Dream Theater - s/t Tipp

Dream Theater - s/t
    Progressive Metal

    Label: Roadrunner Records
    VÖ: 20.09.2013
    Bewertung:9/10

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Das programmatisch betitelte “A Dramatic Turn Of Events” war das erste DREAM THEATER Album ohne Ideengeber und Drum-Maschine Mike Portnoy. Im Rückblick sind an einigen Stellen leichte Unsicherheiten zu bemerken, alles in allem war das elfte Album der Bandgeschichte jedoch ein sehr gelungener Befreiungsschlag – allerdings ohne Input von Neu-Drummer Mike Mangini, da vor seinem Einstieg bereits sämtliche Songs komponiert waren. Wie bemerkbar sich der Einfluss des gar nicht mehr so neuen Schlagwerkers auf dem ganz bewusst selbstbetitelten neuen Album der Progressive-Großmeister macht, erfahrt ihr in diesem Review.

Beim ersten Durchhören von “Dream Theater” war ich leicht enttäuscht, das muss ich ganz ehrlich zugeben. Irgendetwas fehlte, weshalb sich zum ersten Mal seit langem nicht direkt ein wohliges “Wow!”-Gefühl einstellen wollte. Jetzt, einige Durchläufe später, schiebe ich es auf die mangelnde Konzentration während des Hörens, denn eines ist sicher: Eine Enttäuschung ist dieses Album nicht! Wenn man will, kann man durchaus ein paar Dinge kritisieren: Die Melodien etwa, die einem so oder so ähnlich doch das ein oder andere Mal bekannt vorkommen, vor allem im Intro, das sich etwas zu sehr an "Six Degrees Of Inner Turbulence" orientiert. Die Synthie-Streicher, die ein bisschen billig wirken. Die simplen Texte, für die zu einem Großteil immer noch John Petrucci verantwortlich zeichnet. Oder die Produktion, die recht klinisch und komprimiert erscheint. Aber im Grunde sind das mehr oder weniger Peanuts, denn in der Hauptsache geht es um die Songs. Und die sind auf “Dream Theater” wieder einmal ganz, ganz große Klasse.

Was schnell auffällt: Im Gegensatz zum Vorgänger enthält das zwöfte Studioalbum des Quintetts keine reinrassige Ballade. Ruhige Stellen und Pausen zum Durchatmen wurden vielmehr in die vielschichtigen Songs eingebettet. Schubladendenken ist bei den Kompositionen fehl am Platze, DREAM THEATER pflegen die kompromisslose und gut durchdachte Verzahnung all ihrer Trademarks innerhalb einzelner Songs. Ein vorzügliches Beispiel für Variabilität ist “The Bigger Picture”, das neben seinem einschmeichelnden Chorus wunderschöne Instrumentalpassagen enthält und nach 5½ Minuten in einer U2-artigen Wohfühl-Passage mit Gänsehaut-Abschluss mündet. Auch “The Looking Glass” setzt nicht vorrangig auf aberwitzige Instrumentalpassagen, sondern verbindet progressiven Metal auf perfekte Art und Weise mit fabelhafter Melodieführung und Eingängigkeit. Solch eine Nummer könnte ohne Probleme auch auf “Images & Words” stehen.

Im krassen Gegensatz dazu steht die erste Single “The Enemy Inside”, die mit einem vertrackten Rhythmus und extrem fetten Gitarren alle Fans der harten Spielart zufrieden stellt. Das Instrumental “The Enigma Machine”, in dem alle Musiker in der ersten Hälfte abartig vom Leder ziehen, zeigt durch eine ruhige Passage mit gefühlvollem Gitarrensolo beispielhaft, wie der DREAM THEATER-typische Wahnsinn sich hervorragend mit eingängigen Momenten ergänzt.
Das knapp siebenminütige, vielschichtige “Beyond The Veil” ist ein Ohrwurm par excellence, der hervorragend mit dem nachfolgenden “Surrender To Reason” (inkusive “Falling To Infinity”-Reminiszenzen durch Akustikgitarren) harmoniert. So manche Stelle erinnert vom Feeling her an “Images & Words”, auch “Six Degrees Of Inner Turbulence” scheint ab und an durch.

Generell scheint sich der Einstieg Manginis und auch sein Einfluss im Songwriting darin bemerkbar zu machen, dass oft eine positive Grundstimmung herrscht, die durch melancholische Momente ergänzt wird. Es ist total doof und abgelutscht, so etwas zu schreiben, doch die Gitarrenharmonien in “Surrender To Reason” und anderen Songs sind einfach nur schön! Auf dem selbstbetitelten Output gibt es keine gezwungen harten Bretter, sondern eine Harmonie, die musikalisch kaum besser hätte verpackt werden können. Die Leichtigkeit und Ungezwungenheit ist in jedem Song zu spüren. Und das nicht nur in den abwechslungsreichen Songs, die praktisch jede Phase der Bandgeschichte widerspiegeln, sondern auch in den Instrumentalleistungen jedes Musikers und den Vocals von James LaBrie. Den Schlusspunkt setzt die 22-minütige “Illumination Theory”, die mit einer mehrminütigen rein orchestralen Passage glänzt und noch mal all das zusammenfasst, wofür DREAM THEATER seit Jahren stehen.

DREAM THEATER sind eine der Bands, die den Abgang eines Gründungsmitglieds und Haupt-Songwriters kompensieren konnten. Während Mike Portnoy sich in immer mehr Projekte verirrt, bringt Mangini nach wie vor ein neues Selbstbewusstsein in die Band, das man im stets gelungenen Songwriting wirklich hören kann. Damit ist “Dream Theater” sogar noch einen Tick besser als “A Dramatic Turn Of Events”.