Brock Lindow war in einem Loch – der Sänger der amerikanischen Metalformation 36 CRAZYFISTS hatte die letzten Jahre mit einer ziemlich fiesen Depression zu kämpfen. Leicht war es nicht, dort wieder herauszufinden, sodass selbst das Songwriting nicht mehr so richtig von der Hand laufen wollte. Erst im Angesicht der Urgewalt der Natur – auf einem Lachskutter vor der Küste Alaskas – fand der Fronter wieder zu sich selbst und seiner Kreativität. Geprägt haben diese Erfahrungen folglich nicht nur ihn, sondern auch "Lanterns“, das neue Album des Quartetts, dessen Titel das Licht am Ende des Tunnels symbolisiert.
Und ja, "Lanterns“ schmeckt nach rauer Seeluft und kalten Wellen, welche bei Nacht und Nebel über das Schiffdeck schwappen. Metallisch und brachial tritt der Opener "Death Eater" quasi die Kabinentür ein und gibt die Marschrichtung der nächsten 45 Minuten vor. Harte Riffs treiben das Album voran, während Lindows emotionaler Gesang eisige Melodien zum Leben erweckt. Lindow bedient sich dabei dem vollen Umfang seiner Stimmbänder und schwankt zwischen verzweifelten Cleangesang und wuchtigem Gebrüll.
Gelungene Gratwanderung ...
"Lanterns“ erschafft so eine dunkle, teils sogar furchterregende Atmosphäre, welche dem Album selbst bei Mitsing-Hymnen wie "Wars To Walk Away From“ oder "Better To Burn“ einen gewissen Anspruch erhalten. Musikalisch lassen sich die Jungs aus Alaska nicht lumpen und schaffen es bravourös, auf dem schmalen Grat zwischen musikalischer Komplexität und Eingängigkeit zu balancieren. Insbesondere Drummer Kyle Baltus leistet durchgehend hervorragende Arbeit, welche die Songs spürbar aufwertet.
Einfach zu verdauen sind die Songs aufgrund der Thematik, dem emotionalen Gehalt und der dunklen Stimmung eigentlich nie, was sich für die Band jedoch zu einem zweischneidigen Schwert entwickelt. Einerseits wächst das Album im Laufe der Zeit gewaltig und offenbart dem Hörer bei jeden Umlauf mehr von seiner emotionalen Tiefe, die mit schonungsloser Ehrlichkeit präsentiert wird. Andererseits ist "Lanterns“ beileibe kein Album für jede Lebenslage und wirkt an einem schönen Sommertag ungefähr so fehl am Platz wie NICKELBACK auf dem Wacken. An sich nichts Schlechtes, schließlich sind auf Easy-Listening getrimmte Platten das Letzte, was wir alle zu hören bekommen wollen.
... die auf Dauer an Gleichförmigkeit leidet
Allerdings fordert das Album auch einen Hörer, der sich emotional auf Augenhöhe mit der CD befindet und zumindest eine gewisse Melancholie mitbringt. Ansonsten läuft die Platte Gefahr, irgendwann zu langweilen. Zwar lockern 36 CRAZYFISTS das Gehörte mit den kurzen Balladen "Where Revenge Ends“ und "Dark Corners“ deutlich auf, doch täuscht das nicht darüber hinweg, dass die CD beim Abwechslungsreichtum mit starker Schlagseite fährt. Belanglosigkeit lässt sich den Songs nie vorwerfen – die Gleichförmigkeit des Songwritings und die konstant düstere Stimmung lassen jedoch auf der zweiten Albumhälfte langsam aber sicher die Songgrenzen verschwimmen.
Damit rutscht 36 CRAZYFISTS achtes Album leider knapp an einer Empfehlung vorbei. Am gezeigten Songmaterial lässt sich kaum etwas aussetzen, jedoch leidet das Album unter seinem mangelnden Abwechslungsreichtum, welcher dem Werk viel seiner Faszination raubt. Diese offenbart sich erst völlig, wenn man an das Album mit einer depressiven Grundstimmung herantritt. Dann wirkt "Lanterns“ wie Balsam für die Seele.
36 CRAZYFISTS haben dank hemmungsloser Ehrlichkeit ein dunkles, authentisches Album geschaffen und gezeigt, dass sie auch im 23. Jahr ihrer Karriere noch nichts von ihrem Schneid eingebüßt haben!
Tracklist
- Death Eater
- Wars To Walk Away From
- Better To Burn
- Damaged Under Sun
- Sea And Smoke
- Where Revenge Ends
- Sleepsick
- Bandage For Promis
- Laying Hands
- Below The Graves
- Old Gold
- Dark Corners