Geschrieben von Dienstag, 21 Juni 2022 16:15

Rammstein - Der Konzertbericht aus der Merkur Spiel Arena in Düsseldorf

Zwei Mal mussten die späteren Termine der bisher größten RAMMSTEIN-Tour Corona-bedingt verschoben werden, 2022 ist es endlich soweit: Das Berliner Sextett legt mit einer wahnsinnigen Inszenierung ausverkaufte Stadien in ganz Europa in Schutt und Asche.

Der erste der beiden Termine in der Düsseldorfer Merkur Spiel Arena am 18. und 19.06.2022 findet am bisher heißesten Tag des Jahres statt. Vor dem Stadion, in den Gängen, auf den Rängen, mit alles andere als optimal gekühlten Getränken – bei Temperaturen von deutlich über 30° C ist für einige Fans aufgrund von Kreislaufproblemen das Konzert schon Stunden vor Beginn zu Ende. Respekt, wer sich bei dieser Hitze und der bevorstehenden Pyro-Show in die Feuerzone kämpft.

Pünktlich um 19:30 Uhr beginnt das DUO JATEKOK auf einer kleinen Bühne am Rande des Innenraums mit seinem Job als – Achtung, Wortwitz – Anheizer. Die französischen Pianistinnen interpretieren RAMMSTEIN-Songs wie "Sonne", "Mutter" oder "Puppe" auf ihre eigene Weise, einige Fans singen mit, richtig Stimmung kommt wie erwartet nicht auf. Ob man die Wahl des Support-Acts für passend halten mag oder nicht: Dass den Damen die einmalige Chance gegeben wird, bei solch großen Shows für eine gemütliche Einstimmung zu sorgen, ist eine äußerst charmante Geste.

RAMMSTEIN live: Eine Inszenierung ohnegleichen

Als um kurz vor 21 Uhr die (selbstredend nicht beachtete) Ansage ertönt, dass die Fans bitte das Konzert genießen sollen, statt laufend zu filmen und Fotos zu schießen, und die Overtüre aus Georg Friedrich Händels "Feuerwerksmusik" aus den Boxen schallt, ist es schließlich Zeit für die große Show, auf die 45.000 Fans seit mehr als zwei Jahren warten. Auch auf den Rängen erhebt sich die Menge und erwartet ihre Band, die während der Corona-bedingten Tourunterbrechung kreativ aus dem Vollen schöpfte und mit "Zeit" kurzerhand ein weiteres Album veröffentlichte – gerade einmal drei Jahre nach dem selbstbetitelten siebten Studiowerk, das seinerseits erst der Aufhänger für die Stadion-Tournee war.

In den folgenden mehr als zwei Stunden erlebt die ausverkaufte Merkur Spiel Arena nicht bloß ein Live-Konzert, auch keine Show, sondern eine Inszenierung der Superlative. Mit perfekt auf die Songs und das Umgebungslicht abgestimmter Lightshow, der unfassbar intensiven Bühnenpräsenz des Sextetts, allen voran Till Lindemann, und, natürlich, mächtig Feuer, Rauch und Pyrotechnik, zeigen RAMMSTEIN, wieso sie nach wie vor die Referenz in Sachen musikalischer Unterhaltung darstellen.

Komm mit, reih dich ein

Dabei dauert es nach dem heftigen Eröffnungsknall zum Opener "Armee der Tristen" ein wenig, bis die Pyros in "Sehnsucht" wieder zünden, passend zum Titel eines der besten RAMMSTEIN-Songs überhaupt ("Mein Herz brennt") Lindemanns Herz in Flammen aufgeht und im wahnsinnig intensiven "Puppe" zuerst rote Feuerchen aus einem überdimensionalen Puppenwagen züngeln, bis mit steigender musikalischer Intensität schließlich das ganze Teil in Flammen aufgeht.

In der Mitte des Sets sorgt Richard Z. Kruspe mit seinem "Deutschland"-Remix für eine kurze Verschnaufpause, während vier Bandmitglieder in leuchtenden Kostümen eine wahnwitzige Strichmännchen-Performance zum Besten geben. Mit "Deutschland" und "Radio" folgen die besten Songs des vorletzten Albums, die mittlerweile schon zu den unverzichtbaren Band-Klassikern zählen dürften.

Und Düsseldorf zählt laut bis zehn

Im brachialen "Mein Teil" wird Flake wieder mal im Kochtopf gegart – diesmal aber nicht mit einem, auch nicht mit einem zweiten, noch größeren Flammenwerfer, sondern letztendlich mit einer riesigen Flammenkanone, mit der Sänger Till Lindemann dem Keyboarder mächtig einheizt. Auf "Du hast" folgt "Sonne", bei dem auch die Türme in der Mitte des Innenraums riesige Flammen in den Düsseldorfer Nachthimmel spucken – kein Wunder, dass Anwohner regelmäßig denken, das Stadion ihrer Stadt würde brennen. Sind doch bloß RAMMSTEIN, die netten Pyromanen von nebenan.

