Geschrieben von Montag, 18 Dezember 2006 16:53

Turbostaat & Dellwo - Hamburg / Rote Flora


Review


16.12.06 - Halbzeit an einem gemütlichen Wochenende. Weder das blöde Gehetze um Weihnachten, noch das schlechte Wetter trübten meine Laune wesentlich, als ich aus dem Haus ging, um eine der Bands zu sehen, die meiner Meinung nach die besten deutschen Texte vorzuweisen haben. Denn auf  die Gelegenheit dazu wartete ich nun auch schon sicher zwei Jahre. Mal war der Bassist krank, mal war ich nicht in der Stadt, und viel zu oft waren die Konzerte am anderen Ende der Republik. Dieses Mal sah alles gut aus, als ich nach kurzer Wartezeit als einer der ersten Besucher an der Kasse vorbei in die rustikalen Räumlichkeiten trabte. Stolze neunzig Minuten stand ich mir die Beine in den Bauch, redete mit flüchtigen Bekannten, schlürfte Getränke und wartete, während SLIME auf Zimmerlautstärke ihren Unmut gegenüber dem System äußerten.


 


DELLWO
waren mir kein Begriff, und erfreut über Abwechselung ging ich die Sache verhältnismäßig unvoreingenommen an. Die ersten drei, vier Stücke unterhielten vorzüglich und die seltsamen Texte über den internationalen Flughafen in Frankfurt am Main, die Kavallerie und ähnlich skurrile Zusammenhänge balancierten auf dem schmalen Grad zwischen Genie und Wahnsinn. Musikalisch hielten sie es so einfach wie möglich, in einer durchschnittlichen Geschwindigkeit und mit schon zigfachen gehörten Riffs. Leider kam daher sehr schnell eine unschöne Routine in den Auftritt, die selbst die noch so dummen oder intelligenten Texte nicht wett machen konnte, und eine lange Wartepause, da die Saite der Gitarre gerissen war, drückte nicht nur bei mir die Stimmung. Laut wurde der Ärger aber lediglich von einem betrunkenen Seemann kund getan, der, mit einer Bierflasche in der einen und einer Selbstgedrehten in der anderen Hand, fluchend den Saal verließ, als ihm das alles zu lange dauerte. Zwar setzten die drei jungen Herren ihr Schaffen bald wieder fort, aber da leider die Luft wie schon erwähnt nach den ersten paar Stücken raus war, machte ich mich auf den Weg, um an frischere zu kommen. Als ich wieder hereinkam, waren sie gerade fertig und hatten für diesen ausbaufähigen Akt wenig mehr als eine halbe Stunde gebraucht.

 

Als Entschädigung ging das Umbauen wenigstens angenehm schnell, und bereits nach den ersten Sekunden, in denen meine Kleidung zu "Die Stulle Nach Dem Schiss" flatterte, vergaß ich alle Unannehmlichkeiten. "Blau An Der Küste" schloss sich an, und wie aus dem Nichts kam eine gemütliche, melancholische und familiäre Atmosphäre auf, während sie mit "Schwan" und "Prima Wetter" begannen, die lange Liste meiner Wünsche abzuhaken.
Falls es jemand geschafft haben sollte, einen Bogen um das Phänomen TURBOSTAAT zu machen, dann sei das an dieser Stelle kurz angeschnitten. Die fünfköpfige Band zeichnet sich durch hervorragende, wenn auch stets schwierige Texte und die dazu passende, traurige und verträumte musikalische Untermalung aus, ohne jedoch dabei den rauen Charakter zu Gunsten der Massenkompatibilität über Bord zu werfen. Sie haben sich so in den letzten Jahren einen Haufen Bewunderer erspielt und sind dabei scheinbar nur wie ein Wunder der Aufmerksamkeit der Massenmusikmedien entkommen. In dem gut gefüllten größeren der beiden Räume waren auch die meisten Besucher erstaunlich textsicher und wohl nur im Einzelfall zufällig dort gelandet.
Eine Hand voll neuer Stücke, die ich noch nicht kannte, sorgte für Auflockerung und weckten wieder mein in letzter Zeit leicht verblasstes Interesse an den Flensburgern. Das immer noch etwas frische Stück "Haubentaucherwelpen" und das überragende "Drei Ecken, Ein Elvers" wischten jedes Zeitgefühl vom Tisch, und ein wenig neben mir genoss ich die damit verbundenen Erinnerungen. Ehe ich mich versah, kündigten sie mit "18,09 Uhr, Mist... Verlaufen" auch schon das reguläre Ende ihres Auftrittes an, obwohl es sich um mehr als eine Stunde gehandelt haben muss. "Warten Auf Flitzi" und "Captain Käse" gab es ohne langes Bitten noch als Zugabe, und mehr als nur zu zufrieden bahnte ich mir meinen Weg in die kühle Samstag-Nacht. 


Fazit: Ein Abend, den ich erst gegen Ende in vollen Zügen genießen konnte - dafür dann aber richtig. Traumhaft.