Stil (Spielzeit): Progressive, Sludge, Rock, Wave, Folk (40:57+ 35:53)
Label/Vertrieb (VÖ): Relapse / rough trade (20.07.2012)
Bewertung: 10 / 10
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BARONESS, das sind aktuell John Baizley (Gesang), Peter Adams (Gitarre), Summer Welch (Bass) und Alan Blickle (Schlagzeug) und ich kann nur raten: Freunde von anspruchsvoller, aufwendiger Musik, merkt euch diese Namen! BARONESS gibt es seit 2003 und die Band aus Georgia, quasi MASTODON Nachbarn, umgeht die Hürde des "alles entscheidenden dritten Albums" ganz galant. Nach dem Debüt "Red Album" und dem folgenden Knaller "Blue Record" hauen uns die Künstler doch auf einen Schlag das Doppelalbum "Yellow & Green" auf die Ohren. Landete die Band schon mit "Blue Record" in den Billboard US Charts auf Platz 117, so darf man für die neuste Platte einen Platz mindestens im zweistelligen Bereich erwarten.
Die Vorabsingle "Take My Bones Away" ist auch als geschickter Schachzug zu bewerten, denn der Song führt auf die falsche (wenn auch gute) Fährte zurück zum letzten Album – dort wäre der Track nicht aufgefallen. Wer aber auf eine Blaupause von "Blue Record" hofft, der wird überrascht sein. Auch wenn der ganz aufmerksame Hörer merken wird, dass einige Riffs aus den alten Alben hier und da auftauchen. Natürlich vollkommen vorsätzlich, denn BARONESS mangelt es ganz sicher nicht an Ideen, geschweige denn an Kreativität, und was die Schmiede BARONESS verlässt, ist gut überlegt.
BARONESS sind eine der wenigen Bands, bei denen man immer auf Unverhofftes hoffen darf. Die Band erfindet sich im Laufe eines Album regelmäßig selbst neu und scheint über mehr Töne zu verfügen, als andere herkömmliche Bands. Die Melodien sprudeln nur so aus den (diesmal überwiegend akustischen) Gitarren, jeder Musiker weiß, was ich meine. Scheinbar mühelos bauen BARONESS eine Melodie nach der anderen. Erst erscheint das Arrangement verwirrend, niemals konfus aber eventuell zu anspruchsvoll, doch dann schaffen es BARONESS immer wieder, einen Weg raus aus dem verschlungenen Klanglabyrinth zu zeigen. Zurück bleiben angenehm durchgepustete Ohren und ein freier Geist. Die Sinne sind sozusagen kalibriert.
BARONESS schaffen keine Melodiebögen, sondern schweißtreibende Melodie- Achterbahnfahrten und lauschige Melodie- Lagerfeuerabende. BARONESS lassen dich langsam und behutsam auf einer weichen, innervierenden Wolke nach oben schweben, nur um dich im nächsten Moment wieder grob und energisch auf den Boden der Tatsachen zu zerren ("March To The Sea").
Geändert hat sich vor allem, dass John Baizley auffällig mehr und auch anders singt. Gefestigt wie eh und je stellt er mit seiner Stimme, sobald sie erklingt, das Zentrum des Songs dar. Er wirkt selbstbewusst, stark und gleichzeitig auch sanft und fragil. John Baizley weiß, was der Song braucht und gibt es ihm. Entsprechend der Maxime "words like violence, break the silence" sind auch einige Instrumentalstücke entstanden, die trotzdem so sehr berühren, dass mir ganz unbewusst die Tränen über die Backen liefen ("Stretchmarker")... Generell liefert bei BARONESS jeder Musiker absolute Höchstleistung ab, hier wird keiner "mitgezogen", hier werden keine Kompromisse gemacht.
Ebenfalls neu ist die Integration von Wave Elementen ("Psalms Alive", "Little Things"). Von Weiterentwicklung kann man in diesem Fall eigentlich nicht sprechen, da sie ganz deutlich den BARONESS Sound ergänzen und nicht umgekehrt. John Baizley so bittersüß und in dieser Tonlage singen zu lassen, ist eigentliche eine logische Konsequenz – und sobald er es tut, fällt auf, dass sein Gesang einfach jede Passage sublimiert. Die progressive, triste Ausrichtung aus dem (Dark) Wave ergänzend zur eigenen, episch elegischen zu übernehmen, war eigentlich eine künstlerisch rhetorische Frage der Zeit. Auch das Songwritung, welches sich weiterhin ganz dreist über normale Songstrukturen hinwegsetzt, ist noch fokussierter geworden. Es sind also auch einige kurze Songs entstanden, die teilweise fast unvermittelt enden.
Auch auf Doppelalbumlänge ödet "Yellow & Green" nicht an. Im Gegenteil: Wir werden die Manigfaltigkeit wohl erst später (oder auch erst in einigen Jahren) zu würdigen wissen. Anspieltipps gibt es nicht, nur den Tipp, die Außenwelt abzuschotten und der Platte die Ehre zu geben, die ihr gebührt. Also bitte mindestens einmal am Stück hören, am besten alleine und mit Kopfhörer oder Hammeranlage! Laut versteht sich... Unkonventionelle Soundspielereien, wie das Wandern der Musik von rechts nach links, sind nicht schnödes Beiwerk sondern nötig, um das komplexe Gesamtkunstwerk erfassen zu können.
BARONESS steuern unbeirrt und zielgerichtet in Richtung bunt, haben die Macht der Musik erkannt und setzen sie auf "Yellow & Green" so schonungslos ein, dass man als Hörer einfach nur überwältigt ist. BARONESS nehmen dich mit auf eine nachhaltige Reise ohne Zwischenstopp. Wer einmal in dem Strudel aus Sludge, Psychedelic Rock, Prog Rock, Folk, Punk und seit Neustem auch Wave geraten ist, der lässt sich gerne weiterführen. Angeregt vom Kopfkino führt uns die Band durch einsame Täler, über kräftezehrende Berge, in dunkle Wälder und wieder raus auf die taufrische Lichtung, um den Sonnenaufgang zu beobachten. Mir bleibt gar nichts anderes übrig als anerkennend, in meinem Fall auch zum ersten Mal, die Höchstpunktzahl zu zücken und weiter "Yellow & Green" von BARONESS zu hören, denn von Durchlauf zu Durchlauf entdecke ich Neues.
Entdeckungsfaule Hörer können gerne wegbleiben, während sich die anderen geduldigen Hörer mit Lust auf Neues gerne an "Yellow & Green" berauschen dürfen.
In den nächsten Tagen beehren uns BARONESS in Deutschland, also schnell ran an die Tickets. Beschert den Typen volle Hallen!