Geschrieben von Montag, 18 Dezember 2006 15:49

Taste Of Chaos Tour 2006 - Köln / E-Werk


Review


Link: http://www.tasteofchaos.com/
http://www.sensesfail.com/site0607/
http://www.saosin.com/
http://www.takingbacksunday.com/
http://www.anti-flag.com/microsite/news/index.php
http://www.fireintheattic.com/
http://www.underoath777.com/
08.11.06 - FIRE IN THE ATTIC, SAOSIN, SENSES FAIL, ANTI-FLAG, UNDEROATH und TAKING BACK SUNDAY. Also außer den Polit-Punks von ANTI-FLAG die volle Ladung Emo/Screamo. Das merkte man auch schon direkt am Publikum: Ich wette, ich habe da um die 5.000 Euro in Frisuren rumlaufen gesehen. Und auch Kajalstiftverkäufer hätten Tränen der Freude in den Augen gehabt. Aber das geneigte Klientel scheint nicht nur für Stylingprodukte in die Tasche zu greifen, denn die Preise der Shirts usw. waren für mein Empfinden doch ein wenig hoch, was mich grade bei ANTI-FLAG ein wenig wunderte. Aber vermutlich gibt es auf solchen Tourneen wie der TASTE OF CHAOS Einheitspreise, die für die Bands verpflichtend sind – schätze ich zumindest.
Neben den bereits erwähnten Bands traten in den Umbaupausen einige „Nachwuchsbands“ auf, die eben noch nicht so große Resonanz erzeugt haben, aber durchaus Qualität abliefern. Besonders in Erinnerung sind mir die Luxemburger von ETERNAL TANGO geblieben, die sowohl instrumental als auch stimmlich überzeugten. Der Sänger ließ mich an einen Claudio Sanchez von COHEED AND CAMBRIA denken und überzeugte sowohl beim Singen als auch beim Schreien. Aber was ein wenig schade war, war der mangelnde Bühnenplatz, der ihnen zur Verfügung stand. So standen sie nämlich jeweils immer am rechten Bühnenrand zwischen ihrem Equipment eingequetscht und hatten sowohl wesentlich schlechteren (und leiseren) Sound als auch keine großen Lichteffekte (die bei den „großen“ Bands schon ziemlich fett waren). Aber dafür können sie jetzt zumindest behaupten, sie haben mit einigen ganz Großen zusammen gespielt. Und auch wenn Bands wie MY FAVORITE CHORD gut in den Rahmen dieser Tour passten, stellt sich doch ein klein wenig die Frage, ob man in den Umbaupausen nicht doch eventuell ein wenig auf Ruhe hätte setzen können. So waren die Ohren einer mehrstündigen Dauerbeschallung ausgesetzt, die ohne jegliche Pausen verlief – das war schon heftig.
Aber den Anfang machten die Bonner FIRE IN THE ATTIC, die zwar schlechten Sound (wie fast alle Bands des Abends) aber dafür richtig Bock auf das Konzert zu haben schienen. So machten sie direkt klar, dass das heute kein Abend von Bands wird, die sich auf der Bühne ihre eigenen Schuhe betrachten. Vor allem der Basser stemmte sein Instrument immer wieder über seinen Kopf und wedelte damit, als wäre es eine Streitaxt. Songtechnisch bediente man sich beim neuen Album und streute vereinzelt ein paar alte Songs mit rein. Der Gesang war manchmal etwas schräpig, aber das sollte an diesem Abend noch wesentlich schlimmer der Fall werden… Insgesamt gesehen fand ich den Auftritt von FITA gut, weil sie direkt und ohne Umstöße Gas gegeben haben und auch trotz schlechtem Sound mit einigen guten Songs begeistern konnten. Nicht unbedingt die Band, für die ich nach Köln gefahren bin, aber ein schöner Opener.
