Geschrieben von Freitag, 18 April 2025 17:00

Bericht von AVANTASIA in Bochum und DRAGONY in Kortrijk, Belgien - Zwei Mal Drachen, bitte!

Zwei Mal Drachen, bitte! AVANTASIA und DRAGONY sind unabhängig voneinander in Sachen Drachen unterwegs. Zwei Shows, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten – und doch vereint sie nicht nur ihr Motto.

Im Powermetal stolpert man ja ständig über irgendwelche Drachen. Man kann ihnen gar nicht ausweichen, ob man nun mit Fantasy etwas am Hut hat oder nicht. Wenn solch ein Geschöpf also in einem Albumtitel auftaucht, ist das in unserer fröhlich‐eskapistischen Szene nicht mal eine Randnotiz wert. Aber eine derartige Drachendopplung wie die folgende dürfte, insbesondere hinsichtlich des Timingaspekts, so noch nicht vorgekommen sein:

Ende Juli 2024 kündigten die Österreicher DRAGONY ihr lang erwartetes neues Album für den Herbst an. Klangvoller Titel: „Hic Svnt Dracones“ („Hier sind Drachen“ bzw. „Hier könnten Drachen sein“). Diese Warnung vor unerschlossenen Gebieten findet sich hin und wieder auf historischen (Seefahrts‐)Karten – und auf historischem DRAGONY‐Merch. Liegt also auf der Hand, wenn ohnehin schon der Bandname drachenartig anmutet und man bereits auf dem Vorgängerwerk „Viribus Unitis“ mit einem lateinischen Titel gut gefahren ist. Außerdem eignet sich das mit einem römischen V statt U geschriebene „svnt“ perfekt für den dezenten Hinweis darauf, dass es sich um das fünfte Studioalbum handelt. Soweit, so schlüssig.

Aber nur wenige Tage später kam ein Melodic‐Metal‐Gigant mit exakt derselben Phrase um die Ecke: Ausgerechnet AVANTASIA, die sich von Drachen bislang erfolgreich ferngehalten hatten, gaben kund, ihr neuester Output solle „Here Be Dragons“ heißen! Da schien offenbar etwas in der Luft gelegen zu haben.

Hier könnten Drachen sein – hier aber auch!

Nach dieser Doppelankündigung vergingen noch satte sieben Monde, bis endlich beide Werke vorlagen. Ob der Direktvergleich zwischen einer aufstrebenden Band mit Nischenbekanntheit und dem etablierten internationalen Megaprojekt mit Nr.‐1‐Chartsplatzierung fair oder sinnvoll ist, sei mal dahingestellt. Aber lasst uns kurz auf den Inhalt gucken: Während es sich bei DRAGONYs „Hic Svnt Dracones“ um ein Konzeptalbum mit Anleihen aus dem magischen Realismus handelt (britische Kolonialisten treffen auf Wikinger), bei dem anhand der Lyrics ein wilder Storybogen nachvollzogen wird, ist AVANTASIAs „Here Be Dragons“ eine lose zusammenhängende Sammlung klassischer Sammet‐Themen (Außenseitertum, Realitätsflucht, Individualität und Gemeinschaft) in gewohnt poetisch‐teilkryptischem Grundton, bei der Drachen, Hexen und Gespenster eher metaphorische Funktionen haben.

Und musikalisch? Da haben die beiden Drachenalben natürlich einiges gemeinsam, lassen sich schließlich beide im melodischen, teils symphonischen Powermetal verorten. Aber das ist an anderer Stelle schon ausführlich besprochen worden. Stattdessen hier eine kleine Kuriosität: Auf beiden Alben findet sich ein epischer Titeltrack (bei DRAGONY sogar noch um den englischen Titel ergänzt), dessen Spielzeit in beiden Fällen exakt 8:53 Minuten beträgt! Zufall? Telepathie? Höhere Bestimmung?

Wieviel Show wollt ihr haben? Ja!

Hier ist aber noch lange nicht das Ende der Gemeinsamkeiten erreicht: Auch die Europa‐Tourdaten zu den Drachenalben überschneiden sich für knapp zwei Wochen. Klar, dass ich mir beides anschauen muss, zumal ich AVANTASIA bislang erst zweimal, DRAGONY noch gar nicht live gesehen habe.

Für erstere fällt die Wahl des Termins nicht schwer – Bochum an einem Samstag, das ist ein sogenannter No‐Brainer. Bei DRAGONY sieht’s schon schwieriger aus, ihre Auftritte in Deutschland beschränken sich auf den (sehr) süddeutschen Raum. Aber es gibt einen Termin in Kortrijk, Belgien – tatsächlich schneller erreichbar als Bayern und nur kurz nach der AVANTASIA‐Show in Bochum. Also, klare Sache: zwei Drachengigs innerhalb von fünf Tagen.

