Ein Pflichtbesuch während des Wacken Open Airs ist immer auch ein Zug durch die Hauptstraße des Dorfes. Metalheads mit und ohne Festival-Band treffen hier zusammen, an jedem Haus gibt es Musik, Getränke und Essen. Am Ende liegt der Landgasthof Wacken (LGH). Die Auftritte sind hier, auf der sogenannten neunten Bühne des WOA, sehr zu empfehlen. In uriger Atmosphäre gibt es Gigs von ungeschliffenen (und manchmal auch bereits verarbeiteten) Diamanten; hautnah und voller Energie.
In diesem Jahr drückten unter anderem die Musiker Klaus Meine (SCORPIONS), Doro Pesch und Joey Belladonna (ANTHRAX) ihre Hände in Beton, um den Grundstein des „Walk of Legends“ vor dem LGH zu legen. Ganz in der Nähe – sonst eher unauffällig, da hinter Bäumen auf einer kleinen Anhöhe liegend – steht die Wackener Kirche. Hier sollte ich hin.
Van Giersbergen, von Glockenklang bis weihrauchig
Nur handverlesene Gigs finden in der Kirche statt. Klang und Atmosphäre müssen zu den auftretenden Künstlern passen und ich kann schon ein bisschen vorgreifen: Es passte einfach perfekt. Anneke van Giersbergen und eine Gitarre, mehr nicht. Ihre Stimme: Glockenklang meets weihrauchig, je nach Genre und Stimmung.
Anneke lässt sich nicht einfangen und in eine Schublade stecken, dafür liebt sie Musik zu sehr. Und Musik ist nicht nur Schwarz oder Weiß, sondern immer ein Füllhorn aus unterschiedlichen Stilen, Rhythmen, Tempi und Gefühlen. Und van Giersbergen scheint den Quell genau zu kennen.
Scheinbar spielerisch bewegt sie sich zwischen IRON MAIDEN bis FOREIGNERs „I Want To Know What Love Is“ in sehr persönlichen Interpretationen. Dazu reichert van Giersbergen alles mit eigenen Songs an – ganz aktuell vom Album „The Darkest Skies Are The Brightest“ (2021) und durch die ganze Karriere. Ihr eignes Projekt AGUA DE ANNIQUE darf dabei in diesem puren Akustik-Set nicht fehlen, ebenso wenig wie THE GATHERING.
Metalheads mit liebevoller Verbundenheit
Die Kirche platzt aus allen lederbekutteten Nähten der Zuhörerinnen und Zuhörer. Alle sind eingefangen, singen tonlos auch die eher unbekannten Songs von THE GATHERING mit und stimmen, nach Aufforderung, laut in Kate Bushs „Running Up That Hill“ mit ein.
Eine Kirche voller Menschen, die Musik hören, allen das Erlebnis ermöglichen wollen, als ein Akt der Gemeinsamkeit – das zeigt einmal mehr, was das Wacken Open Air ausmacht: Es ist eine Familie. Manchmal laut, polterig und schön schräg, aber immer mit einer liebevollen Verbundenheit. Das spüren auch die Künstler und Künstlerinnen; in einer vulnerablen Situation wie einem Solo-Akustik-Set umso mehr. Ohne zu kokettieren, überkam van Giersbergen immer mal wieder die Atmosphäre und ihr liefen still Tränen über das Gesicht; sie wurde getragen von diesem großartigen, gemeinsamen Moment. Ein Auftritt zum Verlieben.
Nach dem Konzert hatte ich die Möglichkeit, Anneke van Giersbergen zu interviewen – bitte hier entlang.
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