Gänsehaut-Tänzchen mit den Geistern der Vergangenheit
Genau 45 Jahre zuvor nahm er an diesem Ort mit PINK FLOYD den Konzertfilm "Live At Pompeji" auf. Damals war Syd Barrett zwar schon kein Teil der Band mehr, doch quicklebendig. Ebenso Rick Wright. An die zur Zeit der Römer sehr lebendige Kulisse wie seine verstorbenen Bandkollegen erinnert der Gitarrist und Sänger gleichermaßen, wenn er von den Geistern der Vergangenheit spricht. Die sorgen während der überragenden Performances des extrem selten gespielten "The Great Gig In The Sky", der unterschätzten, Wright gewidmeten Pianoballade "A Boat Lies Waiting" (von "Rattle That Lock") und des wundervollen Seelenstreichlers "Wish You Were Here" für eine dicke Gänsehaut.
Im Grunde ist sie schon da, als das Konzert in der Dämmerung mit den ersten schwebenden Tönen des instrumentalen "5 A.M." beginnt. Und sie weicht nicht vom Körper, bis das Set mit dem überragenden "Comfortably Numb" endet, in dem Chuck Leavell in die riesengroßen Fußstapfen Wrights tritt, und sie am Keyboard und den Vocals ausfüllt.
DAVID GILMOUR und seine Ausnahme-Band
Überhaupt, diese Band: Was hat Gilmour denn da bitte für großartige Musiker um sich geschart? Neben Leavell (THE ROLLING STONES) haut Greg Phillinganes (ex-TOTO) in die Tasten und singt bei "Time", die zweite Gitarre bedient Chester Kamen, um Bass und Gilmours gesanglichen Gegenpart in "Run Like Hell" kümmert sich Guy Pratt, und hinter der Schießbude sitzt mit Steve DiStanislao ein weiteres Ausnahmetalent. Komplettiert wird die Mannschaft von João Mello, der für Saxophon und weitere (Blas-)Instrumente zuständig ist, sowie Bryan Chambers, Lucita Jules und Louise Clare Marshall als Background-Sänger/innen, die insbesondere in "The Great Gig In The Sky" glänzen.
Gilmour selbst spielt sich mit traumwandlerischer Sicherheit und purem Genuss durch seine Songs. Für sein überragendes Gitarrenspiel, seine gefühlvollen Leads gibt es keine Worte. Hört euch nur mal sein Solo in "Comfortably Numb an"! Die Vocals sind klar, deutlich und einfach wunderbar. Man bedenke: Der Mann ist mittlerweile 71 Jahre alt. Und er hat richtig Spaß auf der Bühne. Der Rest übrigens auch: Zeigt die Kamera ein Gesicht aus der Nähe, ist es entweder hingebungsvoll konzentriert oder losgelöst lächelnd. Wer diese brillanten Musiker live erleben darf, kann glücklich sterben.
Glänzend gemischte Setlist aus DAVID GILMOUR- und PINK FLOYD-Songs
Die Setlist besteht erwartungsgemäß aus GILMOUR-Solotracks, die auf der Bühne deutlich lebendiger wirken als in den Studio-Versionen, und FLOYD-Großtaten. So stehen "Rattle That Lock", "On An Island", "Faces Of Stone" oder "In Any Tongue" friedlich und gleichberechtigt neben "What Do You Want From Me", "High Hopes" und "Fat Old Sun".
Die Darbietungen der DAVID GILMOUR- und PINK FLOYD-Nummern sind inbrünstig, leidenschaftlich, fesselnd. Das treibende Instrumental "One Of These Days" schlägt die Brücke zum Auftritt ohne Publikum 45 Jahre zuvor, "Shine On You Crazy Diamond" klingt so intensiv und beseelt wie lange nicht mehr, die Gitarren in "Sorrow" sind ungeheuer brachial. Das fantastische "Time" mit seinem Wahnsinns-Solo wird um einen Reprise von "Breathe (In The Air)" ergänzt.
Dass je nach Gusto einige essentielle Klassiker oder Songs der ersten beiden Solo-Alben fehlen, ist bei der musikalischen Genialität, welche die enthaltenen Nummern versprühen, sehr gerne zu verschmerzen.
