Vor einigen Jahren erschienen mir einige Texte noch kryptisch und sinnlos, doch wenn man die Denk- und Ausdrucksweise der Flensburger bezüglich des sozialen Wandels verstanden hat, dann erklärt sich vieles selbst. Hauptsongschreiber Marten hat also mal wieder alles richtig gemacht. Genauso wie Tobert, angeblich „Initiator der seltsamen Songtitel", der diesmal besonders kreativ vorgegangen zu sein scheint. Mit „Alles Bleibt Konfus" und "Tut Es Doch Weh" gibt es diesmal auch Übereinstimmung zwischen Refrain und Titel, doch was soll man sich unter „Phobos Grunt" vorstellen? Gar nichts wahrscheinlich und deshalb stört mich das auch nicht.
Das wavige „Phobos Grunt" oder die basslastige, schunkelnde Piratenhymne „Pestperle" (was für ein grandioser Text!) sind gute Beispiele dafür, dass TURBOSTAAT wie immer auch tanzbar klingen, ohne den Post Punk Touch und den warnenden Hintergrund zu verlieren. Mit dem rasant schwirrenden „Psychoreal" unternehmen die TURBOSTAATLER schon fast eine kleine Zeitreise zum Album „Flamingo". Genau in diesen Momenten gefällt mir die Band am besten, mit diesen kleinen Liedern, die immer einen Tick zu kurz sind, immer wieder gehört werden wollen und mehrere prägnante Textzeilen enthalten, die sich dauerhaft in dein Hirn pflanzen und in gewissen Situationen plötzlich auftauchen. Nachhaltigkeit und Ergriffenheit sind zwei Attribute, die praktisch jeden TURBOSTAAT Song auszeichnen und „Stadt Der Angst" macht da keine Ausnahme.
Während bei „Täufers Modell" der arme Leo daran glauben musste, wird auf der aktuellen Platte in „Willenshalt" ein Rainer ("Rainer, warum tut das so weh? Rainer, warum hört das nie auf?") nach dem Sinn gefragt. "Willenshalt" ist musikalisch einer der lockeren Momente, wenn auch einfach gestrickt. Jan kommt mir gesanglich kerniger vor und besonders das überraschende und energetische „Scheiße" in „Snervt" hat mich beeindruckt (manchmal kann man nicht viel mehr sagen, als „es ist Scheiße!"), ebenso wie der schaurige, warnende Sprechgesang beim düstersten Song der Platte „Sohnemann Zwei".
Für mich klang der TURBOSTAAT Sänger nie besser und reifer als auf „Stadt Der Angst". Viele, die TURBOSTAAT mal kurz oder noch besser nebenbei hören, nehmen ihn gerne mal als nervigen Klagesänger wahr. Wer dann mal ähnliche Truppen hört, wird schnell merken, dass TURBOSTAAT gerade über den sehr ergreifenden und hochgradig differenzierten Gesang so packend sind. Was bei „Das Island Manöver" noch kurioser und experimenteller klang, klingt jetzt aufgeräumter, einheitlicher und im Verhältnis deutlich beschwingter. Beides hat seinen Reiz und als Basis gibt es immer die TURBOSTAAT Trademarks.
TURBOSTAAT sind konkreter geworden, angefangen beim Albumtitel und weiterführend über die gesamte Platte, lassen aber weiterhin Spielraum für Interpretation. Während ich beim „Island Manöver" (auch heute noch) teilweise einen dicken Kloß im Hals habe, da die Platte düsterer und beklemmender ausgerichtet ist, läuft „Stadt Der Angst" etwas fließender und offener. Für mich sind die Nordmänner noch immer die angenehmsten, behutsamsten und zuverlässigsten Transporteure von schwermütigem deutschem Punk und eine der Truppen, die schon lange sehr viel (wenn nicht sogar alles) richtig machen.
Fans der Band können blind zugreifen, Fans des Genres auch und alle anderen sollten mal reinschnuppern. Auf Amazon gibt es eine tolle Version mit 32 Seiten Booklet, gleich drei Bonustracks und einem schicken Shirt, das es weder im Webshop der Band noch sonst irgendwo zu kaufen geben wird.
Hört sich geil an? Ist es auch! TURBOSTAAT Sta(d)tt der Angst ...
Treffsicher gehen TURBOSTAAT mittlerweile schon seit 14 Jahren (!) mit der deutschen Sprache schmalzfrei um und führen die Spitze meines Deutsch Punk Kosmos ganz still und leise an. Mit dem neuesten Werk „Stadt Der Angst" setzen TURBOSTAAT ein weiteres deutliches Ausrufezeichen gegen 08/15 Texte, gegen die Verwaisung der Gesellschaft und für das Miteinander und die Achtsamkeit. TURBOSTAAT treten nicht Eier, sie treffen mitten ins Herz!