Wäre Axl Rose eine Stadt, wäre er Las Vegas: mit glitzernder Fassade und zu hundert Prozent Fake. Logisch also, dass er für den ersten offiziellen GUNS N‘ ROSES-Konzertfilm seit 1992 eben dort einen Auftritt seiner Band hat filmen lassen. Das Ergebnis kann sich sehen lassen – aber nur für jene, die ihre Augen vor der Vergangenheit verschließen können.
Ich kann das nicht. Die echten GUNS N‘ ROSES haben für mich nach den beiden „Use Your Illusion“-Alben aufgehört zu existieren, die megalomane Axl-Show von heute hat damit nichts mehr zu tun. Statt der Dreifaltigkeit aus Sex, Drogen und explosivem Rock bringen diese GUNS N‘ ROSES nur noch eine fette, durchchoreographierte Las Vegas-Show auf die Bühne, Konfetti und schwebendes Piano inklusive. Einst wollten GUNS N‘ ROSES die gefährlichste Band sein, und man hat es ihnen geglaubt. Sie ist zu einer professionellen Coverband geworden. Schönen Dank auch, Axl.
Für „Appetite For Democracy“ gibt sich Mr. Rose nicht mit zwei Dimensionen zufrieden. Die DVD kommt für jene, die das passende Equipment haben, in 3D. Bei meiner 2D-Version stimmen zwar Bild und Ton nicht immer überein, Sound- und Bildqualität sind aber exzellent. Beim Bonusmaterial wurde gespart, nur vier Interviews mit vier der mittlerweile acht Bandmitglieder, keines davon Axl. Dafür ist die Setlist ein Knaller. Im Verlauf der über zweieinhalb Stunden bleibt kein Wunsch unerfüllt, neben allen Klassikern kommt viel Material vom noch immer aktuellen Album „Chinese Democracy“ (was zu einer recht öden Durststrecken in der ersten Hälfte führt). Zwischengestreut gibt es Überraschungen wie „Civil War“, „Rocket Queen“ und „Used To Love Her“, Solostücke einiger Bandmitglieder und ein paar Coversongs. Neben bereits bekannten Sachen wie „Live And Let Die“ und natürlich „Knockin‘ On Heaven’s Door“ gibt’s auch was von PINK FLOYD (schwach) und THE WHO (stark).
Aber: Wenn ich sehe, wie Ron Thal alias Bumblefoot kläglich daran scheitert, Slashs Feeling in den Gitarrenleads von „Estranged“ zu kopieren, zu „Welcome To The Jungle“ Stripperinnen mit den Ärschen wackeln oder sich Drittgitarrist Richard Fortus als Möchtegern-Izzy zum Affen macht, könnte ich kotzen. Noch schlimmer allerdings ist der aufgedunsene, hüftsteife Axl-Imitator im Zentrum des Geschehens, der mit unterm Strich höchstens mittelmäßiger Leistung (mal wieder) seine eigene Legende demontiert. Axls Gesang unterlag schon immer unberechenbaren Schwankungen, aber zu sehen, wie er träge seine eigenen Moves kopiert, während er stimmlich zum Teil gnadenlos abkackt, treibt mir wirklich Pipi in die Augen. Ausgerechnet „Sweet Child O‘ Mine“ und „Estranged“ richtet Axl zugrunde – ich bin sicher, dass nicht wenige der Fortysomethings, die das Konzert durch ihre Handydisplays verfolgen, das besser hinbekommen hätten.
Wer kein tödlich beleidigter Alt-Fan ist wie ich, darf der Wertung gute drei Punkte hinzufügen. Falls es wirklich Leute gibt, die die Band erst mit "Chinese Democracy" für sich entdeckt haben, können sie ihren Freunden einen Glenfiddich eingießen und eine unterhaltsam bombastische Rockshow genießen, an der außer den bereits erwähnten Punkten nichts auszusetzen ist. Nur von GUNS N‘ ROSES ist dabei nichts zu spüren.
„Appetite For Democracy“ gibt es in folgenden Versionen:
Blu-Ray (Film in 3D und 2D, 3D-Fotogalerie)
Standard-DVD (2D)
Deluxe 2CD plus Blu-Ray
Deluxe 2CD plus DVD
Setlist:
Chinese Democracy
Welcome To The Jungle
It’s So Easy
Mr. Brownstone
Estranged
Rocket Queen
Live And Let Die
This I Love
Better
Motivation
Catcher In The Rye
Street Of Dreams
You Could Be Mine
Sweet Child O’ Mine
Another Brick In The Wall Part 2
November Rain
Objectify
Don’t Cry
Civil War
The Seeker
Knockin’ On Heaven’s Door
Nightrain
Used To Love Her
Patience
Paradise City
Helge
Stile: Doom Metal, Black Metal, Post Rock, Stoner, Prog
Bands: My Dying Bride, Opeth, Nachtmystium, Saint Vitus, Genesis