Nach der Umbaupause und der darin spielenden Band kamen SAOSIN auf die Bühne. Leider habe ich von den Jungs aus Kalifornien bisher immer nur gelesen und noch nichts gehört. Und durch den schlechten Sound kann ich jetzt auch nur mutmaßen, dass sie relativ bekannten, aber guten Emo/Screamo machen. Der Sänger, der später von  TBS-Adam zum hübschesten Kerl der Tour erkoren wurde, schraubte seine Stimme in unglaubliche Höhen, und wir waren uns da auch nicht ganz 100%ig sicher, ob uns das so gefällt. Außerdem hat es mich gewundert, wie wenig sich der Sänger zu seiner Musik bewegt hat . – Rhythmisch genug war es durchaus, und die Gitarristen verfielen ja auch gerne in die HeavyMetal-Gedächtnis-Schaukel : also Beine breit und vor und zurück wippen.
Während der Sets hatten wir die Gelegenheit, dem Lichtmischer über die Schultern zu schauen. Meine Güte, ich hätte nicht gedacht, dass der Job so anstrengend ist. Der Typ ließ seine Finger über die Steuerelemente flitzen, als ob er selbst Teil der Band sei und ein Instrument vor sich hatte – so genau wurden z.B. bestimmte Lichte an den Takt der Snare angepasst. Cooler Job, wenn man die Songs gut kennt, schätze ich mal. Aber leider war, wie gesagt, der Sound dem Licht um einiges hinterher. Denn so richtig rübergekommen sind ihre Songs nicht für mich. Aber das lag wirklich am Sound und meiner Unkenntnis bezüglich ihres Materials. Ach ja – auch wenn ich es eigentlich albern und einstudiert finde, wenn Gitarristen ihre Gitarre im Flug tauschen oder sie sich im Takt um den Hals schwingen, war ich durchaus beeindruckt, als einer der SAOSIN-Saitenmänner seine Axt dreimal am Stück 360 Grad um seinen Körper kreisen ließ. Da hat aber jemand vor dem Spiegel heimlich geübt…
Mit SENSES FAIL kam für mich dann die Lachnummer des Abends auf die Bühne. Auch wenn ich ihr neues Album gar nicht so schlecht finde, kann ich mit der Stimme ihres Sängers nun mal absolut nichts anfangen. Und zum Leidwesen meines Kumpels, der sich ziemlich auf SF gefreut hatte, war die Live-Darbietung des Sängers einfach nur grausam. Ich habe selten einen Sänger gehört, der so viele Töne so sehr versaut hat. Meine Güte, das tat teilweise richtig weh, wie der sich da so durch alle Tonlagen auf einmal gefiept hat. Dazu kamen noch einige Bewegungsabläufe, die so dermaßen tuntig wirkten, dass sie selbst dem Ober-Metrosexuellem TBS-Sänger peinlich gewesen wären. Ich bin ja weit davon entfernt, homophob zu sein, aber dass sah einfach lächerlich aus, wenn er z.B. in die Hände klatscht, während er sein Mikro in die Luft wirft, um es dann wie bei einem HighFive abzuklatschen und dabei die Beine wie ein extremes X zusammenpresst. Ein wenig wie Bewegungstherapie in einer integrativen Kindergruppe. Der andere Gitarrist dagegen, der früher mal bei den Emopoppern von MIDTOWN war, hat einige Gesangspassagen mit vollem Erfolg und guter Stimme übernommen. Ich frag mich, warum man ihm diesen Job nicht einfach komplett überlässt, denn irgendwie war es schon fast schade, dass der Gig von der Unfähigkeit des Sängers so überdeckt wurde. Die Band selber war nämlich ziemlich gut. Vor allem einige gedoppelte Soli haben mir richtig Spaß gemacht. Und vor allem einige der neueren Songs, die mit einigen Metalcoreelementen bezüglich der Zusammenarbeit von Gitarre und Basedrum hervorstechen, haben sich live ziemlich gut gemacht. Aber da das Album grade erst draußen war, wurden vor allem die alten Hits vom Publikum abgefeiert. Halten wir also fest: gute Band – schlechter Sänger.
