Manchmal weht in Kiel eine steife Brise. Weit entfernt von jeglicher Herbstromantik zeigt sich die schleswig-holsteinische Landeshauptstadt an diesem Dienstagabend nasskalt und stürmisch. So wirklich aus dem Haus will eigentlich niemand, wer es doch muss, geht schnell – mit gesenktem Kopf. Für viele dürfte heute Abend das Nachttheater das Ziel sein, lockt die eigentlich als Großraumdisko verwendete Halle doch mit metallischen Klängen. "A Nordic Symphony“ steht auf dem Programm, da ziemt es sich, nicht zu spät zu kommen.
Serpentyne
Trotzdem verklingen schon die letzten Töne der Vorband SERPENTYNE, als die BYE-Südfraktion pünktlich zu Showbeginn die Halle betritt. Auch die Bands scheinen bei diesem Wetter wohl nicht länger als nötig außerhalb der beheizten Tourbusse verbringen zu wollen. So lässt sich über die britischen Symphonic-Rocker nicht viel sagen, außer, dass die von Folk und Weltmusik durchzogene Mucke des Quintetts offensichtlich viel Anklang gefunden hat. Unter großem Applaus wird die Truppe in den Feierabend entlassen, während das günstige Paket aus Bandshirt und Album mehrmals über die Theke des Merchstandes geht.
Da in der Folge die ersten Roadies zu Umbauzwecken über die Bühne huschen, bleibt ein wenig Zeit, sich das eher selten für Metal-Konzerte genutzte Venue näher anzuschauen. Mit seinen roten Vorhängen, Theaterbalkonen und knarzigen Holzdielen macht das Nachttheater seinem Namen alle Ehre und wirkt prädestiniert für eine symphonische Metalshow. Zwar können die großen Diskokugeln und die sehr Red Bull-lastige Getränkekarte den eigentlichen Zweck der Halle nicht ganz verschleiern – Charme hat das geräumige Venue trotzdem.
Stratovarius
Inzwischen zeichnet sich anhand des Bühnenbildes ab, dass wohl das finnische Power-Metal-Urgestein STRATOVARIUS das erste Headlinerset des Abends übernehmen darf. Um die 450 Fans des Einhorngenres warten dementsprechend gespannt auf das Intro des Quintetts, während die Fotografen versuchen, im mit Kisten überfüllten Fotograben einen sicheren Stand zu erlangen – abenteuerliche Akrobatikeinlagen inklusive. Nicht wenige der Kameraleute müssen mit der ersten Reihe unfreiwillig auf Tuchfühlung gehen, als die Band schließlich unter lautem Jubel die Bühne betritt.
Begeisterung, die sich schnell wieder verflüchtigt, präsentiert sich die Formation in den ersten Minuten doch erschreckend schwach. Während der lahm gewählte Opener "Eagleheart“ nur den eingefleischtesten Fans ein Kopfnicken entlocken kann, herrscht auf der Bühne routinierte Langeweile. Das Gelbe vom Ei ist das nicht, gerade auch weil Sänger Timo Kotipelto von Beginn an mit den hohen Tönen zu kämpfen hat und die ersten Stücke erst einmal zum Warmwerden braucht. Von einer seit 34 Jahren existierenden Metal-Institution darf durchaus mehr erwartet werden. Aber auch von einem professionellen Lichttechniker, der dem Headliner nur die Vorbandbeleuchtung zugesteht und die Bandmitglieder von hinten anstrahlt. Auch das geht besser.
Doch die Finnen kämpfen sich trotz schlechter Beleuchtung in die Show, das langsame "Oblivion“ vom kürzlich erschienen Album "Enigma: Intermission II“ fungiert als kleiner Lichtblick. Das registriert auch das Kieler Publikum: Mit jedem Song wird die Zahl der in die Luft gereckten Hände größer. Bei „Paradies“ wird erstmals aus vollen Kehlen mitgesungen und auch "Black Diamond“ wird ordentlich abgefeiert. Aber STRATOVARIUS wären eine Schande für ihr Genre, würden sie mit der Ballade "Forever“ nicht noch ordentlich Weichspüler über das Publikum gießen. Da fliegen die Haare beim folgenden Rocker "Unbreakable“ doch gleich wieder fluffiger, während Sänger Kotipelto in schönstem Finnglisch in sein Mikrofon trällert.
Ja, STRATOVARIUS machen gegen Ende richtig Spaß, sodass das heiß ersehnte "Hunting High And Low“ den Schlusspunkt unter eine insgesamt ordentliche Show setzt. Blöd nur, dass die Kieler Fangemeinde bei den Mitsingpassagen peinliche Textlücken offenbart. Egal, wer die Melodie kann, schreit einfach irgendwas. Nach 70 Minuten ist damit aber Schluss für die Finnen, welche sicher nicht mehr zur Speerspitze ihrer Profession zählen. Für den Ruhestand ist es aber trotzdem noch zu früh, wie der letztlich doch tosende Applaus der Fans unterstreicht.
Tarja
Mit eben diesem – und zusätzlichem Fangirl-Geschrei – wird schließlich auch die finnische Metal-Queen TARJA auf der Bühne empfangen. Trotz vorangegangener Grippeerkrankung geht die Ex-NIGHTWISH-Fronterin mit dem Opener "Demons In You“ und dem poppigen "500 Letters“ gleich in die Vollen. Das Publikum ist dabei, die restliche Band erst recht. Gerade Gitarrist Alex Scholpp und Cellist Max Lilja sind nach dem routinierten Standkonzert von STRATOVARIUS dank ihres mitreißenden Spiels eine Wohltat.
Die Band um die Sängerin spielt sich während der 70-minütigen Show in einen wahren Rausch, reißt das Publikum sowohl in den Songs als auch während der instrumentalen Bandvorstellung förmlich mit. Auch TARJA selbst lässt kaum Raum für Zweifel, beeindruckt stimmlich wie eh und je und beweist in der Performance enorme Wandlungsfähigkeit.
Während die erste Hälfte der Show klar im Zeichen der eingängigen Rocksongs der Künstlerin steht, wird es im späteren Verlauf deutlich theatralischer. Besonders positiv: Die Sängerin schließt endlich mit ihrer Vergangenheit ab und hat sämtliche NIGHTWISH-Stücke über Bord geworfen. Die Band in allen Ehren, doch TARJA muss sich nicht mehr hinter vergangenen Großtaten verstecken.
Mit "Victim Of Ritual“ und dem abschließenden Party-Song "Until My Last Breath“ beschließt die Finnin schließlich einen gelungen Konzertabend und kann das aktive Kieler Publikum tatsächlich noch zum Springen animieren. Das macht sich doch gut im Portfolio der Kieler Metalgemeinde, welche viel zu oft von den großen Plattenlabels ignoriert wird. Ja, auch in Schleswig-Holstein hören Menschen Musik.
Ein gelungener Abend
So geht der Abend im Nachttheater schließlich dem Ende entgegen. Zwei – trotz einiger Startschwierigkeiten – gelungene Headliner und ein gar nicht so kleiner Haufen würdiger Zuschauer lassen den Abend positiv im Gedächtnis bleiben, auch wenn der Ticketpreis von über 40€ nicht mehr unterhalb der Schmerzgrenze liegt. Wie auch immer – als die Südfraktion sich auf den Heimweg macht, ist der Wind noch stärker geworden. Fast, als würde der Himmel selbst eine nordischen Symphonie erklingen lassen wollen.