Thekenlied" eine beeindruckende Textsicherheit an den Tag.
Welchen Vorteil haben die Punks nun aber gegenüber den Metallern? Sie haben ein Strickleiternervensystem und merken es einfach nicht.
Hatebreed zerstören den Viehofer Platz
Als Headliner für den ersten Abend konnten die Hardcore-Metaller von HATEBREED aus den USA gewonnen werden. Die Temperaturen sind angenehm, der Sound ist gut, die Stimmung auf dem Höhepunkt und Jamey Jastas Aufforderung, am nächsten Tag keine Stimme mehr zu haben, wird brav Folge geleistet. Egal, ob Oldschool-Klassiker von 1997, Dauerbrenner wie "Destroy Everything" oder relativ aktuelles Material a la "Honor never dies" – auch bei der Setlist bleiben wenige Wünsche offen.
Aufgrund der städtischen Ruhevorgaben ist um 23 Uhr auf dem Viehofer Platz Schluss und die Party wird in das zugehörige Café Nord und das angrenzende Turock verlegt.
Ein metallischer Samstag mit schwedischem Einschlag
Nach einem kurzen morgendlichen Bummel durch das verregnete Essen zieht es mich gegen Mittag pünktlich zur Öffnung des Festivalgeländes zurück zum Viehofer Platz. Nach dem eher punklastigen Freitag steht am Samstag vor allem Death Metal auf der Tagesordnung.
DECAPTACON – "Die Sonne geht auf … passt eigentlich nicht"
Auch der zweite Festivaltag wird von einer lokalen Band eröffnet. Die Essener Formation DECAPTACON, mit denen ich schon vor einigen Wochen beim Rage Against Racism das Vergnügen hatte, startet zwar mit leichter Verspätung, dafür aber vor deutlich mehr Besuchern als THE NARRATOR am Vortag – der Vorteil des Wochenendes.
War ich beim Rage Against Racism schon angetan, bin ich nach diesem Auftritt von der doch noch recht jungen Band vollends begeistert. "Demons of Democracy" und "Blackened Skies" sind Songs mit in jeder Hinsicht aufweckender Wirkung. Insbesondere Sänger Andi, abseits der Bühne eher der normal-nette Metaller von Nebenan, überzeugt, sobald er hinter dem Mikro steht, durch fast schon überlebensgroße Präsenz – DECAPTACON sollte man definitiv im Auge behalten.
DEATHRITE – Meine Neuentdeckung des Festivals
Mit DEATHRITE aus Dresden bleibt es deathmetallisch. Angekündigt durch ein basslastiges Intro, bei dem die Abdeckplane über den Boxen vor der Bühne fast schon bedrohlich vibriert, ist mein erster Gedanke, als die vierköpfige Formation die Bühne betritt: "Hui, die sind aber klein und niedlich", was ich nach dem ersten Akkord hinreichend revidieren muss – niedlich ist da gar nichts mehr.
Stattdessen überzeugen DEATHRITE mit garstigem Death Metal. Gespickt mit Thrash-Anleihen und garniert mit rotziger 80er-Jahre Punk-Attitüde klingen DEATHRITE innovativ und machen das Death Metal-Äquivalent von guter Laune – was auch immer das sein mag. Die Dresdener sind meine Neuentdeckung des Wochenendes und ich freue mich schon auf ihren Autritt beim diesjährigen Summer Breeze.
WARPATH – "Umarmt euch, habt euch lieb"
Weiter geht es mit WARPATH aus Hamburg, die das Publikum schon vor dem eigentlichen Auftritt mit einem launigen "Mana Mana"-Soundcheck bei Laune halten. Auch das Konzert selbst ist nicht weniger unterhaltsam – Songs wie "Paranoia" kommen zwar etwas melodischer, aber nicht weniger hart als beim Vorgänger DEATHRITE daher und als Kirsche auf dem Sahnehäubchen gibt es noch die ultimative neue Lebensweisheit hinterher: "Wenn euch jemand anpisst, dann scheißt ihm auf dem Schädel!"
BULLET, THE HAUNTED und THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA - Schweden-Hattrick beim Nord Open Air
Mit BULLET betritt als nächstes die erste von insgesamt vier Bands aus Schweden die Bühne. BULLET sind so oldschool Glam-Poser-Metal, wie man nur sein kann, inklusive Lederjacken, bei denen es für die letzten 15 cm bis zum Hosenbund nicht mehr gereicht hat und Nigel Tufnel-Gedächtnisfrisur ("Bass Players - you choose him by the haircut"). Mit Songs wie "All Night Long", "Stay Wild" und "Fuel the Fire" ist die Zeitreise in die bunten Achtziger auch akustisch perfekt und der Festivalsamstag mausert sich langsam aber sicher zum Tag der persönlichen Festivalneuentdeckungen.
