The Sound Of Animals Fighting - The Ocean And The Sun


 

Review


Stil (Spielzeit): Experimental Rock / Progressive Rock (51:40)

Label/Vertrieb (VÖ): Epitaph / SPV (05.09.08)

Bewertung: 9 / 10

Link: http://www.thesoundofanimalsfighting.com
http://www.myspace.com/thesoundofanimalsfighting

 
THE SOUND OF ANIMALS FIGHTING, kurz TSOAF, ist ein vom US-amerikanischen Musiker und Buchautoren Rich Balling gegründetes Projekt aus Kalifornien. Nachdem zunächst die Identitäten aller Mitwirkenden aus rechtlichen Gründen (sie standen mit ihren eigentlichen Bands bei anderen Labels unter Vertrag) hinter dem Tierreich entstammenden Pseudonymen versteckt werden mussten, ist inzwischen viel mehr bekannt.

Rich Balling, Initiator und so etwas wie ein künstlerischer Koordinator, war fünf Jahre und drei Alben lang Posaunist und Backgroundsänger bei den famosen RX BANDITS (Post-Punk, Ska, Progressive), stieg dann jedoch aus und veröffentlichte zwei Bücher über die poetischen Texte der Indie-Musik („Revolution On Canvas 1 + 2“. Er nahm dann Kontakt zu diversen befreundeten Musikern auf, darunter – irgendwie klar und auch deutlich hörbar – der Drummer und der Gitarrist der RX BANDITS, aber auch Sänger Anthony Green von CIRCA SURVIVE. Dazu noch Grafikkünstler, Programmierer, Texter und so weiter.
Schon die erste EP („Tiger And The Duke“, 2005) war ein Meilenstein des chaotischen und anspruchsvollen Hochgeschwindigkeitsrocks, spielte aber auch mit elektronischen Interludes. Die folgende LP („Lover, The Lord Has Left Us“, 2006/2007) bot diverse Geschwindigkeiten und teils sehr gewagte, leider nicht immer gelungene Stilexperimente. Dann traute man sich an eine Live-DVD („We Must Become The Change We Want To See“, 2007), die bei den vier einzigen Live-Gigs der Tiermaskenträger aufgenommen wurde.

So, das war schon eine ermüdende Einleitung, trotzdem komme ich noch nicht zur Beurteilung des neuen Albums. Zuvor muss nämlich noch das ein oder andere Wörtchen über die ziemlich einzigartige Arbeitsweise von TSOAF verloren werden, da man vielleicht nur dann die Eigenheiten des Projektes und seine Ergebnisse einzuschätzen weiß. Bereits beim Erstling spielte Chris „The Lynx“ Tsagakis zunächst diverse komplexe Schlagzeugrhythmen ein, die dann neue zusammengesetzt wurden, um als Grundlage für die folgenden Aufnahmen zu dienen. Dazu hatte jeder weitere Musiker genau einen Tag Zeit, seine spontanen (also ohne die bis dato bestehende Aufnahme vor diesem Tag gehört zu haben) Ideen hinzuzufügen. Heraus kam geniales Chaos.
Bei „Lover, The Lord Has Left Us“ uferte das Konzept jedoch aus. Die Folge: Neben einigen guten Songs entstanden auch... naja... sagen wir mal Soundgebilde, die nur mühsam als echte Lieder bezeichnet werden können.

Jetzt also „The Ocean And The Sun”. Wohin geht der Weg? Auf den ersten Blick wieder in Richtung Verwirrung. Wie man es als TSOAF-Fan bereits gewohnt ist, stimmen die vom CD-Player bzw. dem Computer angezeigte Anzahl der Stücke und die Auflistung auf dem sehr schicken und fürs Schallplattencoverformat prädestinierten Digipack nicht überein: Zwölf Stücke sagt die Anlage, wohingegen die Zelluloseumhüllung des Silberlings nur deren neun angibt. Die Lösung liegt mal wieder in den Interludes. Diese sind besser denn je in das Gesamtalbum integriert und werden keinesfalls als Fremdkörper wahrgenommen. Das gilt auch für die vielen, meistens von Gastvokalistinnen mal in Englisch, mal in Farsi (=Persisch) gesprochenen Textpassagen, die geschickt in den Klang der Lieder eingebaut sind und enorm viel Atmosphäre vermitteln.

