Serj Tankian - Harakiri

serj tankian-harakiri

Stil (Spielzeit): Rock / Alternative und vieles mehr (45:12)
Label/Vertrieb (VÖ): Reprise/Serjical Strike (02.06.12)
Bewertung: 7,5 /10

Serj Tankian Homepage

Die dritte Soloveröffentlichung von SERJ TANKIAN liegt uns vor und seien wir doch mal ehrlich: Wir hätten uns alle mehr über eine neue Scheibe von SYSTEM OF A DOWN gefreut. Aber gut, man nimmt was man kriegen kann aus dem Haus der armenischen Wundertüte. Nun liegt uns also „Harakiri" vor und ich kann zumindest sagen, dass mir diese Soloergüsse weitaus besser gefallen, als die ersten zwei Alben „Elect The Dead" und „Imperfect Harmonies" (die Version mit dem Orchester war um Klassen besser als das eigentliche Album). Was aber nicht unbedingt von Bedeutung ist, denn diese Scheibe fand ich beide eher mittelmäßig, lediglich einzelne Songs (z.B. der Übersong „Lie, Lie, Lie") konnten mich begeistern und nie das Gesamtwerk an sich. SERJ TANKIAN kündigte diesmal an, dass das neue Werk so ganz anders sein soll als alles, was er bisher gemacht hat - und zum größten Teil stimmt das sogar.

Experimentell und vielseitig ist die „Harakiri" keine Frage, allerdings streift SERJ TANKIAN viele Genres nur und ist nicht so ambitioniert bei der Sache, wie ich es ihm zugetraut hätte. Viele Songs starten stark und halten nicht, was ich mir davon versprochen habe. Ein gutes Beispiel ist der Track "Ching Chime": angetäuschter Irrsinn, der auf mich konstruiert wirkt und für SYSTEM OF A DOWN Anhänger im besten Fall eine Aufwärmübung darstellt.

Der Opener "Cornucopia" steigt mit Indie-artigen Klängen und einem beeindruckenden Basslauf ein und seltsamerweise harmoniert die Stimme und die Rhythmik von SERJ auch damit sehr gut. Legt er doch auch meistens einen fließenden, beweglichen Gesang hin, der trotz seiner teilweise abgehackten Strophen immer rund bleibt. Am Gesang werden sich wie immer die Geister scheiden, dieser ist über die komplette Platte hin gleich zackig, trotzdem melodisch und mittlerweile als "typisch SERJ TANKIAN" zu bezeichnen. Da man von diesem Künstler Großes erwarten kann und auch gewohnt ist, haben sich die Pressestimmen wie immer schon vor Veröffentlichung überschlagen. Von "Gothic Rock" ist die Rede und auch Jazz, ich finde weder das eine noch das andere, auch wenn ich beides nicht vermisse. 

Einen der Songs auf „Harakiri" als jazzig zu bezeichnen, ist schon sehr weit hergeholt. Dann ist „Shimmy" vom Album „Toxicity" von SYSTEM OF A DOWN auch ein Jazzstück... auch wenn ich bestätigen würde, dass die ständigen Tempowechsel und das ständige Aufbrechen der gerade erschaffenen Struktur durch SERJ TANKIANs Gesang und Musik (nicht explizit auf dieser Platte) schon am ursprünglichen Gedanken von Jazz kratzt. Wir sprechen allerdings von einem Prozentsatz im einstelligen Bereich.

Auf „Harakiri" gefallen mir am besten die lauten und schnellen Momente. Sich langsam aufbauende Spannung, die mit einem wohltuenden Ausbruch endet, sucht man allerdings vergeblich. Dennoch zieht sich bei dieser Scheibe eine eigenartige Sache durch alle Songs: Ich kann die Lieder mitsummen, und zwar schon beim ersten Durchlauf. Wie das jetzt zu bewerten ist, bleibt jedem selbst überlassen. Bin ich schon so SYSTEM OF A DOWN geprägt und habe die Erfolgsformel verinnerlicht? Habe ich die Platte schon mal gehört? Ich denke weder noch, sondern es liegt daran, dass die Platte zu großen Teilen (zu) poppig, (zu) vorhersehbar und (zu) gefällig geworden ist. Der Knaller wird allerdings nicht gezündet, zumal die Trackliste auch seltsamerweise so gestaltet ist, dass die besseren Songs am Anfang kommen und die schlechteren am Schluss stehen.

Es gibt vereinzelt sehr starke Songs („Uneducated Democracy", „Figure It Out" und „Cornucopia"), bei denen die Vorhersehbarkeit vom guten Endergebnis übertrumpft wird. Allerdings finden sich auch furchtbar eintönige und unnötig langgezogene Stücke, die zwar textlich überzeugen, aber sich auch nach mehreren Durchläufen nicht besser ertragen lassen. Die elektronischen Einschübe hätten für meinen Geschmack viel ausladender sein können und nutzen die Möglichkeiten nicht aus.

Es ist zwar kein musikalischen Harakiri, was SERJ TANKIAN mit seinem dritten Album hingelegt hat, aber auch keine musikalische Offenbarung - im besten Fall eine ordentliche Platte mit einigen Lückenfüllern („Occupied Tears" und „Deafening Silence"), stellenweise Aussetzern und einigen guten ("Butterflies" und "Harakiri") bis sehr guten Stücken. Natürlich darf man nicht immer mit SYSTEM OF A DOWN vergleichen, künstlerisch lieferte SERJ TANKIAN aber in diesem Kollektiv meiner Meinung nach die besten, nachhaltigsten Leistungen ab. Da das letzte Album von SYSTEM OF A DOWN schon einige Jahre her ist, bleibt abzuwarten, wie viel Kreativität noch in dem Energiebündel steckt.

Neue Fans wird SERJ mit "Harakiri" nicht fangen, aber einige alte Fans zufriedenstellen und teilweise begeistern.  Mir persönlich zu sehr Mainstream und zu wenig Neues!