27.09.2024 – Um zu verstehen, warum mir der Ausflug zu meinem zweiten TAILGUNNER-Konzert für immer als ein absolutes Highlight im Gedächtnis bleiben wird, bedarf es einer Vorstellung der Örtlichkeit. Die Stadt Selb liegt im Fichtelgebirge, nur ein paar Kilometer von der Grenze zu Tschechien entfernt. Hier, am Ortsrand, hat sich der Rockclub Nordbayern e.V. im Jahr 2019 einen wunderbaren Traum erfüllt.
In den traditionell-bayerisch gestalteten Räumlichkeiten einer ehemaligen Gastwirtschaft wurde mit unendlich viel Eigenleistung ein urgemütliches Vereinsheim hochgezogen, dessen Schankraum nicht nur zum Feiern oder zum lockeren Stehbier einlädt, sondern der inzwischen auch als Konzert-Location der ganz besonderen Art einen hervorragenden Ruf bei in- und ausländischen Bookern genießt. SCREAMER, SATAN, RIOT V, EKTOMORF – die Wände zwischen den Fachwerkgiebeln sind gepflastert mit Flyern der Metal-Acts, die sich hier zuletzt die Klinke in die Hand gegeben haben. Demnächst machen ANVIL und JAG PANZER ihre Aufwartung.
Konzerte von Fans für Fans
Die fast schon winzig anmutende Bühne passt ins außergewöhnliche Gesamtbild der Location: Weniger als 15 Quadratmeter und 30 Zentimeter Höhe stehen den Bands und ihrem Equipment zur Verfügung, um das Publikum mitzureißen. Die Ticketpreise bewegen sich um die 25 Euro, auch die Getränke sind äußerst günstig (nur Barzahlung, falls Ihr demnächst mal vorbeischauen wollt), und bei 150 Besuchern heißt es „Sold Out“.
Möglich wird all das durch die aufopferungsvolle Arbeit der durch die Bank weg hochsympathischen Vereinsmitglieder. Knapp zehn aktive Mitglieder zählt der Verein um den 1. Vorsitzenden Alex Prechtl, die sich um Aufbau, Kasse, Theke und Versorgung der Bands kümmern. Des weiteren gibt es noch rund 130 Fördermitglieder, die notfalls mit anpacken und für einen geringen Förderbeitrag freien Eintritt zu sämtlichen Gigs genießen. Ab und zu holt der Verein auch größere Acts wie PRIMAL FEAR und LORDI in die Region, für die dann die Frankenhalle im 50 Kilometer entfernten Naila angemietet wird.
Vereinsgründer Alex Prechtl erklärt das Konzept: „Unser Ziel war es, Konzerte von Fans für Fans anbieten. Wir haben mit lokalen Bands angefangen, dann ist die Sache plötzlich immer größer geworden. Als Verein machen wir keinen Gewinn, daher können wir die Preise relativ niedrig gestalten.“ Für viele Bands, die am Vorabend noch in Prag gespielt haben und dann nach Deutschland rüberkommen, ist der Rockclub in Selb eine willkommene Zwischenstation. Alex Prechtl: „Einige Musiker haben mir erzählt, dass sie hier mehr Umsatz beim Merch machen, als wenn sie vor 300 Leuten spielen, die Halle aber halbleer ist. Die Stimmung ist einfach eine ganz andere.“
United we stand!
Und in der Tat lohnt es sich, früh da zu sein, denn schon vor den Auftritten der drei Bands an diesem Abend herrscht eine unglaublich nette und familiäre Atmosphäre, in der niemand lange ohne Gesprächspartner dasteht. Zwischen den wartenden Fans wuseln die Bandmitglieder rum, die ihre Instrumente durch die Gegend schleppen, sich selbst um den Verkauf ihrer T-Shirts kümmern und nur zu gern für ein Schwätzchen, ein Autogramm und ein Foto zur Verfügung stehen. Metal verbindet – noch nirgends durfte ich das so beeindruckend erleben wie an diesem Abend im Rockclub Selb!