Mit UNDEROATH kam nun einer der Hauptgründe für meinen Konzertbesuch auf die Bretter. Und ich wurde auch nicht enttäuscht. Alleine optisch boten die Christen einiges: Einer der Gitarristen trug eine so kurz abgeschnittene Jeans, dass man ihn mit seinem Bart für einen Grizzly in Hotpants halten konnte. Und wie erwartet, hatte die Show auch große physische Qualitäten, da die Amis sich wieder einmal anschickten, die Bühne (beinahe) zu zertrümmern. Selbst dem Keyboarder hätte man am liebsten Pferdeberuhigungsmittel verschrieben. Auch sahen die Jungs gar nicht wirklich so aus wie die Hardcore-Posterboys, als die ich sie auf Fotos meist wahrnehme – nicht nur die Stimme vom Oberschreihals Spencer war dreckig. So ungewaschen und siffig werden sie vermutlich niemals in die Bravo kommen.
Das Set, welches natürlich viel Material vom neuen Album aufbot, wurde zum Glück zumindest von einigen Hits des Vorgängers durchzogen und wurde sozusagen von den beiden Übersongs „It's Dangerous Business Walking Out Your Front Door“ und „A Boy Brushed Red“ eingerahmt. Natürlich verließen sie auch nicht die Bühne, ohne nochmal darauf hinzuweisen, aus welchen Gründen sie als Band auftraten (nämlich aus religiösen). Aber auch als Atheist kann ich darüber hinwegsehen, da sie sich zwar überzeugt aber auch tolerant gaben. Selbst ANTI-FLAG Basser Chris Nr.2 (welcher vor allem für linkspolitische Parolen, nicht aber unbedingt für religiöse Gefühlsäußerungen bekannt ist) schien diesen Aspekt verdeutlichen zu wollen, als er im mitten im Set auf die Bühne rannte und einige Sekunden mit Spencer zusammen das Mikro übernahm und danach genauso schnell wieder von den Brettern eilte. Und dass man sie als Band ernst nehmen muss, haben sie durch einen sehr engagierten Auftritt bewiesen (bei dem sich der Sound langsam zu bessern schien), in dem sie selbst alles gaben und mir vor allem ein paar Songs vor die Füße spuckten, die mich beim Mitschreien beinahe der Heiserkeit preisgaben.
ANTI-FLAG versprachen soundtechnische Abwechslung vom Emo/Screamo-Motto des Abends. Leider schien das einen gewissen Teil des Publikums eher kalt zu lassen – obwohl Chris Nr.2 sogar haarfarbenmäßig relativ gut zum Publikum passte. Zumindest hatte man jetzt vorne ordentlichen Platz zum Tanzen und Pogen, was auch kräftig ausgenutzt wurde. Und da waren diejenigen, die entweder ihren Ohren eine Pause gönnen wollten oder mit Punk nichts anfangen konnten auch selber Schuld. Denn AF lieferten wie immer eine gute Show ab. Neben den typischen Parolen für Toleranz, Unity und (natürlich auch) gegen Bush hatten sie glücklicherweise auch das Set ein wenig geändert, seitdem ich sie die letzten beiden Male gesehen habe. Aber ein „Oho“ passt halt immer, und die Bassläufe machen mir jedes mal wieder Spaß. Auch wenn es andere Posen als die ihrer schreienden Kollegen waren, wussten AF ihre Energie auch auf der Bühne auszuleben und legten einen guten Gig hin, der mal wieder mit „Die For Your Government“ seinen Höhepunkt finden sollte. Aber auch mit den Songs des neuen Albums („z.B „The Press-Corpse“) versprühte die Band jede Menge gute Laune und wer wollte, durfte natürlich auch seine Hände zur Faust ballen und sie als politische Geste in die Luft strecken – aber das hatte man ja auch nicht anders erwartet. Und laut Ansage ist der Band die religiöse Orientierung ihres Publikums genauso unwichtig wie „die Fahne, die über euren Köpfen weht“ – Fat Mike von NoFX lässt sich da ja z.B. ganz anders drüber aus.
