Sind das schlechte Doppelgänger?
An der Studioversion gibt es recht wenig zu meckern, finde ich, und Kai Hansen ist Kai Hansen, da ist es schwer, menschlich oder musikalisch etwas Unsympathisches zu finden. Aber was hier verewigt ist, muss man sich nicht unbedingt antun.
Da ist zum einen die musikalische Leistung – ob das jetzt Tagesform, schlechtes Catering oder kaputte Monitore waren. Ich habe fast jeden, der da auf der Bühne steht, schon um Welten besser gehört. Gesanglich – der Rest kann das vielleicht auf die Produktion schieben – schaffen Kai Hansen und Clémentine Delauney es, sich permanent so aneinander zu reiben, dass man fast guten Gewissens von schmerzhaft reden kann. Frank Beck wirkt bei seinem Ausflug vom Hintergrund-Podest an das große Mikrofon vorne irgendwie ein bisschen desorientiert und hilflos, bei GAMMA RAY klappt das deutlich besser.
Und Michael Kiske, bei UNISONIC und AVANTASIA noch überraschend nah an seiner stimmlichen Form der 80er – was sein Auftreten auf der Bühne zumindest ansatzweise erträglich macht –, kämpft nicht nur mit den Texten der alten HELLOWEEN-Klassiker, sondern auch mit seiner Intonation. Und manchmal scheint ihn das auch ein bisschen aus dem Takt zu bringen.
Ein bisschen mit Liebe darfs dann schon sein
Während schon die gehäuft schlechte Form bei mir die Frage aufwirft, ob man das ganze unbedingt hätte veröffentlichen müssen, kommt auch noch die Produktionsqualität hinzu. Am Sound wurde scheinbar gar nichts gemacht – wer braucht denn auch die Leadgitarre, wenn es schon eine für den Rhythmus und ein Keyboard gibt? Und wer will schon das Publikum singen hören, wenn ihm eine komplette Strophe anvertraut wird? Stille ist doch was Schönes und die ins Publikum gerichteten Mikrofone sind eine geniale Bühnendeko.
Und dann die Videoproduktion. Ich freue mich ja immer zu sehen, dass ich nicht der einzige bin, der regelmäßig daneben fokussiert – aber normalerweise wird das aussortiert. Und Dinge, die bei Schnitten die Farbe wechseln, finde ich persönlich auch eher störend. Ich meine, es freut mich, dass sich die Leute nicht umziehen müssen, um andere Farben aufzutragen und ich finde es spannend, dass jeder Song scheinbar zu fünf unterschiedlichen Tageszeiten gleichzeitig gefilmt wurde, aber das lässt sich mit ein bisschen Arbeit doch ein wenig professioneller aufbereiten. Und wenn man dabei ist, ein bisschen Geld in die Hand zu nehmen, kann man vielleicht auch einen Regisseur anstelle eines Zufallsgenerators einstellen, um dem Ganzen zumindest etwas Struktur zu geben.
Für den Fan, der alles hat
Ich habe keine Ahnung, ob in die Produktion der Blu-Ray mehr Aufwand geflossen ist, als in die der DVD – aber ich befürchte fast nicht. So sehr ich Kai Hansen mag, kann ich diesen lieblos produzierten Mitschnitt eines – vom gemütlichen Sofa aus betrachtet – maximal mittelmäßigen Konzertes nur echten Fans empfehlen, die schon alles haben. Nicht zum Angucken oder Hören, sondern einfach, damit sie das weiter von sich behaupten können.
Für alle anderen ist eher die Studioaufnahme zu empfehlen, oder eben der alte Kram. Mit GAMMA RAY und HELLOWEEN war der gute Mann ja alles andere als unproduktiv. Denn so sehr ich den Mehrwert von Live-Alben und Videos im Allgemeinen sehe, so sehr haut dieses Werk in allen wichtigen Punkten daneben.