Geschickt eingefädelt zeigen die Kameras anschließend Fans aus dem Publikum, die bejubelt werden, während sich die Band mehr oder weniger unbemerkt auf der kleinen Bühne einfindet, auf der zum Einstieg das DUO JATEKOK geklimpert hat. Die Fans werden aufgefordert, die Taschenlampen ihrer Smartphones zu aktivieren – die Zeit der Feuerzeuge ist lange vorbei.

Jeder darf es sein – herein

Am Bühnenrand aufgestellt singen die instrumentenlose Band und das Publikum gemeinsam aus voller Kehle den Text zu "Engel", gespielt vom französischen Pianistinnen-Duo, bevor die Mitglieder sich in Schlauchbooten vom Publikum getragen zurück zur imposanten Hauptbühne begeben.

Dort wird jedes Mitglied mit einem "Willkommen"-Schild in Empfang genommen, am Ende gehen Landers und Lindemann langsam aufeinander zu und umarmen sich unter frenetischem Jubel. Viel Raum für Interpretationen ist da nicht. Es sind auch diese wunderbaren, mal sehr offensichtlichen, mal scheinbar nebensächlichen und versteckten Gesten und Metaphern, die das Wesen dieses Kollektivs ausmachen. RAMMSTEIN und die Meta-Ebene sind beste Freunde – das zeigt auch die anschließende Darbietung von "Ausländer", die dem Ganzen die Krone aufsetzt.

Mit liebgewonnen Effekten wie dem Feuerrad und den Arm-Feuerwerken des Gitarristen-Duos in "Du riechst so gut" sowie der Konfetti-Kanone in "Pussy" steuert das Konzert schließlich auf sein Finale zu.

Goodbye, Adieu, auf Wiedersehen

In der Bandhymne "Rammstein" feuern nicht nur Bühne und Türme aus allen Rohren. Kruspe und Landers bringen die Meute mit ihren Flammenwerfern weiter zum Kochen, während um Lindemann Flammen in sämtliche Richtungen schießen. Mit "Ich will" und dem leicht melancholischen "Adieu" verabschiedet sich das Sextett vom vor Schweiß durchnässten Publikum und verschwindet mit einem großen Knall per Fahrstuhl in einem der riesigen Türme.

Die 22 (!) Songs umfassende Setlist ist gut gemischt: Neben älteren und jüngeren Klassikern wie "Links 2-3-4", dem ewig lange nicht gehörten "Heirate mich" (was für ein Wahnsinns-Schrei am Ende!) oder "Pussy" stehen mit "Zick Zack", "Zeit" oder "Zeig dich" immerhin neun Songs der letzten beiden Alben auf dem Programm. Das ist kaum verwunderlich, da RAMMSTEIN Tourneen zu neuen Alben schon immer genutzt haben, um diese recht ausführlich zu präsentieren. Insgesamt ist der Umfang des über zwei Stunden langen Auftritts beachtlich.

Zeit, bitte bleib stehen, bleib stehen

Wenn man mit der Lupe nach Kritikpunkten suchen wollte (!), könnte man durchaus über Kleinigkeiten motzen. Etwa, dass die gesamte Darbietung so genau eingetaktet ist, dass sie keinen Raum für Spontanität oder Improvisationen lässt. Oder, dass die Pyros und Flammen gerne etwas mehr hätten sein können, gerade zu Beginn. Oder, dass das atmosphärische Meer aus geheimnisvoll leuchtenden Magnesiumfackeln in "Sehnsucht" fehlte.

Dann erinnert man sich daran, wie der Bass in den Magen drückt, wie perfekt die Lightshow das Geschehen inmitten der gigantischen Bühnenkonstruktion untermalt, wie die Hitze der Flammen aus den Feuertürmen selbst auf der Tribüne ins Gesicht schlägt, wie häufig man wahlweise mit heruntergeklappter Kinnlade oder kopfschüttelnd dem wahnsinnigen Treiben dieses Kollektivs zugesehen und gelauscht hat – und merkt, wie unfassbar lächerlich es ist, hier nach irgendetwas zu suchen, das man bekritteln könnte.

Was RAMMSTEIN auf die Bühne stellen, ist ein Gesamtkunstwerk für Ohren und Augen, das im Rock-Musikzirkus seinesgleichen sucht. Auch als Gelegenheitshörer sollte man versuchen, diese grandiose Zelebrierung hautnah zu erleben. Es wird nicht die letzte Möglichkeit gewesen sein – da bin ich mir sicher.

RAMMSTEIN "Europe Stadium Tour 2022" Setlist in Düsseldorf:

Armee der Tristen
Zick Zack
Links 2-3-4
Sehnsucht
Zeig dich
Mein Herz brennt
Puppe
Heirate mich
Zeit
Deutschland (RMX by Richard Z. Kruspe)
Deutschland
Radio
Mein Teil
Du hast
Sonne
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Engel
Ausländer
Du riechst so gut
Pussy
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Rammstein
Ich will
Adieu

Chrischi

Stile: Metal und (Hard) Rock in fast allen Facetten

Bands: Metallica, Pearl Jam, Dream Theater, Iron Maiden, Nightwish ...