Als ich vor einigen Tagen die News auf BurnYourEars postete, dass GOJIRA für zwei Livekonzerte nach Deutschland kommen, habe ich mir erst ein Loch ins Knie gefreut und dann erschreckend festgestellt, dass wir die letzte Platte „L'Enfant Sauvage" (Der Wolfsjunge=das wilde Kind) nicht besprochen haben. Dabei handelt es sich sicherlich um eine der besten Platten im letzten Jahr und auch um eine der meist gehörten in meiner Sammlung.
Auch auf die Gefahr hin, dass es dann auf den Konzerten noch enger wird, und wohlwissend, dass mein Sprachschatz sicherlich nicht ausreichen wird, um dieses Meisterwerk in Worte zu fassen, möchte ich doch noch diesen Tipp für alle bis dato Nichtkenner von GOJIRA nachschieben. Vier Jahre sind seit dem letzten Akt in 2008 „ The Way Of All Flesh" (LAMB OF GOD Sänger Randy Blythe war als Gastmusiker beteiligt) vergangen und mit Spannung wurde der nächste kreative Output von GOJIRA erwartet.
Die vier Franzosen beglücken uns schon seit knapp 17 Jahren mit ihrem eigenwilligen Stil aus technischem Death Metal, progressivem Metal, Thrash und auch Groove Metal Elementen. Alle, die BARONESS auf technischer und kompositorischer Ebene verehren, aber mehr Bums und Metal wollen und somit auch gerne mal eine Blastattacke freudig über sich ergehen lassen, können bei GOJIRA und besonders ihrem aktuellen Werk „L'Enfant Sauvage" blind zugreifen.
GOJIRA ist japanisch für Godzilla (der ursprüngliche Name der Band) und genau wie solcher können GOJIRA zwischen ihren alles umfassenden Melodiebögen auch gerne mal monstermäßig alles in Grund und Boden stampfen. Pure Gewaltattacken gibt es aber nicht auf „L'Enfant Sauvage", sondern weiterhin die interessante Mischung zwischen progressivem und hartem sowie eigenwilligem, unüblichem Songaufbau.
Der Titel „Pain Is The Master" ist nicht unbedingt der beste der Platte, beschreibt aber sehr gut den Querschnitt: ein sehr dunkles, mystisches Intro mit schon fast arabischen Anleihen (könnte locker von der letzten DEAD CAN DANCE stammen), ein flüsterndes Kind und unvermittelt übergehend in eine stampfende 32tel Blastexplosion mit quietschendem Gitarrenriff, auslaufend in hämmernden Takt. Stimmlich pendelt sich Sänger Joseph "Joe" Duplantier irgendwo im Hardcore, Doom Bereich ein, die Verzerrung der Stimme tut hier ihr übriges, klingt grandios. Wieder unerwartet ertönt irgendwann die warme, melodiöse Erlösung, die uns dann im letzten Drittel des Stückes schützend an die Hand nimmt und wieder aus dem dunklen Tunnel herausführt.
Stücke wie „The Axe" haben ein enorme Brachialität und ziehen den Hörer sekundenschnell in den Bann, wie ich es kaum bei anderen Bands empfinde. Stampfender Groove, gezielte Blastbeats und ständiger sekundenschneller Abbruch und Wiederaufnahme der Melodie, unweigerlich hackt sich der Song in dein Hirn und Herz. Generell sind die Arpeggios auf „L'Enfant Sauvage" einfach nur göttlich und handwerklich sind GOJIRA schon fast unanstastbar, in Anbetracht der verschiedenen eingesetzten Stile noch viel mehr. Ohne Übertreibung kann man sagen, dass „L'Enfant Sauvage" nur aus Hits besteht, ganz gleich, ob das intensive „Liquid Fire" mit dem emotionalen Refrain und verzerrten Stimmen, das aufstampfende, wehmütige und epische „Mouth Of Kala" (mit dem emotionalsten Gesang, den ich seit langem gehört habe!), das garstig böse „The Fall" oder das krass gegensätzliche und langsam anschwellende „Born In Winter", welches harmonisch ruhig startet, nur um immer weiter aufzutrumpfen und schließlich wieder friedvoll zu Ende geht. Beeindruckend packend und musikalisch absolutes High-End, mehr gibt es kaum zu sagen zu GOJIRA generell und zu „L'Enfant Sauvage" speziell.
Grundsätzlich spielen GOJIRA stärker mit den Gegensätzen Beklemmung und Befreiung („The Fall"). Teilweise schweben die Melodien wie bedrohliche Geister über dem Hörer, lösen sich manchmal auf oder fallen ihn eben gnadenlos an. Eine grandiose und in erster Linie unvergleichliche Band, die alles auf Höchstniveau zusammenfasst, was unter dem Banner Metal machbar ist. Die Frage, ob man GOJIRA auch nebenbei hören kann, stellt sich gar nicht erst, da man sowieso aufhört, was immer man auch tut, und sich voll der Musik widmet. Resultiert zwangsweise in Kaufbefehl!