Heavy, aber nicht unbedingt (immer) Progressive Metal
Dabei gehen Sänger Geoff Tate, die Gitarristen Chris DeGarmo und Michael Wilton, Bassist Eddie Jackson und Drummer Scott Rockenfield musikalisch gar nicht komplex, aber unglaublich ideenreich vor. "Operation: Mindcrime" ist entgegen der weitläufigen Meinung kein Progressive Metal, sondern eine Mischung aus klassischem Heavy Metal und melodischem Hard Rock - intelligent arrangiert und durchdacht, stimmungsvoll inszeniert, emotional und ergreifend. Und virtuos eingespielt: Alleine über Geoff Tates Vocals könnte man ein Buch schreiben. Wie er den verschiedenen Charakteren Leben einhaucht und unterschiedliche Stimmungen von Wut über Liebe bis zu Trauer und absoluter Verzweiflung transportiert ist phänomenal. Auf "Operation: Mindcrime" liefert der Sänger die Performance seines Lebens!
Das kongeniale Gitarrenduo Chris DeGarmo und Michael Wilton harmoniert in den Riffs, Soli, Leads und akustischen Passagen so perfekt miteinander, dass die ganz besondere Chemie der beiden Highschool-Freunde beinahe greifbar ist. Eddie Jacksons pumpender Bass sorgt mit dem variantenreichen Schlagzeugspiel von Scott Rockenfield für die kraftvolle Basis. In der Produktion stehen alle Instrumente gleichberechtigt nebeneinander.
Düstere Story mit zeitlosem Bezug
Genauso wichtig wie die bahnbrechende musikalische Inszenierung ist das Konzept hinter "Operation: Mindcrime". Erzählt wird die Geschichte des desillusionierten, drogenabhängigen Nikki, der dem mysteriösen, Heil versprechenden Revoluzzer Dr. X verfällt. Dieser instrumentalisiert Nikki für seine Zwecke und bildet ihn mit Hilfe von Gehirnwäsche zum Attentäter aus, der auf das Codewort "Mindcrime" Politiker umbringt. Als Nikki in der Nonne und früheren Prostituierten Mary eine Seelenverwandte trifft, realisiert er seine grauenvollen Taten und sucht nach einem Ausweg. Als er Mary tot auffindet, irrt er ohne Perspektive und hilflos schreiend durch die Straßen, wird von der Polizei aufgegabelt und als mutmaßlicher Attentäter und Marys Mörder festgenommen.
Im Hospital und an sein Bett gefesselt beginnt Nikki, sich an alles zu erinnern. Was wir auf "Operation: Mindcrime" in einer guten Stunde erfahren, spielt sich in Nikkis Kopf innerhalb von einer Minute ab - immer und immer wieder...(Lest euch auf http://www.apollowebworks.com/russell/mindcrime.html unbedingt die höchst spannende Analyse eines QUEENSRYCHE-Fans durch, um die Story in allen Facetten zu entdecken!)
Musikalisch nicht zu toppen
Vom knackigen Opener "Revolution Calling" mit feinsten Doppel-Leads und Melodien zum Niederknien über den zähen Titeltrack mit monströsen Grooves und die Ohrwürmer "Spreading The Disease", "Breaking The Silence" und "I Don't Believe In Love", die stellenweise beinahe schon an AOR erinnern, bis hin zum höchst dramatischen Abschluss "Eyes Of A Stranger" ist "Operation: Mindcrime" ein musikalisch höchst abwechslungsreiches Werk für die Ewigkeit, in dem es immer wieder etwas zu Entdecken gibt.Im pfeilschnellen, harten "The Needle Lies" überschlägt sich die Band fast, "The Mission" lässt mit mit seinem symphonischen Aufbau und leicht vertrackten Strukturen den Progressive Metal kurz aufflackern. In DREAM THEATER- oder FATES WARNING-Gefilden bewegen sich QUEENSRYCHE aber niemals, weder auf diesem noch einem anderen Werk.
