MINERAL kannte ich bisher immer nur vom Namen her. Man wollte sie mir mal als eine der ersten Emobands verkaufen und allein deshalb war ich schon neugierig. Jetzt sitze ich hier vor zwei randvollen CDs, also ihren zwei Alben und ein paar Bonussongs. Und erstens wird mir recht schnell klar, dass dieses „erste Emoband-Ding" ziemlicher Quatsch ist – wir reden hier von einer aktiven Laufbahn zwischen 1994 und 1998 – und zweitens bin ich sehr hin- und hergerissen, was die Bewertung ihres bisherigen Schaffens angeht.
Bisheriges Schaffen? Ja genau, denn die Amis haben sich wieder zum Touren zusammengetan. Und dazu passt dann natürlich auch eine Wiederveröffentlichung ihrer bisherigen Sachen: "The Power Of Failing" und "EndSerenading" – und das dann eben auch noch mal auf Vinyl, wenn man will. Aber warum bin ich eigentlich so unentschlossen? Na, weil MINERAL vieles richtig – streckenweise sogar sehr richtig – machen, dann aber auf Dauer doch irgendwann ziemlich anstrengend werden. Und ja, das liegt am Gesang. Dieses nöhlige, langezogene Leiden, welches nicht immer unbedingt an allen geraden Tönen interessiert ist, fängt irgendwann an, leicht nervig zu werden. Aber man würde der Band sehr großes Unrecht tun, sich nur darauf zu fokussieren.
Denn musikalisch haben sie definitiv ihren Platz neben Bands wie JIMMY EAT WORLD, TEXAS IS THE REASON oder den THE GET UP KIDS, die damals den Sound bekannt gemacht haben. Und es ist recht schnell zu hören, wie MINERAL wohl Einfluss für Bands wie MY CHEMICAL ROMANCE, THURSDAY, LYDIA oder frühe OPEN HAND gewesen sein muss: Hier gibt's unglaublich viel Dynamik, cleane Gitarrenzerlegungen – „Geklimper" – böses Reingrätschen der Gitarren, Indie-Atmosphäre mit Punkattitüde, Midtempo, Moll und bittersüße Melancholie. Und eben den Gesang. In seinen guten Momenten lässt er den Hörer an seinem Seelenleben teilhaben und wirkt erschlagend – aber manchmal klingt er so, wie die Streetpunks es immer nachmachen.
Wer Ende der 90er, Anfang des Jahrtausends Emo gehört hat, wird in diesen Songs einen Stammbaum heraushören können und sich damit, genau wie ich, auf eine Geschichtsstunde einlassen können, die auch noch Spaß macht. Menschen, die bereits Fans sind, interessieren sich vermutlich vor allem für die zehn Bonussongs. Meiner Meinung nach erreichen MINERAL nicht die Qualität oder meinetwegen die Hitdichte wie JEW oder TGUK, dennoch zeigen sie deutlich auf, woher die Theatralik im Emo stammt – und warum diese dort eigentlich auch mal vollkommene Berechtigung hatte. Ich bin froh, eine weitere Wissenslücke geschlossen zu haben – auch wenn ich nicht zwangsläufig eine neue Lieblingsband in MINERAL entdecken konnte.