Ob MARTYR wirklich jemals „Kult“ waren, weiß ich nicht. Nicht mal woran man Kult-Bands erkennt. Sind aber bspw. WARLORD oder MANILLA ROAD „Kult“, dann sind es wohl auch die Höllländer; viele von den Wenigen, die sie in den frühen 80ern zur Kenntnis nahmen, warfen sie in Sachen Genialität und Musikalität mit genannten Amerikanern in einen Topf.
Das meint dann allerdings weniger den Stil, wenngleich auch hier Attribute wie „leicht episch“ und melodiös anzusetzen sind. MARTYR’s Heavy Metal war deutlich progressiver. Aber vor allem: sehr europäisch. (Ich habe mir schon damals eingebildet, bei ihnen Einflüsse der niederländischen 70er Truppen EXCEPTION und GOLDEN EARRING rauszuhören) --- Als ich kürzlich die nicht mehr spielbaren Vinyls durch CDs ersetzen wollte u. so vor mich hin forschte, staunte ich nicht schlecht, dass die Helden aus bunten Kindertagen wieder aktiv sein sollten…
Die gesuchten 80er Alben waren zwar zwischenzeitlich, mit ordentlich Bonusmaterial angereichert, durch The High Vaultage wieder veröffentlicht worden, aber „For the Universe“ war schon wieder nicht mehr zu bekommen. So lauschte ich andachtsvoll denn erstmal nur dem 85er Meilenstein „Darkness at Time’s Edge“…endlich wieder ohne brutalst-nostalgisches Knisterknacken. --- Und staunte ein zweites Mal, als die von Rusty Cage Rec. angekündigte Promo CD des 09er Neustarts als Doppel-CD daherkam und das ersehnte Debüt mit im Digi-Gepäck hatte. „Fear the Universe“ besteht also aus zwei völlig separaten Teilen: der aktuellen EP „Fear“ und dem kaum längeren Album „For the Universe“ von `84. --- Ob das Sinn macht, weiß ich nicht. Einerseits, klar: vergriffenes Debüt und „Re-Debüt“ auf einer Scheibe klingt nach „Value for Money“ und auch nach interessantem Vergleich. Andererseits: wäre ein Full-Lenght-Neustart und extra das Debüt + Boni nicht doch sinnvoller gewesen? Für den Konsumenten zwar teurer, aber kompletter?! Die Demos hätte man vom Plätz her ohnehin wieder draufpacken dürfen.
Fangen wir chronologisch, also mit CD 2 an. „For the Universe“ war eines der absoluten Highlights der ersten Hälfte der 80er. Musikalisch ganz breitwandiges Kino. Wie gesagt: episch, melodisch, ab und an speedig. Es beginnt mit einem vielstimmigen Gitarren-Intro, dessen Reprise später als Outro dienen wird. Hart, melodisch und sehr (atmo-)sphärisch. Speedig und kopfstimmig rockt dann „Speed of Samurai“ nur scheinbar einfach geradeaus. Denn die Nummer ist nicht unvertrackt. “The Eibon“ schraubt den Komplexitätsgrad weiter rauf und den Speed phasenweise runter. Da fällt trotz der pappigen Produktion noch mehr auf, wie versiert die Utrechter spieltechnisch und kompositorisch sind.
Mit vielen Tempowechseln kommen auch „Four Walls“ und das wunderbare „The Awakening“ daher, das in seinen sechs Minuten auch die ruhigsten Phasen des Albums bereithält. Zwischendurch wird immer wieder Tempo gewechselt und alle Artisten können zeigen, was sie können. Das ist nicht wenig. Allein der Gesang von Gerard Vergouw leidet etwas zu sehr unter der flachen Produktion.
Die ist natürlich auf CD1, „Fear“, eine ganz andere Hausnummer. Und auch personell gab es zwei Änderungen. Dabei gehörten Robert van Haren (voc) und Wilfried Broekman (dr) auch in den 80ern schon mal zur Band. Marcel Heesakkers (git / key), Rick Bouwman (git) & Antoine van der Linden (b) sind wie van Haaren Gründungsmitglieder.
Schwer und sehr maskulin steigt „Fear“ mit „The Most Evil“ ein. Leicht bedrohliche Atmosphäre und ein toller Refrain bestimmen den Track. Es zeigt sich, und mehr noch bei den nachfolgenden Nummern, dass die leicht proggige Attitüde geblieben ist, die epischen und speedigen Elemente aber sind im Prinzip raus. –Das ist vielleicht dem rauen und gar nicht kopfstimmigen Gesang geschuldet (der sich aber einmal einen veritablen Rob-Halford-Gedächtnisschrei gönnt), zu dem das so viel besser passt, vielleicht auch nur der Tatsache, dass aus Jungs Männer geworden sind, die ihre Musik nicht mehr so konkret und ungestüm haben wollen.
Und so bieten auch die nächsten vier Nummern überaus handfesten, gut geerdeten Heavy Rock / Metal mit gleichstarkem Hang zu Komplexität und Eingängigkeit. Heute bleibt man 90% der Spielzeit im Mid-Tempo mit modernem Riffing und Gesangslinien, die trotz der Stimmlage gelegentlich an Geoff Tate erinnern. Eine weite Änderung ist im recht spärlich eingesetzten Keyboard zu sehen, das früher weit tragender war.
Dass größte Problem MARTYRs, damals wie heute, dürften sein, was der Soziologe „Ausdifferenzierung“ nennt. Anders herum: MARTYR waren schon immer für den Mainstream zu komplett. Für eine Epic Metal Band waren sie zu rockig. Für Melodic (Speed) zu variabel und sperrig. Für Prog zu glatt und songdienlich… Dass lässt sich aber auch positiv formulieren und erleben. Jedenfalls wird man viel Spaß haben, sofern man beim Hören nicht allzu sehr in einer Schublade sitzt und nach Extremen lechzt.
Fazit: Zwei sehr verschiedene Platten, denen man nur an der Ausgewogenheit von Komplexität und Eingängigkeit und dem handwerklichen Vermögen der Mucker ablauschen kann, dass hier dieselbe Combo verantwortlich ist. Ansonsten wäre der Vergleich nicht sinnvoll. Wer unbedingt Noten braucht: Für „For the Universe“ trotz des schlappen Sounds eine 9, für „Fear“ eine 7,5.