Mittlerweile hat die Band ihren einstigen Melodeath-Pfad längst verlassen und surft in ‚mainstreamigeren‘ Sphären. Das Album mit dem ikonischen Jester Head auf dem Cover aber bleibt ein früher Höhepunkt harmonisch-harschen Hörspaßes – und ist eines Reviews zum 25-jährigen Jubiläum zweifellos würdig.
Mit Death Metal und NWOBHM-Sounds im Gepäck
Als die erste Welle des kompromisslos und brutal gespielten Todesbleis Mitte der 90er abebbt, schlagen mehr als ein Dutzend Göteborger Jungs versöhnlichere Töne an. Freilich sind sie damit nicht allein.
DISMEMBER aus Stockholm wählen auf dem legendären Elchtod-Vermächtnis „Like An Everflowing Stream“ (1991) schon zuvor einen etwas experimentelleren Kurs mit melodischen Songfragmenten. Und die Briten CARCASS, ursprünglich als Grind-Kapelle ins Rennen gegangen, komponieren mit ihrer Platte „Heartwork“ 1993 mal eben die atmosphärische Bauanleitung des wohltönenden Sub-Genres.
AT THE GATES („Slaughter Of The Soul“, 1995), DARK TRANQUILITY („The Gallery“, 1995) und eben IN FLAMES nehmen die Verfolgung dieser stilistischen Spur leidenschaftlich auf und navigieren ihrerseits den Sound einer ganzen Generation.
Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Härte und Harmonie
So legen IN FLAMES mit „The Jester Race“ eine angriffslustige und intensive Gangart an den Tag, bei der sie das Tempo aber auch immer wieder besonnen drosseln. Die Band überquert zielsicher die Brücke zwischen bedingungsloser Wucht und schwärmerischer Verspieltheit – und die vielseitig arrangierten Songs meistern bravourös den anspruchsvollen Slalom-Parcours zwischen harten Parts und idyllischen Verzierungen.
Twin-Gitarren pflastern den sonoren Steg mit manch traditionell-skandinavischen, manch MAIDEN-esken Melodien. „Moonshield“, „Artifacts Of The Black Rain“ und „Lord Hypnos“ begeistern durch epische Heaviness. Doch auch wenn eine gehörige Portion Heavy Metal im Fahrtwind weht, kriegen IN FLAMES immer wieder die Kurve zur etablierten Death-Metal-Route: Heruntergestimmte Gitarren, brutale Double-Bass-Parts („December Flower“) und harsches Gegrunze. Sänger Anders Fridén ist nach seinem Bandeinstieg hörbar in Top-Form und keift seine Ablehnung gegenüber verbissenem Karrierestreben und zunehmender Maschinisierung mit aggressiv-abgefuckter Attitüde heraus.
And we go, and we go, and we go …
Angetrieben von den Großtaten der Konkurrenz schalten IN FLAMES mit „The Jester Race“ einen Gang höher. Das Quintett glänzt durch abwechslungsreiche Arrangements, kommt mal thrashy daher („Graveland“) und erinnert mit der Gitarrenarbeit beim Titeltrack sogar an MEGADETHs „Symphony Of Destruction“.
Das vielseitige „Dead Eternity“ lässt einmal mehr die erfrischend kreative Seite der Schweden verlauten, wenn bedrohliche Riffs, düstere Spoken-Word-Passagen, rasantes Drumming und harmonische Lines miteinander um die Pole Position ringen.
Mitreißendes Songwriting, ständige Speedwechsel und eine erfreulich organische Produktion sind Treibstoffe einer Scheibe, die trotz ihres Abwechslungsreichtums keine unnötigen Umwege nimmt. Die Songs sind mit Spielzeiten zwischen drei und fünf Minuten angenehm kompakt und nach rund 40 Minuten ist die Ziellinie erreicht.
Von der rigorosen Death-Metal-Polizei der rauen Anfangsjahre gejagt, von Metallern jüngerer Semester als unverzichtbares Klang-Tuning verehrt: Das Narrenrennen um den Status der Schweden wird wohl bis zum jüngsten Gericht ausgefahren. Fakt ist aber:
We are In Flames,
towards the dead archaic heavens
We are the mantle and the texture
the alters the mantle of the Earth
(„December Flower“)
Und den – melodischen – Death-Metal-Mantel hat „The Jester Race“ seinerzeit zweifellos verändert.
Tracklist von „The Jester Race“
1. Moonshield
2. The Jester's Dance
3. Artifacts of the Black Rain
4. Graveland
5. Lord Hypnos
6. Dead Eternity
7. The Jester Race
8. December Flower
9. Wayfaerer
10. Dead God in Me
IN FLAMES Line-Up auf „The Jester Race“
Anders Fridén Vocals
Björn Gelotte Drums
Jesper Strömblad Guitars
Johan Larsson Bass
Glenn Ljungström Guitars
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