Misanthrope - IrremeDIABLE Tipp


Stil (Spielzeit): Avantgarde Death Metal (1:10:15)
Label/Vertrieb (VÖ): Holy Records (2008)
Bewertung: 9,5 / 10
Link: http://www.misanthrope-metal.com

Drei Jahre sind ins Land gezogen seit MISANTHROPE, Frankreichs eloquenteste Antwort auf ATHEIST, CYNIC etc. zuletzt zu vernehmen waren. Mit „IrremeDIABLE“ liegt nun Album #8 vor. Ich kenne zwar nicht alle, aber dieses Konzeptalbum zu Leben und Werk von Charles(-Pierre) Baudelaire muss einfach zu den Highlights der Diskographie gehören.

Denn viel besser und ausgewogener kann man kaum zwischen technischer Finesse, klassisch (death-) metallischer Melodieführung und post-romantischer Atmosphäre changieren, ohne im allzu Künstlichen zu verenden.

Kunst, nicht Künstlichkeit, muss der Anspruch wohl auch sein, wenn man sich einem der wichtigsten Literaten der europäischen Moderne widmet. Schön ist, dass man sich dabei nicht an den „Fleurs du Mal“ vergeht, indem man sie zu vertonen versucht. --- Stattdessen werden Pessimismus, Melancholie und der desillusionierende Charakter der Baudelaireschen Lyrik ins Verhältnis zur Biographie gesetzt und so vermittelt in Musik und Text verpackt. Ob der Titel „IrremDiable“ sich auf die damals unheilbare Syphilis bezieht, unter der monsieur litt, war den Texten nicht zu entnehmen, aber die Unheilbarkeit ist wohl eher als Wortspiel mit dem Teufel zu lesen. Von derlei Spielchen finden sich noch mehr, wenn man sich zuvor ein bisschen mit der Poetologie von Baudelaire befasst hat. Die Herren schämen sich ihrer Bildung offenbar nicht.

Noch mal kurz zur Musik: Was mich hier absolut begeistert, ist der unglaubliche Abwechslungsreichtum und WIE und DASS er zu einer homogenen Einheit verschmilzt. Im Zentrum: ganz klar extrem technischer Death Metal im Orlando, Florida-Stil. In der näheren Peripherie: Black Metal - Gemetzel, Gothic Metal - Romantik, Doom Metal - Heaviness, Heavy Metal - Leads, Jazz - Spielereien und zum Abschluss eine fulminante Soundkollage … Einfach nur, nur geil. Vielleicht wiegt mein Kompliment insofern schwer, als ich derlei Durcheinander in der Regel nix abgewinnen kann, mir aufgesetzt und gewollt erscheint und es zumeist ja auch genau so klingt. Hier mal so `was von gar nicht! Ich übertreib mal: selten so ein natürliches, extrem vielfältiges Ganzes gehört… Dazu kommt, obwohl ich das Teil nun schon zum x-ten Mal höre, ist es jedes Mal neu. Ich meine nicht: hier und da erkennt man neue, interessante Details, sondern es „begegnet“ einem jedes Mal wirklich als Ganzes neu.

Die Qualitäten der Musiker tragen sicher ihren Teil dazu bei: Gaël Féret (dr) und Anthony Scemama (g / keys) sind schon allererste Sahne, aber famose Drummer und Gitarristen hat man im technischen Death ja öfters. Und S.A.S. de l’Argelière ist ein Death-Shouter der Güteklasse A. Er growlt, screamt, flüstert mit echter Intensität. Aber die schlichten „spoken-words-parts“ sind noch viel weiter vorn: DAS ist LYRIK. Und man muss nicht mal Französisch verstehen, um ihrem Charme zu erliegen. --- Aber das absolute Highlight ist der Basser: Jean-Jaques Moréac: Was für ein Tier! --- Das Schönste: Man muss kein technisch interessierter Mucker sein, um der Platte und den Musikern ihre Klasse abzulauschen. Es reicht, ein schlichter Metal-Head zu sein, um sich kampflos, aber konzentriert zuhörend und wild bangend zu ergeben.

Anspieltipps? Och, nö!