BULLET sind vielleicht nicht sonderlich innovativ, aber genau das, was das mittlerweile hinreichend alkoholgeschwängerte Nord gebraucht hat, bevor es mit den Landsleuten von THE HAUNTED wieder etwas härter und geradliniger wird. Es gibt einen schwarzbunten Mix aus Thrash und Death Metal inklusive einem Sänger, der sich auch von einer (zugegebenermaßen kleinen) Kopfwunde nicht stoppen lässt. "Hollow Ground" und andere Songs sorgen für eine nachhaltige Reinigung des Gehörgangs, bevor es im Anschluss mit THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA wieder etwas poppig-melodischer wird.
War der Soundcheck bei WARPATH noch ein kleines Highlight, zeigen THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA, wie es nicht geht – über 20 Minuten Verzögerung, weil die Bongos nicht richtig befestigt sind, da blutet das Metallerherz schon ein bisschen. Glücklicherweise machen sie den Unmut mit ihrem Auftritt mehr als wett: THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA sind bunt, knallig und auch musikalisch hat sich die lange Wartezeit gelohnt, bereits beim Opener "This Time" steht der Viehofer Platz Kopf. Wie schon bei DEATHRITE gilt auch hier: Gut, dass die auch beim Summerbreeze dabei sind und ich sie da nochmal sehen kann.
TANKARD – "Wir sind Tankard, bei uns ist Bier im Schlauch"
Was soll man zu TANKARD noch großartig sagen – die Hessen um den sichtlich erschlankten Frontmann Gerre sind seit fast vier Jahrzehnten eine Bank, wenn es um tanzbaren, alkohollastigen Thrash Metal geht. Musikalisch-technisch, gerade wenn man die alten Songs betrachtet, vielleicht nicht immer die größte Offenbarung, überzeugen TANKARD mit eingängigem Party Thrash, der den Viehofer Platz innerhalb weniger Minuten in ein einziges Moshpit verwandelt.
Keine fließenden Übergänge zwischen den Riffs, dafür in Strömen fließender Alkohol und gute Laune sind hier die Devise. Oder um es mit Gerres Worten zu sagen (Das Nord war ein wirklich sehr zitierbares Festival): "36 Jahre TANKARD, 36 Jahre scheiße aussehen, 36 Jahre kein Erfolg … aber 36 Jahre nie aufgegeben!".
Und egal, ob Klassiker wie "A Girl Called Cerveza", das aktuelle "One Foot in the Grave" oder das überraschend tanzbare "Rules for Fools" – TANKARD geben alles und erspielen sich definitiv den Titel des Headliners der Herzen. Nicht nur die Band wächst über sich hinaus, auch die Security Crew im Graben leistet bei dem Auftritt (wie schon das gesamte Festival lang) ganze Arbeit: Die erhitzte Feiermeute wird mit dem Wasserschlauch abgekühlt, Crowdsurfer werden souverän aufgefangen und das gesamte Team strahlt eine sympathische Ruhe aus, so dass man sich auch bei den Headlinern im extrem vollen Graben zu jeder Zeit als Fotograf sicher fühlt. Es kommt zwar niemand an die Grabenschlampen vom Rockharz und Summerbreeze heran, aber der verdiente zweite Platz geht an das Team vom Nord!
Festival-Endspurt mit AT THE GATES
Es wird Zeit, die letzten Energiereserven zu mobilisieren, denn eine Band fehlt noch: Der Samstagsheadliner AT THE GATES komplettiert den schwedischen Reigen beim Nord Open Air und sorgt mit seinem Melodic Death Metal für einen würdigen Abschluss. Sind die Akkus der Festivalbesucher beim Opener "To Drink From the Night Itself" noch nicht ganz leer, spätestens bei der Zugabe bestehend aus "Blinded by Fear", "Kingdom Gone" und dem finalen "The Night Eternal" sollte man meinen, dass keine Rest-Energie mehr übrig ist.
Aber auch an diesem Tag geht es nach dem Konzert noch für einen Großteil des Publikums zum Feiern in die angrenzenden Bars, während ich mich nach zwei ebenso schönen wie arbeitsintensiven Tagen nur noch auf mein gemütliches Hotelbett freue. Aber auch im (für mich) zweiten Jahr war das Nord Open Air ein voller Erfolg!