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Wie anstrengend… Gegen experimentelle Einflüsse im Allgemeinen habe ich ja nun wirklich nichts einzuwenden, aber dieses dreiviertelstündige Lärmwerk strapaziert meine persönliche Toleranzgrenze doch erheblich. Und so gerate ich in einen kleinen inneren Konflikt. Kann ich diese Platte mit ruhigem Gewissen einfach anstrengend, nervtötend und subjektiv miserabel finden und das auch hier kundtun? Oder muss ich den sechs Jungs aus der Schweiz positiv anrechnen, dass ihr Zweitwerk wirklich außerordentlich ideenreich, ungewöhnlich und hörbar herzblütig ausgefallen ist? Muss ich dem aufstrebenden Sextett wirklich zugutehalten, dass „Red Suns“ vermutlich exakt so gelungen ist wie von den nonkonformistischen Schweizern beabsichtigt? Immerhin hat es zuvor noch kaum einer geschafft, mich derartig intensiv aural zu belasten, und man hört den zehn eigenwilligen Tracks auf „Red Suns“ deutlich an, dass diese Wirkung nicht gerade unbeabsichtigt war. In der Hinsicht wurde hier also alles richtig gemacht und somit schwanke ich bei meiner Bewertung dieser Scheibe zwischen zehn und null Punkten, was mich letztendlich zu der Entscheidung gebracht hat, die goldene Mitte zu wählen. Auch wenn dies der Band wohl in keinster Weise gerecht wird, da vermutlich jeder geneigte Hörer auf „Red Suns“ entweder begeistert oder genervt reagieren wird, keinesfalls jedoch gleichgültig. Doch an solchen niemals objektiven Punktevergaben sollte sich sowieso niemand orientieren...
Viel interessanter ist es doch, zu erfahren, womit die Jungs auf ihrem seltsamen Zweitwerk denn überhaupt so aufwarten. Tja, und das lässt sich als Semiszenekenner gar nicht mal so leicht in Worte fassen. Dass die sechs Schmerzsäer ihre Wurzeln im Hardcore haben, kann man noch recht deutlich heraushören. Wenn denn mal sämtliche Instrumente eine halbwegs nachvollziehbare Einheit bilden, dann ist dies am ehesten mit Hardcore oder vielleicht noch eher mit der modernen Abartigkeit namens Screamo zu vergleichen. Das ist jedoch auch nur selten der Fall. Überwiegend gibt es äußerst unzugängliche Verspieltheiten auf die geplagten Ohren, welche sich in Sachen Tempo, Rhythmik, Melodie und Eingängigkeit zu unterbieten versuchen. SEED OF PAIN verwenden auch gerne elektronische Komponenten, was gleich im Opener „Aurora“ eindrucksvoll bewiesen wird. Diese dienen jedoch meist auch nur mäßig der Zugänglichkeit der Songs. Zu verspielt sind die Strukturen, zu langsam ist meistens der Rhythmus. Wer NEUROSIS kennt, der weiß, wovon ich spreche. Das ist übrigens auch die Band, mit der ich SEED OF PAIN noch am ehesten vergleichen würde. CONVERGE wären als Referenzband ungeeignet, da die Schweizer nicht ansatzweise deren Wucht, Komplexität und Hektik erreichen...
Komplex sind die Titel auf „Red Suns“ zwar schon auf ihre Weise, aber eben alles andere als wild oder hektisch. Der Song „Nur Euer Gott lässt Euch leben“ beispielsweise sticht durch die nervenaufreibend langsame Unrhythmik verbunden mit dem scheinbar komplett autonomen Monolog des Frontmannes hervor. Genialität und Wahnsinn liegen hier dicht beieinander. Bis auf dieses lyrische Monster sind die gescheiten Texte in Englisch gehalten und überwiegend inbrünstig schreiend vorgetragen worden. Und wenn nicht geschrien wird, dann spricht der Sänger meist in einem fast schon weinerlich klagenden Ton, was dann die Stilbezeichnung „Screamo“ rechtfertigen dürfte. Denn so richtig lassen sich die Jungs von SEED OF PAIN in keine Schublade stecken. EBM findet sich hier ebenso wieder wie Ambient. Es ist halt sehr experimentell, was hier auf die Beine gestellt wurde, und davon sollte sich jeder Interessierte sein eigenes Bild machen...
Ich kann nur sagen, dass die Platte für mich einfach viel zu wenig greifbar ist, wenn auch mit jedem Durchlauf das Verständnis für die Songstrukturen wächst. Wer also etwas Geduld und Toleranz aufzubringen vermag oder einfach unkonventioneller, hintergründiger und zudem durchaus niveauvoller Musik gegenüber sehr aufgeschlossen ist, der sei hiermit angehalten, sich gefälligst sein eigenes Urteil zu bilden. Zu der Entwicklung der Band im Vergleich zum Debutalbum kann ich leider nichts sagen, da ich mir dieses nicht auch noch zumuten wollte...
Stil (Spielzeit): Experimental Screamo (46:46)
Label/Vertrieb (VÖ): Edition Gris (08.10.11)
Bewertung: 5 / 10