Der dramaturgische Höhepunkt "Suite Sister Mary" beeindruckt auf einer Länge von zehn Minuten mit einer packenden Stimmung und dem legendären Duett von Nikki und Mary (aka Geoff Tate und Sängerin Pamela Moore). Eingeleitet und unterbrochen werden die Songs von einigen kleinen Stücken mit teils erzählerischem Charakter. Besonders beeindruckend: "Electric Requiem", in dem sich DeGarmo und Wilton mit einer akustischen und elektrischen Gitarre in einen intensiven Rausch spielen und verzweifelte, zum Heulen schöne Melodien auspacken. Dieses Meisterwerk enthält so viele Details und durchdachte Stellen, dass man sie gar nicht alle aufzählen kann.
Die volle "Mindcrime"-Experience
"Operation: Mindcrime" wurde 2003 als remasterte Edition mit 2 Bonustracks neu aufgelegt. Sinnvoller ist aber der Kauf der Doppel-CD, die zusätzlich eine raue, unbearbeitete Liveaufnahme des kompletten Albums aus dem Hammersmith Odeon in London (November 1990) enthält. Sie zeigt sehr beeindruckend, in welch bestechender Form das eingespielte Quintett Anfang der Neunziger agierte. Wer die komplette audiovisuelle "Mindcrime"-Erfahrung sucht, sollte auf jeden Fall auch zur "Operation: Livecrime"-DVD greifen. Sie bringt die opulente Show aus den USA (Mai 1991) ins Wohnzimmer, als QUEENSRYCHE nach dem "Empire"-Erfolg die nötige Kohle hatten, um "Operation: Mindcrime" mit Laser- und Lichtshow, großen Videoscreens und Schauspielern auf die Bühne zu bringen.
Die Performance auf der Bühne ist unfassbar gut, der Sound wuchtig, direkt und eine Schippe härter als auf dem Studioalbum, und Geoff Tate zeigt sich in der Verfassung seines Lebens. Ein Interview und zwei Bonustracks ("The Lady Wore Black" und eine Gänsehaut-Version von "Roads To Madness", beide jedoch nur als Audiospur) runden die DVD ab.
Ein Meilenstein der Metalgeschichte
So langsam gehen mir dann auch die Superlative für dieses Meisterwerk aus. Eines kann ich sagen: Wenn ihr "Operation: Mindcrime" noch nicht kennt, habt ihr ein Stück Metalgeschichte und einen zeitlosen Meilenstein verpasst. Für mich ist das dritte QUEENSRYCHE-Album das beste Konzeptalbum aller Zeiten!
Tracklist
01. I Remember Now (1:17)
02. Anarchy-X (1:27)
03. Revolution Calling (4:39)
04. Operation:mindcrime (4:45)
05. Speak (3:42)
06. Spreading The Disease (4:07)
07. The Mission (5:47)
08. Suite Sister Mary (10:39)
09. The Needle Lies (3:08)
10. Electric Requiem (1:22)
11. Breaking The Silence (4:34)
12. I Don't Believe In Love (4:23)
13. Waiting For 22 (1:05)
14. My Empty Room (1:32)
15. Eyes Of A Stranger (6:53)
Bonus Tracks:
16. The Mission (Live At The Hammersmith Odeon, London, England 11/14-15/90) (6:11)
17. My Empty Room (Live At The Astoria Theatre, London, England 10/20/94) (2:41)
Band
Geoff Tate: Vocals, Keyboards
Chris DeGarmo: Gitarre
Michael Wilton: Gitarre
Eddie Jackson: Bass
Scott Rockenfield: Drums & Percussion
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BYE Rewind ist unsere Rückschau, eine lose Serie, in der wir für uns relevante Klassiker und Highlights (oder Lowlights) der Musikgeschichte hervorkramen, zurückspulen und in aktuellen Bezug setzen. → Hier geht's zur Übersicht