AVANTASIA live in Bochum

Und holla – was AVANTASIA sich für ihre Tour ausgedacht haben, kann wohl ohne Übertreibung als Spektakel gigantischen Ausmaßes bezeichnet werden. Aufwändige Kulisse mit „schmiedeeisernem“ Tor, von Laternen gekrönte Säulen, Schlagzeug‐ und Keyboardbereich eingefasst in ruinenartige „Stein“mauern, sorgfältig abgestimmte Lichteffekte, dazu ein digital bespielbares Backdrop mit wechselnden Animationen zu den jeweiligen Alben‐Artworks, ein überdimensionaler Thron mit Drachenflügeln, ein brennendes Klavier, ohnehin jede Menge Pyro und zum Schluss endlose Salven aus Konfettikanonen. Befände sich eine taube Person im Publikum, bekäme sie hiermit eine originalgetreue Übersetzung von AVANTASIAs Musik ins Visuelle.

Einzigartig natürlich auch das personelle Aufgebot: Abgesehen von Meister Sammet himself und seiner hochkarätigen Stammband feiern Adrienne Cowan (u.a. SEVEN SPIRES), Chiara Tricarico (MOONLIGHT HAZE) und Herbie Langhans (u.a. FIREWIND) eine durchgängige Backgroundvocals‐Party – natürlich haben alle drei auch Solostellen im Programm – und als Gastsänger fackeln Ronnie Atkins (PRETTY MAIDS), Eric Martin (Mr. BIG), Tommy Karevik (KAMELOT) und Kenny Leckremo (H.E.A.T) ein Feuerwerk der Gesangs‐ und Performancekunst ab. Vier vollkommen unterschiedlichen Charaktere, die sich gerade in Duetten miteinander oder mit Tobi so erfrischend ergänzen, dass es eine helle Freude ist.

Zum großen Bedauern etlicher Fans fehlt allerdings BOB CATLEY (Magnum). Apropos Duette: Besonders gefeiert wird in Bochum der Klassiker „Reach Out For The Light“ (dieses Licht erstrahlt mit Adrienne an den Leadvocals in völlig neuen Farben) und „The Wicked Symphony“, dargeboten von Tommy und Kenny, ganz ohne Tobi, der wohl virenbedingt seine Stagetime etwas reduziert. Ansonsten ist aber nichts von Angeschlagenheit zu spüren. Seine an Impro‐Comedy grenzenden Ansagen, integraler Bestandteil jedes AVANTASIA‐Konzerts, exerziert der Meister in gewohnter Form durch – entsprechend gelöst ist auch die Stimmung unterhalb der Bühne.

Die geräumige Halle ist übrigens nicht ganz ausverkauft, aber mehrere tausend Metalheads und Fans gepflegter Freakigkeit haben den Weg zum RuhrCongress gefunden und feiern bis zur letzten Minute lautstark mit. Nach beinahe drei Stunden ganz großen Theaters fällt der Vorhang, und die Zeile „Here be dragons, you won’t be alone“ bleibt wie ein Versprechen im völlig durchgepusteten Hirn hängen.

Irgendwo im Nirgendwo

Noch vier Tage bis zum zweiten Drachenkonzert! Um dazwischen nicht zu sehr den Anschluss an die Thematik zu verlieren, besuche ich noch einige Drachenstatuen und ‐skulpturen, trinke starkes Drachenbier und pappsüße Drachenfrucht‐Softdrinks, absolviere eine drachenbezogene Stadterkundungsapp für Kinder und komme so in der Zwischenzeit auf locker über 50 Drachensichtungen in den Niederlanden und Belgien, bevor endlich die zweite drakonische Sause ansteht.

DRAGONY live in Kortrijk, Belgien

Während sich für AVANTASIA die ersten Freaks schon etliche Stunden vor Einlass ihren Platz in der Warteschlange gesichert hatten, stehen wir heute eine halbe Stunde vorher noch zu dritt an einem unscheinbaren Garagentor irgendwo in einem Industriegebiet. Hier sollen heute SERIOUS BLACK auftreten, unterstützt von DRAGONY und AUTUMN BRIDE? Hier soll es Drachen geben?

Noch vor offizieller Einlasszeit wird das Tor geöffnet: Ein winziger Club, die Stehfläche kaum größer als mein Wohnzimmer, die allenfalls stufenhohe Bühne ohne Absperrung misst vielleicht fünf mal drei Meter. Für mehr Dekoration als das fast überdimensioniert wirkende Backdrop des Headliners ist hier kein Platz. Eine Bar, ein Merchstand, und mit wenigen Schritten ist man in der ersten Reihe, wo es sich auch bis zum Ende des Konzerts noch völlig locker stehen lässt.

Mit etwa 80 anwesenden Personen kommt die Location nicht ganz an ihre Kapazitätsgrenze; ein Drittel davon ist vermutlich lokales Stammpublikum und tummelt sich überwiegend an der Bar. Was sich aus Band‐ und Bookingperspektive vielleicht etwas ernüchternd anhört, gestaltet sich für mich als Besucherin wahnsinnig entspannt und gemütlich. Und es sei dazugesagt: In den vorherigen Tagen haben die drei Bands bereits wesentlich größere, zum Teil ausverkaufte Hallen bespielt. Vor allem aber wird dieser Abend zeigen, dass sich metallischer Spaß nun wirklich nicht durch Veranstaltungsgröße definiert.