Atemberaubende Kulisse, fantastische Lightshow
Die Kulisse ist einmalig. Inmitten des Amphitheaters stehen die Fans, die Ränge sind leer. Über das ganze Rund sind Scheinwerfer und Spots verteilt. Sie hüllen die atemberaubende Spielstätte im Schatten des Vesuv in eine intensive Lightshow, die im ersten, ruhigeren Part des Konzertes stimmungsvoll dezent ausfällt. Im zweiten Teil wird sie mit Feuern, Lasern und Pyros deutlich opulenter. Über der Bühne hängt wie gewohnt der runde Bildschirm, der nicht nur mit begleitenden Videos und Liveaufnahmen der Musiker, sondern auch leuchtenden Farben die Musik untermalt.
Den Höhepunkt der sich steigernden Inszenierung stellt "Run Like Hell" dar, in dem die Musiker Sonnenbrillen tragen müssen, um von den effektvollen Lasern nicht geblendet zu werden. Das Feuerwerk am Ende setzt dem Ganzen die Krone auf. Das mag im Kontrast zum ersten Teil der Show übertrieben wirken, macht wie die Laser-Effekte in "Comfortbaly Numb" aber optisch einiges her.
Das Publikum singt mit, wo es kann und angebracht ist, schwelgt in Glücksmomenten, lässt sich von der Genialität der Musik gefangen nehmen.
Gewohnt brillante Umsetzung
Auch, wenn es eigentlich überflüssig sein sollte (wir sprechen hier von einem GILMOUR-Release), sei der Vollständigkeit halber erwähnt, dass die technische Umsetzung absolut gelungen ist. Der Ton ist klar und bombastisch, aber nie unnatürlich klinisch. Gerade im Surround-Sound wirkt er mit den Zuschauerreaktionen aus den hinteren Boxen extrem lebendig. Das Bild ist weitestgehend klar und scharf, bei schwacher Beleuchtung, Einsatz von Nebel und einigen krassen Farbtönen jedoch überraschend oft grobkörnig und verwaschen - sowohl auf einem 4K-TV als auch einem Full HD-Monitor. Vielleicht liegt es an meinem Equipment oder den Bildeinstellungen, aber dass es bei zwei Geräten so war, fand ich doch seltsam.
Die Aufmachung der Blu-ray ist sehr wertig: Sie kommt in einem stabilen Digipack und enthält ein schönes Booklet aus festem Papier. Das fühlt sich nicht nur gut an, sondern sieht auch spitze aus. Hardcore-Fans dürften sich über das Deluxe Box Set freuen, das neben Extras und der Doppel-CD eine zweite Blu-ray mit weiteren Auftritten der Tour, u.a. mit Orchester, enthält.
"Live At Pompeii" ist ein Must-Have
DAVID GILMOURs neuester Live-Streich ist ein Pflichtkauf, selbst wenn PINK FLOYD-Anhänger mit seinen Solo-Werken bislang nicht allzu viel anfangen konnten. Das könnte sich schnell ändern, denn die mitreißende Umsetzung macht aus einigen Songs echte Höhepunkte (beispielsweise das packende "In Any Tongue" mit Gänsehaut-Solo).
Im Gegenzug kann man sich dank überraschender Details an den proggigen Klassikern Nummern auch in der 20. Fassung nicht satt hören Wenn die sanfte Slide-Gitarre "Wish You Were Here" eine neue Nuance verleiht, ist das unbedingt hörenswert.
"Live At Pompeii" ist ein wahnsinnig berauschendes Konzerterlebnis. Ein audiovisuelles Spektakel der Extraklasse. Beeindruckend, lebendig, zu Tränen rührend. Und mal ehrlich: Hat jemand ernsthaft etwas anderes erwartet?
Trackliste
"5 A.M."
"Rattle That Lock"
"Faces of Stone"
"What Do You Want from Me
"The Blue"
"The Great Gig In the Sky"
"A Boat Lies Waiting"
"Wish You Were Here"
"Money"
"In Any Tongue"
"High Hopes"
"One of These Days"
"Shine On You Crazy Diamond"
"Fat Old Sun"
"Coming Back to Life"
"On an Island"
"Today"
"Sorrow"
"Run Like Hell
"Time" / "Breathe (Reprise)"
"Comfortably Numb"
Band
David Gilmour - Guitar, Vocals
Chester Kamen - Guitar, Backing Vocals
Guy Pratt - Bass
Greg Phillinganes - Piano & Keyboards
Chuck Leavell - Piano & Keyboards, Akkordeon
Steve DiStanislao - Drums
João Mello - Saxophon, Klarinette
Bryan Chambers - Backing Vocals
Lucita Jules - Backing Vocals
Louise Clare Marshall - Backing Vocals