Zum Comeback „Size Matters“ 2004 mussten sich HELMET anhören, Bandkopf Page Hamilton könne keine spannenden Riffs mehr schreiben. Nach Erscheinen von „Monochrome“ 2006, spätestens aber mit „Seeing Eye Dog“ vier Jahre später erklärten nicht wenige Kritiker und Fans die Band tiefbetrübt für mittlerweile nahezu irrelevant. Gemessen am eigenen Vermächtnis mit 90er-Gamechanger-Alben wie „Meantime“ oder „Betty“ lautete die Kritik je nach Befindlichkeit: zu zerfahren, zu catchy, zu krächzig, zu matschig und überhaupt alles viel zu uninspiriert oder überambitioniert.
Schlaffen Sound oder unausgegorenes Songwriting kann man HELMET auf „Dead To The World“ nun wirklich nicht vorwerfen – dafür gelingt der Spagat zwischen Trademarks und Experimentellem viel zu gut. Das von Hamilton selbst produzierte Album kommt klanglich crisp und druckvoll, Riff-Brecher wie „Red Scare“ oder der Opener „Life Or Death“ sind HELMET-Songs alter Schule, mit Hooks und Refrain zum Niederknien – simpel, aber herrlich intensiv.
„I Love My Guru“ basiert auf einem straighten Beat, leicht schrägem Riffing und vielfach wiederholtem Saitenbending, zu dem Hamilton seinen Text in einer Art Rap vorträgt, bellt und krächzt.
Ebenfalls etwas gewöhnungsbedürftig ist „Bad News“, die erste Single des Albums. Der Song klingt ungewohnt aufgekratzt und könnte mit seinem schrammelligen Grunge-Vibe auch auf einem Album der STONE TEMPLE PILOTS stehen (zumindest bis zum noisigen Mittelteil). Auch der Titelsong hat mit seinen offen gespielten Akkordfolgen und Licks etwas von Grunge-Rock: Sehr sauber und melodisch gesungen, mit Schellenkranz und elegischen Streichern unterlegt, gehört das erste Drittel mit zum Poppigsten, was HELMET aufgenommen haben – hinten raus gibt’s dann aber doch noch Powerchords und Dissonanzen.
Anders bei „Green Shirt“, einem angepunkten Musical-Rock-Ausrutscher und dem einzigen „Häh?“-Moment für mich auf dieser Platte. Irgendwie passt der Song dann aber ganz gut als kontrastierende Hinleitung zu „Expect The World“, einem eingangs mit vorsichtigem Arpeggio-Klingklang und seuselnden Streichern aufgerüschten Midtempo-Song, der dann im Refrain umso mächtiger ausholt, um mit Noiseriffing und pumpendem Bass in typischer HELMET-Manier in die Geweide zu bretzeln. Fett!
Den Schwung des Vorgängers nehmen das wütende und im Refrain herrlich melodische „Die Alone“ sowie das solide „Drunk In The Afternoon“ gleich mit auf und machen damit den Skip-Kandidaten vom letzten Absatz verzeihlich. HELMET in ihrem Metier.
Das schleppende, melancholisch-melodische „Look Alive“ beendet das Album vorerst fulminant mit Gniedelsolo und atmosphärischen Keyflächen, um in die „Zugabe“ bzw. den Bonussong „Life or Death (Slow)“ überzugehen. Eine sehr hörenswerte Slo-Mo-Alternative zum Opener, die den Kreis schließt und mich zur Antwort der eingangs gestellten Frage führt:
HELMET haben mit „Dead To The World“ ein sehr abwechslungsreiches und spannendes Album geschrieben, das sich unbedingt lohnt, am Stück gehört zu werden. In der Dynamik der verschiedenen Stimmungen und Sounds wächst die Platte von Durchgang zu Durchgang und schlägt gekonnt den Bogen quer durch die eigene Diskographie, mit klarem Fokus nach vorne und Betonung der Stärken, ohne wiederzukäuen. Irrelevant geht anders.
Komplexe Strukturen, trockene Grooves, sperrige Riffs, noisige Leads – meine Liebe zu HELMET ist nie abgekühlt. „Dead To The World“ heißt das neue Album der New Yorker, hat sechs Jahre lang auf sich warten lassen und klingt für mich wie die logische Fortsetzung des Experiments „Wieviel Weiterentwicklung verträgt eine Band, die für ihren Signature Sound geliebt wird?“.
Chris
Als Kind der 90er liebe ich Grunge und Alternative Rock – meine bevorzugten Genres sind aber Death, Groove, Dark und Thrash Metal. Ich kann Musik und Künstler schwer voneinander trennen und halte Szene-Polizisten für das Letzte, was Musik braucht. Cool, dass Du vorbeischaust!