Stil (Spielzeit): Düsterer Indie-Chanson (45:55)
Label/Vertrieb (VÖ): Beggars Banquet / Indigo (25.04.08)
Bewertung: 8,5 / 10
Link: www.tindersticks.co.uk
www.myspace.com/tindersticksofficial
Ein Herz und eine Säge – aus dieser Kombination kann man entweder eine spaßige Splatter-Geschichte spinnen oder, wenn man mit genügend Talent gesegnet ist, genug Stoff für ein außergewöhnliches Album ziehen. Vielleicht auch für sieben Alben (plus zwei Soundtracks), denn die Themen der TINDERSTICKS haben sich seit der Gründung vor mittlerweile 16 Jahren und einer noch weiter zurückreichenden Vorgeschichte nicht großartig geändert: die Liebe und noch mehr der daraus nicht eben selten resultierende Schmerz.
Trotz des erneut intensiv beackerten Themenfeldes ist "The Hungry Saw" das erste nach der wohl größten Zäsur der Bandgeschichte. Im Jahre 2006 stieg mit Drummer/Trompeter Alasdair Macaulay, Bassist Mark Colwill und Multiinstrumentalist Dickon Hinchliffe immerhin die Hälfte der ehemals sechsköpfigen Gründungsbesetzung aus. Gerade der Abgang von Hinchliffe, dessen Violinespiel und Arrangement-Talent den Sound maßgeblich prägten, ließ Zweifel bezüglich der zukünftigen Atmosphäre und Abwechslung aufkommen. Nun ist für eine Band, die in ihrer quasi selbst geschaffenen Sparte als der Tipp schlechthin gilt und an denkbar prominentester Stelle im Soundtrack der Mafia-Serie "The Sopranos" vorkam, die düstere und bisweilen morbide Stimmung der soundtechnische Fixpunkt. Schon die Soul-Ausflüge um die Jahrtausendwende waren, so behaupten zumindest diesbezüglich kundigere als ich, für Fans der Band gelegentlich befremdlich. Nunja, jetzt gibt es doch noch ein siebtes Album, nachdem zusätzlich zu den Ausstiegen diverse Soloprojekte bereits Zweifel am Fortbestehen der Band aufkommen ließen. Nach dreijähriger Pause spielte man ein einziges Konzert im Barbican Centre in London, das offenbar endgültig den Bruch mit der Zeit als sechsköpfige Band brachte, aber auch den Aufbruch zu neuen Aufnahmen der verbliebenen Mitglieder.
Für mich klingt das neue Material gar nicht soviel anders als das alte. Von der Tempoerhöhung, die gleich von mehreren Quellen behauptet wird, kann ich nicht viel entdecken. Auch finde ich das Album insgesamt nicht wesentlich beschwingter oder leichtherziger. Von der beispielsweise in "The Flicker Of A Little Girl" etwas helleren Tonfarbe des nach wie vor perfekten und wie immer etwas versnobten Crooning-Gesangs von Stewart A. Staples sollte man sich nicht täuschen lassen. Stellenweise mag man eine gewisse Gelassenheit entdecken, die vielleicht Südfrankreich, der neuen Wahlheimat von Staples und Standort des neu errichteten Studios ’Le Chien Chanceux’, geschuldet ist. Aber schon das Intro versetzt einen wie von den TINDERSTICKS gewohnt in eine ganz besondere Stimmung, die sich in verschiedenen Nuancen durch alle Songs zieht. So sind "Yesterdays Tomorrows" und der Titeltrack "The Hungry Saw" üppig mit Bläsersektion und weiteren Gastmusikern instrumentiert (wenn auch nicht ganz so mächtig wie zu früheren Zeiten); bei letzterem wird sogar kurz Applaus eingespielt. Ausgelassenheit auf einer TINDERSTICKS-Platte? Eine echte Rarität, aber eben nicht stellvertretend für das aktuelle Werk. Andere Lieder sind in ihrer Instrumentierung stark reduziert und auch mal völlig ohne Gesang, z.B. das Stück mit dem selbsterklärenden Titel "The Organist Entertains". Die Mehrzahl ist melancholisch-düster. Geradezu sagenhaft ist dann der Augenblick im lange nur aus Gesang, Bass und Orgel bestehenden "Mother Dear", in dem - man ahnt es trotz vandalisierender Einsprengsel nicht - urplötzlich die Gitarre wild dazwischen haut. Ein so genialer Moment, dass ich ihn eigentlich gar nicht ausplaudern dürfte! So eine gegen den Song gespielte Gitarre habe ich vielleicht seit RADIOHEAD's "Creep" nicht mehr gehört. Danke dafür, wie auch für das ganze starke letzte Albumdrittel. Und für das erste. Und das mittlere.
Die geschrumpften TINDERSTICKS sind also trotz schmerzlicher Verluste in einem hervorragenden Zustand. Die Tiefe bzw. samtene Schärfe von "The Hungry Saw" ist der Beweis.