Obwohl die beiden Co-Headliner sich bis 2017 nicht kannten, werden AGENT FRESCO oft mit LEPROUS verglichen. Was an dem hohen, klaren Gesang beider Sänger liegen mag und in den deutlich rhythmischen Stakkato-Riffs und akzentuierten Keyboardklängen eine Ähnlichkeit suggeriert.
Sympathiepunkte gehen an AGENT FRESCO
In der Live-Performance sind aber auch die Unterschiede zu erkennen. AGENT FRESCO ist trotz fetten Sounds deutlich im Alternative Rock verhaftet und poppiger unterwegs. Sänger Arnór Dan Arnarson ist im Auftreten offener und erzählt in den Songansagen von seinen Schicksalen. Eines davon ist die Begegnung mit Gewalt, als er nachts von zwei Kerlen übelst niedergeschlagen wurde, und die während der "Destrier"-Aufnahmesessions zum zentralen und belastenden Thema wurde. „See Hell“ und „Angst“ beschäftigen sich mit dem Umgang mit Angst und Wut und kommen entsprechend aggressiv und verzweifelt rüber.
LEPROUS-Sänger Einar Solberg sagte einmal, AGENT FRESCO würden ihnen die Show stehlen. Ganz so unrecht hatte er da nicht. Die Hits „Pyre“, „Dark Water“, „Eyes Of A Cloud Catcher“ werden von den Fans inbrünstig mitgesungen, die für ein „Prog“-Publikum einen überraschend hohen Anteil an weiblichen Besuchern aufweisen. Die Performance der ganzen Band ist erstklassig, von der intensiven und druckvollen Saitenbearbeitung bis hin zum Schlagzeug von Hrafnkell Örn Guðjónsson, der trotz Härte und Polyrhythmik stets für einen tanzbaren Beat sorgt.
Zwei neue Songs werden vorgestellt und positiv aufgenommen, was auf ein neues Album hoffen lässt. Höhepunkt ist der letzte Song „The Autumn Red“, den Arnarson seinem verstorbenen Vater widmet, und in dem er auf Tuchfühlung mit dem Publikum geht, indem er durch die begeisterte Menge zum Mischpult und zurück tänzelt. Eine äußerst sympathische Band, die man als Alternative Proggie auf dem Radar haben sollte.
LEPROUS spielen in einer anderen Liga
LEPROUS steigern die Spannung bis zu ihrem Auftritt, da zunächst nur Cellist Raphael Weinroth-Browne aus dem geheimnisvollen blauen Bühnenlicht seinem Instrument epische Melodien und Riffs entlockt. Auch mit dem unterschätzten "Malina"-Opener „Bonneville“ gehen die Norweger ihren Auftritt verhältnismäßig ruhig an, ihre Trademarks werden jedoch sofort hörbar: die hohe Kunst, gleichzeitig rhythmisch vertrackt als auch melodieverliebt zu agieren. Selbst längere ruhigere Passagen in „Foe“ faszinieren und lassen zu keiner Zeit Langeweile aufkommen. Trotz des eher Rock-orientierten Materials aus dem „Malina“-Album bleiben die Norweger eine wuchtige, extrem vielseitige Metal-Band. Schnell wird klar: LEPROUS spielen in einer ganz anderen Liga.
Auffällig ist auch der optische Auftritt. Die norwegischen Metaller geben sich ganz Gentleman-like mit schwarzem Hemd, Lederhalbschuhen und hippen Kurzhaarfrisuren. Frontmann Solberg trägt zusätzlich Weste und Krawatte, wobei er mir damals mit seinen Rastas besser gefallen hat. Nur Drummer Baard Kolstad ist „oben ohne“. Er ist ja auch ein Tier. Der Motor der Band und Meister der ungeraden Takte. Wie heißt es oft: Jede Band ist schließlich nur so gut wie ihr Drummer. Kraftvoll treibend, unheimlich schnell, wahnsinnig virtuos. Genau so einen Mann braucht diese Band.
LEPROUS wollen ihrer düsteren Musik auch bühnentechnisch eine entsprechende Atmosphäre verleihen. Die Beleuchtung geschieht fast nur von hinten, was stimmungsvoll anmutet, aber eine kühle Distanz zum Publikum schafft. Zu oft sind nervige Lichteffekte mit Blitzen im Einsatz.