Schweißperlen und Dauergrinsen

Es ertönt das bombastische Intro des aktuellen Albums – ein Arrangement des berühmten vierten Satzes aus Dvořáks „Sinfonie aus der neuen Welt“ – und dann eröffnen die Österreicher mit „Twilight Of The Gods“, ebenfalls von „Hic Svnt Dracones“, ihr Set. Obwohl der vorgesehene Slot nur für acht Songs reicht, sind tatsächlich fünf davon brandneu – ergänzt durch drei mithüpfbare Klassiker. Wobei: In Sachen Livetauglichkeit stehen die neuen Tracks den älteren in überhaupt nichts nach – der Plan scheint also aufzugehen.

Für DRAGONY sind heute schon fast zwei Drittel der Tour vorbei, die sich ohne Off‐Days von Wien bis weit nach Spanien und in hohem Bogen über Paris bis in diesen kleinen belgischen Ort gezogen hat. Heute Nacht geht es 730 Kilometer weiter in die Schweiz. Müdigkeit? Keine Spur! Zumindest nicht auf der Bühne. Wahnsinn, mit welcher Energie, Professionalität und Spielfreude bis in die Haarspitzen die fünf Musiker hier die Garage rocken! Es scheint für sie keinen Unterschied zu machen, ob 80 oder 800 Leute im Saal sind – jeder Song wird mit absoluter Hingabe präsentiert.

(Das gilt übrigens genauso für AUTUMN BRIDE – krankheitsbedingt leider ohne Bassisten – und SERIOUS BLACK, die ebenfalls mitreißende und kurzweilige Shows abliefern, was hier aber den Umfang endgültig sprengen würde.)

Es wird gehopst, gegrinst, geschwitzt, synchron geposed und zum Mitmachen animiert. Und spätestens bei „If It Bleeds ...“ zucken auch in den hinteren Reihen die Füße. Als die letzten Töne des Partykrachers „Beyond The Rainbow Bridge“ verklingen, ist es gefühlt erst zehn Minuten später. Dieser zweite Drachengig war in vielerlei Hinsicht vollkommen anders als der erste, aber in einem Punkt nicht: Die Welt da draußen war von der ersten bis zur letzten Sekunde einfach mal nicht existent.

The show must go on

Auf die Frage, ob die Band denn trotz der möglicherweise suboptimalen Umstände auch Spaß gehabt habe, antworten alle ohne zu zögern, „Auf jeden Fall, total!“ Manuel Hartleb (k) ergänzt: „Doch, hat wahnsinnig Spaß gemacht. Ich glaube, hier waren heute kaum Leute, die uns vorher schon kannten. Umso schöner, wenn dann ein paar Die‐hard‐Fans da sind, die richtig Party machen!“

Und wie geht es nach der Tour weiter? Erstmal Füße hoch? „Uns erwartet jetzt ein entspannter Sommer mit einigen kleineren Festivals und einem etwas größeren Auftritt beim Rock Castle Festival (Tschechien) – und dann mal sehen, was der Rest des Jahres bringt. Die eine oder andere Idee haben wir da noch in petto ...“, grinst Siegfried „Siggi“ Samer (v) verheißungsvoll. Das sei aber noch mittelfristige Zukunftsmusik.

In der kommenden Woche möchten einige DRAGONY‐Jungs privat die AVANTASIA‐Show in Wien besuchen und sind schon freudig gespannt. Da ist sie wieder: die telepathische Drachenconnection. Kein Wunder, Tobias Sammets Gesamtwerk hat schon immer großen Einfluss auf das musikalische Schaffen DRAGONYs gehabt. Eine perfekt auskomponierte klare Hommage an EDGUYs monumentalen Bombasthit „Judas At The Opera“ (der wiederum eine klare Hommage an QUEEN ist) findet man zum Beispiel im Titeltrack des aktuellen Albums.

Fazit: Zweimal Drachen, kann man machen? Ja, absolut! AVANTASIAs und DRAGONYs aktuelle Alben sind trotz verblüffender Gemeinsamkeiten zwei ganz unterschiedliche Welten, die beiden Shows hätten gegensätzlicher kaum sein können. Was von beiden Scheiben und beiden Konzerten bleibt, ist ein riesiger Vorrat Endorphine und die Gewissheit: Wo Drachen sind, da lass dich ruhig nieder ( – böse Wesen kennen keine Lieder, oder so).

Anne

Stilübergreifend Fan von packenden Harmonien und Lyrics. Es muss Spaß machen oder berühren – oder beides. In früher Jugend große Seelenanteile an den Powermetal verkauft. Trotzdem nie was mit Drachen und Einhörnern am Hut gehabt. Konzertliebe wiederentdeckt und zur Sucht werden lassen. Frontrowbegeisterung! Lebensziel: Mit 80 immer noch vorne mithüpfen.