Es gibt nur noch wenige Bands, die mit einem neuen Album einen Schauer durch die ganze Metal-Welt gehen lassen, ob man sie nun mag oder nicht. IRON MAIDEN gehören definitiv noch immer dazu, und mit ihrem 16. Studioalbum „The Book Of Souls“ könnten sie es endlich wieder schaffen, dass der Schauer einen lange währenden Nachhall bekommt.
Denn mal ehrlich: Welches war das letzte richtig gute MAIDEN-Album? „The Final Frontier“, das schnell wieder vergessen war, sicher nicht. Für viele war es „A Matter Of Life And Death“, anderen hingegen war das dann doch zu proggig und zerfahren. Auch ich fand es anfangs gut und interessant, kann mich aber an keinen einzigen Song mehr darauf erinnern. Man mag vielleicht noch „Brave New World“ nennen, aber ich bin mir sicher, dass die „Dickinson is back“-Euphorie von damals ihren Teil dazu beigetragen hat, dass man gern daran zurückdenkt. Wenn ich mal wieder IRON MAIDEN hören will und durch meine Alben blättere, greife ich jedenfalls so gut wie nie zu „Brave New World“.
Auf „The Book Of Souls“ sind IRON MAIDEN wieder richtig gut. Fast könnte man meinen, dass sie endlich gefunden haben, was sie die letzten 15 Jahre gesucht haben: Die goldene Mitte zwischen dem anspruchsvollen Prog, der auf den letzten Alben so präsent war, und den direkt ins Ohr flutschenden, großartigen, unverkennbar „Maiden!“ schreienden Melodien.
Gut 90 Minuten ist das Album lang. So lang wie keins zuvor. Und trotzdem denkt man selten: Ist gut jetzt. Das liegt zum einen daran, dass zwischen überlangen Stücken von acht, zehn, 13 und 18 Minuten auch verhältnismäßig knackige Titel stehen. Zum anderen und vor allem liegt es aber daran, dass die Kompositionen allesamt gut sind – keins der Stücke verkommt zum völligen Selbstzweck. Und einige sind sogar echte Glanzlichter.
Der Titelsong zum Beispiel. Ein so gutes Riff wie das in „The Book Of Souls“ haben IRON MAIDEN seit 1988 nicht mehr geschrieben. Ohne Kitsch verleiht es dem Stück eine düstere Atmosphäre, die der des Covers entspricht (das in seiner Zurückhaltung meines Erachtens sehr gelungen ist). Dazu bringt Bruce Dickinson Gesangsmelodien, die diese ganz besondere epische Melancholie transportieren. Und das fantastische Solo, bei dem sich die Gitarren abwechseln… Tja, das kann so genial nur das Triple Smith/Murray/Gers.
„Tears Of A Clown“ ist nur kitschig betitelt. Inhaltlich ist es Robin Williams gewidmet, der sich 2014 umbrachte. Musikalisch ist es ganz große, auf fünf Minuten verdichtete MAIDEN-Kunst mit tollen, typischen Doppel-Leads und wieder diesen Dickinson eigenen, melancholischen Noten.
Auf dem bislang längsten MAIDEN-Album steht auch das längste Stück ihrer Karriere: „Empire Of The Clouds“. Es beginnt mit sanftem Klavier und Gesang. Später kommen epische Gitarren dazu, unvorhersehbare Wechsel, neue, allesamt enorm gute Riffs, Tempi und Dynamiken. 18 Minuten sind es letztlich – meiner Meinung nach keine zu viel. Ein Lied mit MAIDEN-untypischer Stimmung, Bruce Dickinsons „November Rain“.
Andere Stücke sind gut, verblassen aber im Vergleich. „The Red And The Black“ hätte ruhig kürzer sein können, das mehr als 13 Minuten lange Lied klingt kompositorisch nicht komplett ausgereift. Das treibende und unbedarft rockende, in die frühen Jahre verweisende „Death Or Glory“ wirkt auf Dauer etwas stumpf. Durch das ganze Album ziehen sich – keine Sorge, nur dezent im Hintergrund – Synthie- und Streichersounds, die teils zur Atmosphäre beitragen, teils aber sinnlos sind. Und manchmal können IRON MAIDEN es nicht vermeiden, sich an dem eigenen Fundus zu bedienen: Beispielsweise klingt das Intro von „Shadows Of The Valley“ dem Beginn von „Wasted Years“ zum Verwechseln ähnlich.
Aber immerhin, und das bezeugt ihre Größe, müssen IRON MAIDEN nur bei sich selber klauen. Und trotz der kleinen Abstriche ist „The Book Of Souls“ toll geworden: voller Epik, mit grandiosen Melodien und fantastischen Kompositionen. Ein großes Album einer noch immer wichtigen Band.
Helge
Stile: Doom Metal, Black Metal, Post Rock, Stoner, Prog
Bands: My Dying Bride, Opeth, Nachtmystium, Saint Vitus, Genesis