Nun sollten also TAKING BACK SUNDAY ihre Show eröffnen. Aber anstatt einer energischen Band im satten Scheinwerferlicht trat nur Sänger Adam mit einer Akustik-Klampfe und einer Mundharmonika in Bob Dylan-Tradition in einem Spotlight vor die Zuschauer. Der legte dann auch mit einem Song los, den ich zunächst überhaupt nicht einzuordnen wusste, der dann aber in den Akustik-Songs ihres aktuellen Albums „Louder Now“ mündete. Danach kam ein herzzerreißendes THE CURE-Cover, welches, glaube ich, als Hidden Track auf dem selben Album zu finden ist. Und ganz ehrlich: ich hätte nicht vermutet, dass Mr. Lazarra wirklich so gut singen kann. Klar war die Stimme ein klein wenig weinerlich und überschlug sich, aber er traf die Töne und legte so unheimlich viel Gefühl in seine Vocals, dass ich mit offenem Mund vor der Bühne stand. Der schick gekleidete Mann offenbarte auch riesige Entertainment-Qualitäten, da er sich selber und seine (angeblich) fehlenden Fertigkeiten auf der Gitarre sehr charmant kommentierte. Beim CURE-Cover erwähnte er vor dem Song, dass er ihn grade erst wirklich gelernt hätte und das Publikum bei Fehlern einfach so tun sollte, als hätte es sie nie gehört. Er wiederum wolle dann so tun, als hätte er sich nie verspielt. Danach brach er dann witziger Weise den Song nach einigen Takten ab, schielte zum Bühnenrand und rief jemandem zu, dass er sich ja doch noch an die Akkorde erinnere und spielte lachend weiter. Aber warum das Ganze?
Wie Adam weiter ausführte, musste Gitarrist und zweite Stimme Fred Mascherino leider überstürzt und aus familiären Gründen zurück in die Staaten fliegen. Und anstatt die Shows abzusagen, hätten sie sich nun entschlossen, es einfach zu probieren. Und das hatte es dann in sich. Denn auch wenn ich gut damit hätte leben können, wenn er einfach nur mit seiner Klampfe weiter gemacht hätte, kam nun der Höhepunkt des Abends für mich: Um die Gitarre und die zweite Stimme zu ersetzen, wurden in fliegendem Wechsel Musiker der anderen Bands auf die Bühne geholt - und zwar immer zu zweit. So sangen sowohl die beiden Vocalisten von UNDEROATH als auch der SAOSIN-Sänger mit, von denen auch der Gitarrist einige Stücke mitspielte. Fast nach jedem Song wurde eine der beiden Posten ausgewechselt (wer von welcher Band genau, erinnere ich nicht mehr komplett) – und Adam Lazarra führte wie ein Singer/Songwriter durch das Programm. Die neuen Halbtags-Mitmusiker bei TBS hatten dabei Songs von allen drei Alben der Band gelernt und machten sich großartig in ihrer „neuen“ Kapelle und fügten dem ein oder anderen Song sogar eine ganz kleine neue Note hinzu. Hier wurde also richtig was geboten, und an Sympathiewerten war die Show kaum noch zu überbieten. Einen weiteren Lacher verbuchte wieder mal Chris Nr.2 von ANTI-FLAG, als er auf die Bühne rannte und davon erzählte, der abgereiste Fred würde grade mit ihm sprechen, und er solle es an das Publikum weiterleiten. Er stürzte sich mit dem Mikroständer in Pose und schrie mit einer krächzigen, Fred-mäßigen Stimme so etwas wie „Are You Feeling Fucking Allright?“ und verließ dann unter dem Gejohle des Publikums die Bühne. Bis zum Schluss des Abends feierten TBS mit ihren Kollegen ihre eigenen Hits und machten die aktuellen Songs wie „What's it feel like to be a ghost?“, „Make damn sure“ und „Liar (it takes one to know one)“ (welcher mir live wesentlich schneller vorkam als auf Platte) spontan zu neuen Hits. Alleine schon durch die ständig wechselnden Gäste, die ihren Job alle sehr gut gemacht haben, und den Mitsingen-und-Mitleiden-Hits, war der Gig schon klasse. Aber durch die gute Stimmung und die Entertainer-Qualitäten von Adam wurde daraus ein wirklich bewegendes Konzert.
Kai