Bei „Zwischen den Runden“ habe ich mich dann komplett darauf eingelassen, dass es sich hier mittlerweile um eine reine Popband handelt und konnte daher sogar etwas mit dem Kitsch des letzten Albums anfangen – und fand es auch wirklich gut. Dennoch war ich mir nicht sicher, ob es sich nur um das letzte Aufbäumen vor dem Unausweichlichen handelt.
Und jetzt – fünf Jahre später – halte ich „Ich vs. Wir“ in den Händen und muss mich nicht erst reinhören: KETTCAR werden wohl nie wieder so schön schrammelig sein, wie sie auf dem ersten Album waren, aber endlich haben sie ihren Kampfgeist gefunden und ein Album abgeliefert, welches der Zeit, in der es erscheint, angemessen ist. Und allein dadurch wirkt es wesentlich sperriger als seine Vorgänger. Und genau das steht den Hamburgern!
Kann man KETTCAR eigentlich rezensieren, ohne dass es wie eine Buchbesprechung klingt? Schwierig! Denn das Wichtigste und Prägnanteste an dieser Band sind wohl die Texte. Und auch wenn sie immer mal wieder Stellung bezogen haben („Deiche“ z.B.), klang wohl kaum ein Album der Band so wenig „befindlichkeitsfixiert“ wie dieses. Nein, „Ich vs. Wir“ ist kämpferisch und gleichzeitig reicht es einem die Hand. Denn in Zeiten von AFD-Idioten im Bundestag haben auch KETTCAR keinen Platz mehr für Probleme mit realitätsfernen Träumern und hippyesquem Verhalten.
In Zeiten wie diesen müssen „Gutmenschen“ zusammenhalten, um nicht zu verbittern. Und das beschreibt Sänger Marcus im letzten Stück der Platte eindringlich gut. Auch setzt er sehr geschickt die Flüchtlingsproblematik der ehemaligen DDR Bürger in Szene, um damit einen nicht mal angedeuteten aber dennoch verstandenen Fingerzeig auf heute zu geben. Selbstverständlich dürfen auch die Fußballmetaphern nicht fehlen, und so stellt er fest: „Liebling, ich bin gegen Deutschland“.
Zwar ist nicht jeder Song des neuen Albums politisch, aber die gesamte Platte fühlt sich politisch an. Und auch musikalisch ist der Kitsch des Vorgängers verschwunden und KETTCAR haben ihren Indie-Pop wieder an einigen Stellen aufgemotzt und … ja, sagen wir ruhig “rockiger“ gestaltet. Selbst ein langgezogenes „NaNaNaNa“ kann daran nichts ändern. Und natürlich gibt es auch wieder diese Sätze, die man mit Edding an eine Wand schreiben möchte – „Wenn du das Radio ausmachst, wird die scheiß Musik auch nicht besser“ –, und jede Menge Songs, die einen das eigene Leben überprüfen lassen.
KETTCAR ist in den guten Momenten immer wie ein kleines Stück Therapie. Zumindest, wenn man irgendwo links von der Mitte steht und auch Selbstkritik üben kann. Hier spricht immer noch das gute Gewissen! Es schreit halt nur nicht mehr und ist nicht mehr so scharfrichterisch wie zu …BUT ALIVE-Zeiten.
Auch wenn ich mir natürlich noch mehr Wumms gewünscht hätte, sind KETTCAR in meinen Augen zurück. IndiePopRock mit unfassbar guten Texten zwischen persönlicher Sinnsuche, Beobachtung und Politik. Könnte und sollte im Radio laufen!