Wie von mir erhofft, sind DARK TRANQUILLITY der Herrschaft über den schwedischen Melodic Death Thron mit „Construct" wieder ein ganzes Stück nähergekommen. Mit ihrem zehnten Studioalbum gibt uns die Band genau das, wofür Göteborg steht: tiefschwarze Melancholie, getaucht in eiskalte Härte, die optimale Verteilung von Licht und Schatten offenbart in musikalischer Form. Mit dem Einstieg „For Broken Words" geben DARK TRANQUILLITY den Fans Zeit, sich gemütlich zurückzulehnen und gemächlich auf die folgenden knapp 42 Minuten einzustimmen. Entsprechend der Thematik ist das Stück spröde und reizarm, am Anfang der Platte genau richtig aufgehoben. Die pulsierende Schlichtheit nimmt nach und nach Intensität an, ohne zu eskalieren.
Gleich das folgende "The Science Of Noise" ist für mich eines der besten Stücke, die DARK TRANQUILLITY jemals geschaffen haben. Ein treibender, emotionaler Song, den ich weder oft noch laut genug hören kann. Den Wahnsinn, die Kluft zwischen Gut und Böse und den ewigen Kampf kann keiner stilvoller und authentischer vertonen, als Mikael Stanne und Kollegen. Im einen Moment noch hasserfüllt, enttäuscht und böse, wechselt er innerhalb von Sekunden zu einem tröstenden, klaren Gesang, der den Hörer förmlich einhüllt und umarmt. Stanne singt die Lyrics nicht einfach schnöde dahin, er fühlt sie aus tiefstem Herzen und das kommt beim Hörer sehr intensiv an. „Construct" enthält zahlreiche Statements, die die geschundene Seele direkt ins Herz treffen. DARK TRANQUILLITY haben im Gegensatz zum unkonstanten Vorgänger „We Are The Void" nun mit „Construct" eine vielfältige Platte geschaffen, die sich gut am Stück durchhören lässt. Wehmut, Schmerz, Lügen, Trost und Trauer klangen schon lange nicht mehr so wundervoll und packend.
Beim gefühlvollen „What Only You Know" rühren die Schweden textlich und musikalisch wieder kräftig am Herz. Anders Jivarp trommelt erbarmungslos, während schwelgerische Gitarren von Niklas und Martin die Hoffnungsschimmer symbolisieren. Stanne legt hier gesangstechnisch noch mal eine Schippe drauf und gibt sich besonders variabel, das ist absolute Königsklasse und ein weiteres Highlight von „Construct". Das folgende „Endtime Hearts" macht die Tore dann ganz weit auf und bietet tanzbaren (!) Melodic Death Metal mit sägenden Riffs, vielen Tempowechseln und einem eingängigen Refrain. Tastenaspiranten können bei Martin Brandstörm einiges lernen, Ohren auf und zugehört! So bedient man das Monster mit den schwarzen und weißen Tasten, wenn man Melodic Death veredeln möchte. Da, wo selbst Großmeister wie AMORPHIS mal eine Spur drüber sind, treffen DARK TRANQUILLITY immer genau den richtigen Punkt und nutzen das Keyboard wirklich, um Spitzen zu setzen und den Diamanten den letzten Schliff zu geben („State Of Trust" oder „None Becoming"). In „None Becoming" ziehen DARK TRANQUILLITY alle Register und bieten ein weitschweifiges kleines klangliches Meisterwerk, welches auch laut gehört werden sollte.
Die Produktion kriegt ebenfalls etwas von der Lobeshmyne ab, denn hier stimmt wirklich alles. Wenn Stanne in „Apatheit" dem Hörer „...sometimes I feel..." ins Ohr haucht, hat man tatsächlich das Gefühl, er spricht direkt aus einem selbst heraus und jedes Instrument ist optimal abgemischt. "Construct" sorgt für Gänsehaut, rührt auf und bedient den Wunsch nach Härte genauso, wie die Sehnsucht nach Wärme! Jeder, der sich nur ansatzweise für das Genre Melodic Death begeistern kann, muss "Construct" besitzen. Für dieses fesselnde Werk geht nichts unter 10 von 10 Punkten!