In „Third Law“ bäumen sich LEPROUS zum ersten Mal auf und heizen dem hungernden Publikum mächtig ein. Wie ein Prediger mit ausgestreckten Armen steht Solberg auf dem Podest und verkündet lauthals den Untergang. „Stuck“ setzt zum Höhenflug in den Himmel an, in dem der prägende Anteil des Gast-Cellisten am neuen „Malina“-Sound schön zu erkennen ist. Insgesamt stößt sein Spiel live sehr oft auf die gewaltige Wall of Sound der Saitenfraktion, gegen die manchmal selbst der Sänger nicht ankommt.
Der neue Song „Golden Prayers“ erlebt im Hirschen sein Live-Debüt und reiht sich nahtlos in die Killersongs ein. In „Weight Of Disaster“ gibt ein grungiges Straight-Forward-Riff den Ton an. Zähflüssig wie heiße Lava bahnt sich der Bass blubbernd seinen Weg. Über allem schwebt der hypnotische Klagegesang dieses Ausnahmesängers. Solberg überträgt seine schwierigen Gesangseinlagen überragend 1:1 auf das Live-Geschehen. Der eingängige Refrain begleitet mich in meinen von Pfeiftönen geplagten Ohren bis in meine Träume.
LEPROUS bringen Hirschen zum Beben
Faszinierend in „The Price“ sind die abgehackten, schneidenden rhythmischen Riffs von Gitarrist Tor Oddmund Suhrke, denen die ganze Band absolut synchron folgt, bis ein flirrendes Keyboard für Befreiung sorgt und jeder Musiker wieder seinen eigenen instrumentalen Weg geht. Dieses komplexe Gebilde wirkt trotzdem wie aus einem Guss, gekrönt von einer weiteren sagenhaften Melodie.
Höhepunkt des Konzerts ist „Mirage“. Gespenstische Keys leiten den Song ein und fließen in einen pumpenden Ambient-Rhythmus, zu dem sich verhalten klirrende Gitarren gesellen, bis der wütende, verzweifelnde Chorus von der Leine gelassen wird. Nach einem kurzen Intermezzo von Basser Simen Børven nimmt die Band nochmal Anlauf und sorgt für ein gewaltiges Soundinferno: Der Bass faucht wie ein Raubtier. Die Gitarren scheppern heavy, der Drummer drischt auf sein China Cymbal ein, wie „The Animal“ von den Muppets.
Der Cellist sägt stehend mit aller Kraft am Cello. Der Sänger hüpft und headbangt wie ein Besessener – das Publikum ebenfalls. Nur noch kurze Drumfills. Ruhe. Die Menge ringt erst noch nach Luft und jubelt dann den Musikern euphorisch zu. Hätten sie noch 10 Sekunden länger gespielt, dem Hirschen wäre das Dach weggeflogen.
Rausschmeißer ist das kurze, griffige „From The Flame“. Mit seiner Hook animiert es die Menge erneut zum hymnischen Mitsingen. Am Ende steht den Besuchern ein „Mein Gott, war das gut“ ins Gesicht geschrieben. LEPROUS gehören zweifelsohne zu den schillerndsten Modern Progbands und bringen ihre Meisterwerke perfekt auf die Bühne.
Ich beantrage einen neuen Eintrag in Ferdls Metal-Wörterbuch:
le.prou.sen
Verb. Komplexeste Zusammenhänge einfach und verständlich erklären. „Er leprouste die Relativitätstheorie. Jetzt verstanden es alle.“
LEPROUS-Setlist:
Bonneville
Foe
Third Law
MB. Indifferentia
Salt
Illuminate
Stuck
Golden Prayers (live debut)
The Weight Of Disaster
The Price
Mirage
From The Flame
LEPROUS-Line-up:
Einar Solberg – vocals, keyboards
Tor Oddmund Suhrke – guitar
Robin Ognedal – guitar
Simen Børven – bass guitar
Baard Kolstad – drums
Raphael Weinroth-Browne – cello
Veranstalter in Nürnberg:
Parvenue
SG Backline Service