Selig - Und Endlich Unendlich


selig_album_cover

Stil (Spielzeit): Rock (55:13)
Label / Vertrieb (VÖ): Vertigo / Universal (20.03.09)
Bewertung: 8 / 10

Links: www.selig.eu, www.myspace.com/seligmusik


Die Neunziger: Unendliche Weiten. Wir schreiben die Ära des Grunge. Dies sind die Lieder der Gruppe SELIG, die mit ihrer fünf Mann starken Besatzung je nach Betrachtungsweise vier bis acht Jahre lang unterwegs ist, um neue Rock-Klänge zu erforschen, neue Blues-Variationen und neue deutschsprachige Texte. Viele Lichtjahre von anderen Bands entfernt dringen SELIG in Chart-Höhen vor, die kaum eine Rockband zuvor gesehen hat.


Wie gesagt: Das war in den Neunzigern. Letztes Jahrhundert.

Aber nicht nur Star Trek wird wiederbelebt, sondern auch SELIG. Die waren damals zwar nicht ganz so groß, wie es die pathetische Einleitung nahe legt, aber mit ihrer energievollen Kombination aus Siebziger-Jahre-Rock, Grunge und deutschsprachigen Texten hierzulande einzigartig und einflussreich.
Nach drei Alben voller Stilvariationen und dem Soundtrack zu „Knockin' On Heaven's Door" trennte man sich genervt. Jeder ging seines im musikalischen Bereich unauffälligen und eher wenig erfolgreichen Weges. Das ist der Teil, der in Bandbiografien häufig nur ganz kurz - wenn überhaupt - abgehandelt wird, weil er nicht zum Mythos passt und einen schalen Nachgeschmack hinterlässt. Eigentlich hat sich die Sache dann erledigt. Man versucht zwischen bürgerlichem Leben und Rockstar-Attitüde klarzukommen.
Ende 2007, also fast zehn Jahre nach der Trennung, fragten sich der oft als „sensibel" bezeichnete Sänger und Texter Jan Plewka und Schlagzeuger Stephan „Stoppel" Eggert, was denn die anderen Bandmitglieder machen würden. Kontakte wurden wiederhergestellt und alte Konflikte monatelang aufgearbeitet, bis dann ganz praktisch im Proberaum getestet wurde, ob man in Originalbesetzung wieder miteinander konnte.
Gitarrist Neander kommentiert diesen Moment so: „Das war extrem. Alle guckten irgendwie so, als wären sie unter Drogen oder so, weil da auch so viele Erinnerungen hochkamen, aber auch die Freude und die Energie, wieder zusammen zu spielen." Jan Plewka meint: „Und auch der Sound! Jetzt weiß ich im Ernst erst, warum die Leute damals auch so ausgeflippt sind."

„Und Endlich Unendlich" knüpft an die ersten beiden Alben an und ist somit ein echtes Rock-Album ohne die Experimente des dritten Albums. Tolle Blues-lastige Gitarrenarbeit von Christian Neander und interessant zu interpretierende und mit - kein Widerspruch! - rockig-zerbrechlicher Stimme vorgetragene Texte von Jan Plewka bilden die beiden Teilschwerpunkte. Ersterer Herr lebt seine Bewunderung für John Frusciante (RED HOT CHILI PEPPERS) und alten Rock aus, letzterer schrieb Texte, die zwischen nachdenklichen Rückblicken und optimistischen Ausblicken flattern.
Im Verlauf des Albums wechseln sich viele ruhige, aber auf subtile Weise spannende, meist im Blues-Rock verwurzelte Stücke mit wenigen schnellen, teilweise poppigen Stücken ab. Die Songs sind fast immer geradlinig, ja fast simpel. Die Zeiten der Experimente des dritten Albums „Blender", welche von den Bandmitgliedern rückblickend ohnehin als Zeichen der herannahenden Auflösung gesehen werden, sind offenbar weitgehend vorbei. Dank Keyboarder Malte Neumann muss aber nicht auf üppigen Sound verzichtet werden. Mit Streicher- Piano und vor allem Hammond-Orgel-Klängen motzt er die Songs auf. Die wunderbare und herrlich nostalgische Bridge samt Gitarrensolo im Opener „Auf dem Weg zur Ruhe" ist ein Beispiel dafür. Wer genau hinhört, wird im Songwriting einige sehr schöne Feinheiten entdecken, zum Beispiel eine kurze von Dub inspirierte Stelle in der sonst straight durchgezogenen Rock-Nummer "Die alten Zeiten zurück".
Mit der ersten Single „Schau schau" ist die tanzbarste Nummer bekannt und lässt bereits erahnen, dass das Album trotz des schweren Grooves und nachdenklicher Momente insgesamt sanfter und lockerer als das alte Zeug ist. Balladen wie „Ich bin so gefährdet" und „Der schönste aller Wege" dominieren und hinterlassen den Eindruck, dass SELIG zahm geworden sind.

Aber soll man SELIG wieder mehr Wut wünschen? Jein. Ich gönne ihnen ihren persönlichen Frieden. Und der Musikszene tun sie schon jetzt gut, weil sie zeigen, dass deutschsprachiger Rock eben doch anders klingen kann, als man es seit Jahren gewohnt ist.
Mit „Und Endlich Unendlich" ist SELIG ein bemerkenswertes, phasenweise wirklich faszinierendes, aber insgesamt keineswegs alles überstrahlendes, da etwas zu oft lahmes Comeback geglückt. Für den großen Wurf war das Thema „Versöhnung", das in vielen Songs dieser Platte als Grundidee dient, eh noch nie gut. Vielleicht riskieren SELIG (falls sie sich nicht wieder zerstreiten) nach diesem guten Selbsttherapie-Album bei der nächsten Platte mehr und gehen wieder etwas mehr in Richtung dreckiger Rock, denn dann erst ist die Sache wieder richtig rund.