Transatlantic - The Whirld Tour (Doppel-DVD) Tipp



Stil (Spielzeit): meisterlicher Progressive Rock (ca. 5 ½ Stunden)
Label/Vertrieb (VÖ): InsideOut/EMI (05.11.10)
Bewertung: 10/10
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Es grenzte fast an ein Wunder, als die Progrock-Supergroup TRANSATLANTIC vor einem Jahr "The Whirlwind" veröffentlichte. Als schließlich auch noch eine Tour angekündigt wurde, hätten sowohl Fans als auch Gelegenheitshörer glücklich sterben können. "The Whirld Tour", die dritte DVD-/CD-Kombo nach der dritten Tour (!), dokumentiert um einige Extras erweitert den Auftritt im Londonder Shepherds Bush Empire und zeigt, wie nichts weniger als eine perfekte Musik-DVD aussieht.

Wie soll man ein Erlebnis beschreiben, für das es keine Superlative gibt? Auf welche Art kann man ein magisches Happening erklären, bei dem man das Gefühl hat, die Musiker würden es in erster Linie für sich selbst machen? Wie kann man dem Ottonormal-Musikhörer begreiflich machen, dass "The Whirld Tour" trotz eines kleinen, aber wunderschönen Venues ohne spektakuläre Pyros oder Effekte eine der besten Musik-DVDs der letzten Jahre ist? Die Erklärung ist so simpel wie alternativlos: Man muss es gesehen und gehört haben.

Über die musikalischen Qualitäten von TRANSATLANTIC muss man eigentlich kein Wort verlieren, nicht umsonst haben wir es bei dem um Daniel Gildenlöw (PAIN OF SALVATION) verstärkten Quartett mit den besten Musikern ihres Fachs zu tun. Was während des dreieinhalbstündigen Mammutgigs in London passiert, bringt den Zuschauer schlicht in andere Sphären. Es braucht nicht mehr als eine kleine Bühne mit den sympathischsten Musikern, die man sich vorstellen kann, einer unbändigen Freude am Spielen, einer Handvoll legendärer Songs und ein starkes Publikum, um einen den ganzen Abend lang permanent mit Glückshormonen zu versorgen.

Neal Morse, Mike Portnoy, Roine Stolt, Pete Trewavas und Daniel Gildenlöw sind bereits nach zwei Songs mit einer Spielzeit von insgesamt knapp zwei Stunden dort, wo andere Truppen schon die Bühne verlassen. Mit dem kompletten "The Whirlwind"-Album, "All Of The Above", "Duel With The Devil" (nach wie vor mein liebstes Epos) und "Stranger In Your Soul" spielen TRANSATLANTIC die wichtigsten Longtracks der bisherigen Alben. Wenn Fans sich vor Verzückung bereits das ganze T-Shirt vollgesabbert haben, sollten sie den Mund schließen, denn "Bridge Across Forever" und eine ultimative Version der Jahrhundert-Ballade "We All Need Some Light" stehen ebenfalls auf dem Programm. Während der melancholische Titelsong des zweiten Albums eine Dauergänsehaut verursacht, die mir auch jetzt noch den Rücken runter läuft, kann man bei dem von Roine Stolt fantastisch gesungenen "We All Need Some Light" nicht anders, als bereits nach dem virtuosen Gitarrenduett und den ersten Pianoklängen in Tränen auszubrechen. Wenn zum ersten Mal der Refrain angestimmt wird, fühlt man sich, als könne es auf dieser Welt nichts Schöneres und Größeres geben.

Das Geschehen auf der Bühne ist bestimmt von Spaß und schier ausufernder Spielfreude. Pete Trewavas und Roine Stolt gehen völlig an ihren Instrumenten auf, Mike Portnoy scheint stellenweise ein wenig unterfordert, interagiert aber ständig mit dem Publikum, Neal Morse ist ohne jeden Zweifel einer der besten Musiker dieser Welt und mit einer unglaublich gefühlvollen und variablen Stimme ausgezeichnet, und Daniel Gildenlöw ist anzusehen, was es für ihn bedeutet, mit diesen Persönlichkeiten auf einer Bühne stehen zu dürfen. Wenn Portnoy und Morse ihre Späßchen miteinander treiben oder Gildenlöw sich völlig entrückt in einen wahren Rausch spielt, scheint das Publikum völlig ausgeblendet zu werden. TRANSATLANTIC würden nicht diese Magie entfachen, wenn sie nicht ständig auf der Bühne Blickkontakt hätten und für sich selbst spielen würden. Gleichzeitig gibt es zahlreiche Mitsingparts für ein lautes Londoner Publikum, einen crowdsurfenden Mike Portnoy, einen kleines Drumduell und zahlreiche Details, die dem Zuschauer immer vor Augen halten, dass hier sowohl für die Musiker als auch die Gäste gespielt wird.

Nach dreieinhalb Stunden purer Prog Rock-Zauberei, einer entspannten, interessanten und aufschlussreichen Interviewrunde und einem  abendfüllenden Behind the Scenes-/Doku-Special mit einer Länge von zwei Stunden denkt man eigenlich, alles gesehen zu haben, doch dann wartet da noch ein superbes Cover des GENESIS-Klassikers "The Return Of Giant Hogwead" (vom High Voltage Festival 2009) mit Gastauftritt von Steve Hackett auf einen, die einen um das letzte Quäntchen Verstand bringt.

Technisch ist "The Whirld Tour" übrigens ebenfalls über alle Zweifel erhaben: Der Ton ist warm, differenziert und absolut live, das Bild scharf und deutlich, wenn auch kein HD-High End-Produkt. Wie es sich für eine solche Band gehört, kann man den Musikern oft lange auf die Finger schauen. Der Schnitt passt sich den Songs an: Wird es mal hektisch und härter, werden schnellere Cuts bevorzugt, bei ruhigen Passagen ist auch der Schnitt sehr gemäßigt.

Neben der Doppel-DVD und der Dreifach-CD ist übrigens auch ein Boxet mit der Audio- und Videovollbedienung erhältlich. Für Progfanatiker stellt dieses Package nichts anderes als das Nonplusultra dar, während man etwas allgemeiner von nichts anderem als einer wahrlich perfekten Musik-DVD mit Vorzeigecharakter sprechen muss.