Geschrieben von Thorsten Mittwoch, 19 August 2009 00:00
Leonard Cohen – La Foire Aux Vins De Colmar, Expo Colmar
Vor einem Jahr hatte ich schon einmal die Gelegenheit, LEONARD COHEN live zu erleben. Da ich aber damals beim „Stimmen Festival" gearbeitet habe, konnte ich das Konzert nur hören aber nicht sehen. Und trotzdem beeindruckte mich der große hagere Mann, der im Backstagebereich jeden, von der Küchenhilfe bis zum Tourmanager, freundlich grüßte. Die „Live In London" DVD und CD beeindruckten mich weiter, und so war es keine schwere Entscheidung, als ich von COHENs Konzert auf der Weinmesse im 50km entfernten Colmar hörte.
16.08.09 - Wein findet man auf dem Außengelände der Messe allerdings kaum. Stattdessen hat man das Gefühl, dass hier sämtliche Clips auf dem Teleshopping zu Leben erwacht sind. Vom Messerset über Küchenmaschinen bis zu Lederjacken gibt es so ziemlich alles, was man nicht zwingend braucht.
Der Einlass in die Messehalle lässt da auch rund eine Stunde vor Konzertbeginn noch eine Weile auf sich warten. Die Zeit kann man sich mit diversen Fressbuden vertreiben, die mehr oder weniger echt französische Spezialitäten anbieten. Auf Hamburger im Baguette muss man erstmal kommen.
Die Expo Arena Colmar selbst ist zwar ein sehr praktisch durchdachter, aber vollkommen atmosphärefreier Veranstaltungsort, etwa in der Form einen Amphitheaters. Da alle Plätze von den Rängen bis zum Innenraum vollkommen überdacht sind, muss man sich auch über die herausgegebenen Unwetterwarnungen vorerst keine Sorgen machen. Da die Ränge schon weitgehend besetzt sind, fällt die Entscheidung für den Innenraum nicht schwer, und die erweist sich als goldrichtig. Knapp 10 Meter Luftlinie trennen mich von den Musikern, die sich pünktlich um 20:30 Uhr auf der mit wallenden weißen Tüchern behängten Bühne einfinden.
Als LEONARD COHEN die Bühne betritt, habe ich das erste Mal Gänsehaut, denn in der ganzen Arena sitzt jetzt niemand mehr. Auch COHEN selbst scheint gerührt, zieht, wie so oft noch an diesem Abend, den Hut und genießt die Aufmerksamkeit seines Publikums.
Dann steigt die Band mit „Dance Me To The End Of Love" ein. Die erste Strophe singt COHEN kniend neben seinem, übrigens genialen, Gitarristen Javier Mas und tänzelt dann zu seinen Backroundsängerinnen. So gut in Form möchte ich mit knapp 75 auch gerne sein, und an manchen Tagen auch heute schon.
Zunächst orientiert sich die Setlist weitgehend an dem Programm, das den meisten Zuschauern von der „Live In London" Aufnahme bekannt sein dürfte. Und wo ich vor einem Jahr beeindruckt war, bin ich jetzt absolut begeistert. Noch nie habe ich bei einem Konzert eine so dichte Melancholie erlebt, ohne dass LEONARD COHEN dabei auch nur für einen Moment ins Weinerliche abgleitet. Und wenn ich mich so umschaue, bin ich nicht der einzige, der immer wieder mit einem tennisballgroßen Klos im Hals zu kämpfen hat. Eigentlich haben alle um mich herum immer wieder Tränen in den Augen. Und doch gelingt es COHEN auch immer wieder, wenn die Melancholie das Publikum zu erdrücken droht, einen mit einem Tick schnelleren, ein wenig ironischeren oder ein bisschen wütendem Stück zu retten.
Und so ist es nach dem unglaublichen „There Ain't No Cure For Love" und dem tieftraurigen „Bird On A Wire" „Everybody Knows" das mich wiederbelebt (das erste von drei Stücken, die Backroundsängerin Sharon Robinson mitgeschrieben und produziert hat). Nebenbei ist dies auch das mit Abstand stärkste dieser drei Stücke. Das folgende „My Secret Life" ist zu seicht geraten, und das später im Set platzierte „Boogie Street" ist zwar als Sharons Song vertretbar, aber sicher kein Höhepunkt des Konzerts.
Nachdem man mit „Who By Fire" wieder auf die dunkle Seite abgerutscht ist, kommen mit „Lover Lover" und „Waiting For The Miracle" die ersten beiden Überraschungen in der Setlist. Und dann kommt mit „Anthem" einer meiner absoluten Lieblinge.
Bevor sich LEONARD COHEN mit seiner Band dann in eine etwa fünfzehnminütige Pause zurückzieht, werden alle Musiker vorgestellt. Dabei lässt COHEN jedem seiner Mitstreiter seinen Applaus und verneigt sich vor seinen Musikern, bevor er die Bühne schließlich verlässt.
Mittlerweile ist es im Innenraum sehr viel voller geworden, und da in der Expo Colmar Arnea die schwüle Luft schon seit Stunden steht, bin ich dankbar, als um mich alles zum Rauchen nach Draußen drängt. Außerdem noch eine willkommene Gelegenheit, ein paar Meter nach vorne gut zu machen.
Als zwei Roadies, die übrigens alle den für COHEN typischen Hut tragen, ein Keyboard in der Mitte der Bühne platzieren, weiß ich schon, dass ich mich gleich auf einen weiteren Favoriten freuen kann. Und richtig, mit „Tower Of Song" wird die zweite Hälfte des Sets eröffnet, und mit „Suzanne" und „Sisters Of Mercy" quasi eine Greatest Hits-Passage eingeläutet.
