Große Namen auf neuen Pfaden
Viele große Namen auf einem Haufen, das ist für eine neu gegründete Band irgendwie immer Fluch und Segen zugleich: Einerseits ist die mediale Aufmerksamkeit natürlich deutlich höher, als bei einer "richtigen" Newcomerband, andererseits ist dies jedoch auch mit einer entsprechenden Erwartungshaltung verknüpft, der man als Band, die trotz aller Erfahrung ihren gemeinsamen Stil vielleicht noch nicht gefunden hat, erstmal gerecht werden muss.
Wie klingt es denn nun?
Die kurze Antwort ist: verdammt gut! Ich möchte fast so weit gehen, zu sagen: "Verschwendet keine weitere Zeit mehr damit, Euch hier meine zwei Cent durchzulesen, sondern hört direkt selbst rein!" – aber ich kann hier ja schlecht erstmalig die "9 Punkte"-Karte ziehen und das dann einfach so im Raum stehen lassen.
Los geht es also mit dem bereits vorab veröffentlichten Song „Karma“ – auf ein kurzes Synthesizer-Intro folgen sehr nach IN FLAMES klingende Gitarren, so dass Jake E.s Klargesang im ersten Moment auf den Fan, der IN FLAMES 2.0 erwartet hat, etwas irritierend wirken kann. Ich muss gestehen, dass IN FLAMES nie zu meinen Kern-Bands gehört haben, daher funktioniert diese Kombination für mich mehr als gut.
Es folgt „Heartrage“ – einer der vielleicht kontrastreichsten Songs des ganzen Albums. Er beginnt als Midtempo-Nummer, verdoppelt in den Strophen dann das Tempo, um im weiteren Songverlauf mustergültig zwischen Mid- und Uptempo hin und her zu alternieren. Kombiniert mit einem wieder wohldosierten Synthesizer-Einsatz und ähnlich hymnischem Chorus wie schon in „Karma“, geht "Heartrage" direkt ins Ohr, bietet aber auch beim 50. Hören noch neue Eindrücke.
„Here To Safe You“ schlägt in eine ähnliche Kerbe – ein treibendes, rhythmusbetontes Intro trifft auf eine fast schon popsong-taugliche Melodie und ... funktioniert ..., auch wenn der Song zwischen seinem Vorgänger und dem darauf folgenden „Muted Life“ etwas abfällt. In diesem Song wird nach einer episch-orchestralen Einleitung der Klangteppich in den Strophen deutlich ausgedünnt, so dass Jake E. sein Gesangstalent voll ausschöpfen kann, bevor im Refrain mit einer weiteren Ohrwurmmelodie beides grandios zusammengefügt wird.
Eine Ballade zur Halbzeit
Mittlerweile beim fünften Song des Albums angekommen, wird es Zeit für die obligatorische Ballade – Akustikgitarren, ein bisschen Klavier und Gesang, der gleichzeitig Schmerz und trotzdem sowas wie Optimismus transportiert – mittlerweile fühle ich mich bei all der Lobhudelei auf dieses Album schon fast schlecht. „Closure“ ist definitiv mein zweites Highlight!
Mit „Letters To Myself“ folgt der Titeltrack des Album – härtere Riffs und ein stellenweise rauerer Gesang mischen sich wieder gekonnt mit modernen Synthesizern und dem mittlerweile schon fast gewohnt ohrwurmtauglichen Refrain. So langsam bräuchte ich wirklich mal was zum Beschweren, das glaubt mir hier doch kein Mensch mehr.
Auch bei „Dark Clarity“ kommt das an diesem Punkt fast schon cyhra-typische Erfolgsrezept aus treibender Gitarrenriff- Schlagzeugkombi im Wechsel mit minimalistisch instrumentierten Gesangsstrophen und eingängigem Chorus zum Einsatz – aber wieder auf einem Niveau, auf dem ich es nicht als redundant, sondern einfach als stimmig empfinde.
„Holding Your Breath“ startet ungewohnt direkt mit einem Gesangspart, der bei mir in Kombi mit der eher minimalistischen Instrumentierung ein leichtes LINKIN-PARK-Feeling auslöst. Im Refrain wird es dann aber wieder zu 100 Prozent CYHRA, wenn man das bei einem Debütalbum so schon sagen kann.
In „Rescue Ride“ geht es mit ungewohnt rhythmusbetontem Gesang und einem eher hohen Tempo weiter, bevor in „Black Wings“ kurz vor Schluss noch einmal etwas ruhigere Töne angeschlagen werden. Die Halbballade wird durch die her ungewohnt verletzliche Stimme Jake E.s und üppige Streicherarrangements getragen und bildet damit mein drittes Highlight des Albums.
Das finale „Dead To Me“ beginnt mit einer gleichermaßen zornigen wie motivierende Sprechpassage und baut sich danach über Piano und Akustikgitarren zu einer weiteren Halbballade auf, die für einen würdigen Albumabschluss sorgt.
Melodic Metal für fast jeden
Hochmelodische Arrangements, durch die Strömblad-typischen Gitarrenriffs perfekt ausbalanciert, so dass es insgesamt nicht zu poppig wird, eine Gesangsstimme, die die teilweise sehr persönlichen Inhalte wunderbar emotional transportiert und eine songdienliche Rhythmusfraktion um Iwers und Landenburg – CYHRA haben bereits beim Debüt ihren eigenen Stil gefunden, der verwirrenderweise gleichermaßen frisch wie vertraut klingt. „Letters To Myself“ ist für mich definitiv eines der stärksten Alben 2017.
Tracklist:
- Karma
- Heartrage
- Here To Safe You
- Muted Life
- Closure
- Letter To Myself
- Dark Clarity
- Holding Your Breath
- Rescue Ride
- Black Wings
- Dead To Me