Die Band wollte, dass ein bestimmtes Thema durch das Album läuft, ohne dem Hörer ein Konzeptalbum aufzudrängen. Es ist offen, persönlich. Es beleuchtet Charles’ Kampf mit seinen inneren Dämonen und verleiht den Songs mehr Intimität. „Ich habe lange gebraucht, um zu erkennen, dass Perfektion niemals erreicht werden kann“, gibt der Sänger und Gitarrist zu.
Perfekt zwischen „kompliziert“ und „tiefsinnig“
Sie setzen ihren eingeschlagenen Weg fort, der am heavy Ende der Prog-Skala rangiert, ohne dieses gewisse Maß an Komplexität und Hintersinn vermissen zu lassen, die die Band sich im Laufe der Jahre erarbeitet hat. Der Opener „Denigrate“ erwischt einen sofort eiskalt mit seiner djentigen Ungeschliffenheit, seinen angsteinflößenden Gitarren und den hämmernden Rhythmen. Im begleitenden Video werden die Musiker mit Mehl berieselt und rohen Eiern beworfen und die besagte Auseinandersetzung mit dem Ideal persifliert. TESSERACTs Sänger Daniel Tompkins verleiht dem Song nochmal eine ordentliche Portion Aggression und Verve.
Der größte Wandel auf „Inescapable“ vollzog sich vielleicht in der Stimme von Charles, die mehr Feeling transportiert und nun auch in höheren Lagen angesiedelt ist. Die heavy und doch melodische Herangehensweise äußert sich auch in ruckelnden Offbeat-Grooves, bissigen Gitarrenriffs und sich in die Höhe schwingenden Vocals. Anders kommt ebenfalls „Victim“ daher, wo der Gesang mit einer luftigen Leichtigkeit in einer einfachen Melodie dahinfließt, während die Rhythmusabteilung bereits gut zulangt, bis auch die Twin-Gitarren ordentlich ins Geschehen eingreifen.
Heftiger und herber beginnt „Relief“, das sofort seine wuchtigen und herrlich kantigen Industrial-Riffs von der Leine lässt, auf die die klagende Stimme geschickt aufspringt. In „Surrender“, dem vielleicht emotionalsten und zugänglichsten Track, beschreibt Charles die schmerzliche Erkenntnis, Perfektion nie erreichen zu können, erzielt hier jedoch seine beste Vocal-Performance auf dem Album.
ALICE IN CHAINS lassen grüßen
Eine dunkle Unheimlichkeit umgibt „Numb“. Es drängen sich Vergleiche zu ALICE IN CHAINS auf. Die Art, wie sie Melodien und Harmonien ineinanderweben, wie sie Vokale gekünstelt in die Länge ziehen und wie sie eine abgründige Düsternis um die Akkorde schlängeln lassen. In die gleiche Kerbe schlägt „Change“, der epische Neunminüter. Frickelig, verschachtelt ist er trotzdem imstande, Emotionen und Angst mit beeindruckender Erhabenheit zu schaffen und unterstreicht nochmals das lyrische Konzept des inneren Konfliktes mit der Außenwelt.
Als Gegenpol entpuppt sich „Breathe“, das wesentlich bedachter und introvertierter ist. Flirrende Clean-Gitarren, die um die Harmoniegesänge tänzeln, wiegen einen in einem Gefühl von Vertrautheit kurzzeitig in Sicherheit, bis „Time“ erneut ins Wespennest sticht, gefährliche surrende Gitarrenriffs in Richtung Gehörgänge jagt und 1a-Prog-Metal mit äußerster Präzision und einem Mordselan darbietet.
Auf den ersten Blick ist „Inescapable“ nur ein weiteres Prog-Metal-Album unter vielen, offenbart seine Einzigartigkeit aber nach mehreren Hörgängen, wo es bisweilen beinahe an Perfektion grenzt …