„Hey That's No Way To Say Good Bye", von den London-Kundigen eigentlich in der ersten Hälfte erwartet, setzt die Liste der Großtaten fort, und als Cohen bei „The Partisan" eine Strophe auf französisch singt, kocht die Arena endgültig über. Überhaupt lassen die applaudierenden Zuschauer COHEN heute Abend kaum zu Wort kommen, und so sind Ansagen äußerst rar.
„Boogie Street" ist schließlich der Song von Sharon Robinson, die nicht unwesentlich an LEONARD COHENS Rückkehr auf die Bühnen der Welt beteiligt gewesen sein dürfte. COHEN selbst zieht sich dabei in den Hintergrund zurück und steuert nun selbst Backround-Vocals bei. Bei allem Respekt vor dem Können von Frau Robinson, aber die Soul-Nummer ist einfach ein Fremdkörper im Set.
Dafür kommt im Anschluss der wohl größte Hit von COHEN und der vermutlich meistgecoverte. Als der Chorus von „Hallelujah" von geschätzten 8.000 Menschen mitgesungen wird, brauche ich doch eine Weile, um die Fassung wieder zu gewinnen. Konnte gerade dieser Song in der London-Version nicht mit der Studioaufnahme mithalten, stimmt heute einfach alles.
Es wird Zeit die Stimmung wieder etwas aufzulockern, und beim folgenden „I'm Your Man" sorgt ein Fan für die Lacher, der COHEN passend zum Text zuerst Boxhandschuhe („If you want a boxer...") und ein Stethoskop („If you want a doctor...") zuwirft, die LEONARD COHEN auch sofort anlegt bzw. über die Schulter wirft.
Schließlich schließt „Take This Walz" den zweiten Teil des Sets ab, und die Zuschauer feiern COHEN und seine Musiker. Dass sie wieder auf die Bühne kommen würden, ist klar, denn noch fehlen einige unsterbliche Hits.
Und so beginnt die Zugabe auch mit „So Long Marianne" und dem wohl tanzbarsten Stück des Abends „First We Take Manhatten", einem weiteren Liebling von mir. „Famous Blue Raincoat" ist die nächste „Überraschung" im Set. Die Rezitation eines Briefwechsels geht über in „If It Be Your Will", bei dem COHEN die erste Strophe spricht, bevor Charly und Hattie Webb, die „sublime Webb Sisters", den Song in einem herzzereissenden Duett - begleitet von einer Harfe (Charly) einer Gitarre (Hattie) und Neil Larsen an der göttlichen Hammond B3 - vollenden.
Jetzt geht es aufs Ende zu, das sagt schon der folgende Titel „Closing Time", der noch einmal die eher beschwingte Seite von LEONARD COHEN zeigt. Als er die Bühne verlässt, feiert ihn Colmar geschlossen mit stehenden Ovationen.
Und so lässt sich der große, alte Mann auch nochmals auf die Bühne locken, um mit dem in der Situation durchaus ironischen „I Tried To Leave You" endgültig zum Ende zu kommen. Doch erstmal dürfen die Bandmitglieder mit einem kleinen Solopart noch mal zeigen, was sie können, und sich vom Publikum mit Applaus belohnen lassen. Danach versammeln sich alle Musiker, Roadies und Teile der Crew zum a capella Stück „Wither Thou Goest" auf der Bühne und verabschieden sich jetzt wirklich von den Zuschauern auf der Colmar Expo.
Man sollte mit Superlativen vorsichtig sein, aber ich bin so weit, dieses Konzert als das beste meines bisherigen Lebens zu bezeichnen. Wie und wer das übertreffen soll, kann ich mir im Moment nicht vorstellen. Jeder Künstler wird es in den nächsten Monaten schwer haben.
Ohne Frage hat mich bisher kein anderes Konzert emotional so mitgenommen wie dieses. So schön traurig habe ich mich noch nie gefühlt, und selbst einen Tag später ist die Melancholie noch nicht verflogen.
Wer auch immer die Gelegenheit hat, LEONARD COHEN live zu sehen, sollte sie nutzen, so lange es noch geht. Irgendwann wird auch diese Legende ihr letztes Konzert geben.
So bleibt am Ende nur ein großes Fazit zu ziehen: Selbst wenn der Abend in Colmar aus irgendeinem Grund mein letztes Konzert gewesen sein sollte... irgendwie wäre das schon OK.
Leonard Cohen Unified Hearts Tour-Band:
Leonard Cohen: Gesang, Gitarre, Keyboard
Roscoe Beck: Musikalischer Direktor, E-Bass, Kontrabass, Gesang
Neil Larsen: Hammond B3, Keyboards, Akkordeon
Bob Metzger: E-Gitarre, Petal Steel Guitar, Gesang
Javier Mass: Banduirra, Laute, 12-Saitige Gitarre
Rafael Gayol: Schlagzeug, Percussion
Dino Soldo: Keyboard, Saxophon, Mundharmonika und diverse andere Blasinstrumente, Gesang
Sharon Robinson: Gesang, Percussion
Charly & Hattie Webb: Gesang, Harfe, Gitarre, Percussion
Setlist:
Dance Me To The End Of Love
The Future
Ain't No Cure For Love
Bird On A Wire
Everybody Knows
My Secret Life
Who By Fire
Lover Lover
Waiting For The Miracle
Anthem
Tower Of Song
Suzanne
Sisters Of Mercy
Hey, That's No Way To Say Good Bye
The Partisan
Boogie Street
Hallelujah
I'm Your Man
Take This Walz
So Long Marianne
First We Take Manhatten
Famous Blue Raincoat
If It Be Your Will
Closing Time
I Tried To Leave You
Wither Thou Goest
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