Und damit zum eigentlichen Anlass dieser Story: Dem Auftritt von TAILGUNNER. Als Einheizer fungierten zunächst zwei Bands aus bayerischen Gefilden. Sowohl REAPER´S REVENGE als auch CHRYSTAL DEATH kamen mit ihrem oldschoolig angehauchten Metal mit Power- und Thrash-Anteilen beim Publikum hervorragend an. Beide Bands haben ihr Können übrigens bereits auf CD verewigt.
Danach enterten TAILGUNNER zu den Klängen eines griechischen Sirtaki die Bühne und ballerten den Fans mit "Guns For Hire" eine erste musikalische Salve um die Ohren, die klar machte, dass hier eine junge Band am Start ist, die – wenn alles optimal läuft – einmal zu den Großen der Szene gehören könnte. Für diejenigen, die die Band bislang nicht kennen: TAILGUNNER leben und zelebrieren die goldenen 80er Jahre des melodischen Heavy Metal mit absoluter Glaubwürdigkeit und außerordentlichem Können.
Ehrlicherweise muss ich sagen: Als ich vor einem Jahr ihr Langspieldebut "Guns For Hire" für mich entdeckte (2022 gab's bereits eine EP), fand ich etwa die Hälfte der Songs ausnehmend stark, einiges aber auch noch durchaus ausbaufähig. TAILGUNNER dann im Oktober '23 in Filderstadt erstmals live erleben zu können, war dagegen eine komplett andere Hausnummer. Tatsächlich hatte ich seit BLIND GUARDIAN Anfang der 90er Jahre keine einzige junge Band mehr gesehen, die derart tight, mitreißend und sympathisch auf der Bühne abliefern konnte.
TAILGUNNER – Die Zukunft des British Metal?
Songs wie etwa "Guns For Hire", "New Horizons" oder das von MAIDEN angehauchte, epische "Rebirth" sind schnell, melodisch und gehen voll auf die Zwölf. Vor allem aber ist es die Energie, mit der die Truppe um Bandkopf Thomas Hewson (Bass) über die Bühne fegt, unentwegt am Bangen ist und die Fans zum Mitmachen antreibt. Hinter den Kesseln sitzt mit Jani Pasanen ein echtes Drumtier, das die Band nach vorne peitscht, mit Rhea Thompson (die in Selb leider kurzfristig ausfiel) und Zach Salvini haben TAILGUNNER ein hochtalentiertes Gitarren-Duo, und Sänger Craig Cairns, der bis vor kurzem zusätzlich auch bei INDUCTION am Mikro stand, gehört aktuell zu den Besten seiner Zunft. Kurz: Ein TAILGUNNER-Gig ist der absolute Abriss – vor allem, wenn man derart nah dran ist, wie bei diesem Auftritt!
Kein Wunder, dass sich die britische Musikpresse mit Lobeshymnen überschlägt und TAILGUNNER schon mehrfach zum heißesten Nachwuchs-Live-Act in Sachen Metal erklärt hat. Die Band ist bereit, Dreck zu fressen und seit mehr als einem Jahr fast unentwegt auf Tour – und wenn nicht, warten zuhause Jobs, um über die Runden zu kommen, wie mir Gitarrist Zach verriet.
Ihres Potentials sind sich TAILGUNNER durchaus bewusst und erklären immer wieder selbstbewusst, ihre Mission sei es, „to put British Heavy Metal back on the map“. Und auch in Selb mag nach dem TAILGUNNER-Konzert der ein oder andere gedacht haben, „Die sehen wir irgendwann in Wacken!“. Umso schöner ist es, sie aktuell noch im kleinen Rahmen erleben zu können. Man darf gespannt sein, wie lange noch.
Vor dem Gig konnte ich mit Bandleader Thomas Hewson ein Interview über die aktuelle Situation der Band und das kommende zweite Album führen.