Nun aber endlich zu den Songs an sich, hat ja auch lange genug gedauert! Nach dem Farsi-Intro folgt mit dem Titeltrack ein sehr melodischer, sanfter Einstieg. Man ist versucht zu glauben, es würde ähnlich harmonisch weitergehen. „I, The Swan „ scheint einen durch den langsamen Gesang von „Rich „The Nightingale“ Balling zu bestätigen. Später, wenn der Song an Intensität und Lautstärke zulegt, übernimmt phasenweise Hauptsänger Anthony „The Skunk“ Green (CIRCA SURVIVE) das Mikro. Auch der Anfang des vierten Tracks, „Another Leaf“ ist ruhig gehalten. „Haben die Tiere ihren Biss verloren?“ fragt man sich angesichts der Melodieseligkeit. Klar, verschroben ist das Album auch schon bis hier, da will ich mal gar keinen falschen Eindruck erwecken, aber wo bleibt das Chaos? Es versteckt sich zunächst und zeigt sich dann doch: Nach den ersten dreieinhalb Minuten des Stückes springt es einen unvermittelt an! Aha, der ungestüme Geist von „The Tiger And The Duke“ lebt noch! Aber es bleibt die bange Frage: „Haben die Viecher ein letztes Mal gezuckt?“ Man ahnt aber, dass hier viel mehr möglich ist. Doch zunächst kommt „Lude“, das faktisch ein instrumentales Interlude ist und die Gemüter abkühlt.
Doch schon „Cellophane“ baut durch das komplexe Drumming unterschwellige Spannung auf, die durch die depressive Posaune noch verstärkt wird. Und wieder passiert in der Mitte des Songs Erstaunliches: Aus dem Nichts heraus ändert sich der Rhythmus, mutiert, beschleunigt, stürmt in das Kraftzentrum zwischen RX BANDITS und THE MARS VOLTA, kulminiert in Leidenschaft, ersteht wieder auf und erlebt im übergangslos folgenden „The Heraldic Beak Of The Manufacturer’s Medaillion“ seine kongeniale Fortsetzung. Laut hören! Matt „The Walrus“ Embree und Chris „The Lynx“ Tsagakis (beide RX BANDITS) bestätigen mal wieder ihren Status als außergewöhnlich kreative und perfekt zusammenarbeitende Musiker mit Affinität zur Hektik.

Der fitgeschrumpfte inoffizielle RX BANDITS-Ableger wieselt sich auch in den weiteren Stücken endlich wieder durch Rhythmusparcours, wie man sie ansonsten nur aus dem Prog kennt. Aber, Moment mal, da steckt doch ein Denkfehler drin: TSOAF sind Prog. Manchmal mit einem rauen, rumpelnden und bisweilen noisigen Sound, in anderen Stücken aber auch lockerer. Der verschroben-elektronische Klang des sehr experimentellen Vorgängeralbums taucht nur noch selten auf und ist gut in das Album integriert. Als Beweis dient zum Beispiel das je nach Lesart viereinhalb- oder siebeneinhalbminütige „Uzbekistan“.

Es sollte deutlich geworden sein: THE SOUND OF ANIMALS FIGHTING bündeln große musikalische Ambitionen in komplexe, ausgereifte Songs. Sie haben zu sich gefunden und liefern ein gleichzeitig krankes und rundes Album mit vielen, vielen Ideen. Wer hätte Mitte der Neunziger gedacht, dass aus einer kleinen kalifornischen Ska-Punk-Band mit dem damaligen Namen THE PHARMACEUTICAL BANDITS ein derartiger Impuls für progressiven Rock junger Machart hervorgehen würde?

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